Angefangen hatte es wie im Märchen für Daniela (28): «Er war ein gestandener junger Mann, mit eigenem Haus, einem Hund und Kollegen. Die ersten drei Monate war alles toll, dann fingen die Psychospiele an.» Sie konnte nichts mehr richtig machen, er isolierte sie von ihren Freunden, wurde beleidigend und schlug sogar zu. Was für die junge Frau aber fast noch schlimmer war: «Am schwierigsten war es, wieder da rauszukommen.»
Was Daniela erlebt hat, ist typisch für eine toxische Beziehung. Rund die Hälfte aller Schweizerinnen und Schweizer sind mit dieser Art von destruktiver Liebe vertraut. Laut einer aktuellen Studie von Parship.ch kennen 27 Prozent jemanden, der in einer toxischen Beziehung war oder ist. Zudem geben 31 Prozent der Frauen an, das schon selber erlebt zu haben, dasselbe gilt für 24 Prozent der Männer. Aktuell befinden sich mit 8 Prozent praktisch dreimal mehr Frauen als Männer in einer toxischen Beziehung.
Massive Übergriffe – bis zum getöteten Haustier
«Ich habe die Hölle erlebt», sagt Daniela. Als sie mit ihrem Freund Schluss machen wollte, ging für sie der Psychoterror los: «Er ging vor mir auf die Knie, weinte, tauchte überall auf: Am Arbeitsplatz, bei meinem Auto, er rief ständig an oder schrieb Mails. Mal schmeichelte er, mal war er voller Vorwürfe.» Das setzte so viel Druck auf, dass sie sich doch wieder auf ihn einliess. «Weil ich so mehr Ruhe hatte, als bei einer Trennung.» Ein Jahr ging das so, bis sie sich lösen konnte. «Das brauchte viel Kraft, das Einzige, was da hilft, ist so jemanden konsequent zu ignorieren.»
Sie ist eine von vielen, die sich auf den Aufruf vom Blick zu toxischen Beziehungen gemeldet hat. Die meisten, die so etwas erlebt haben, wollen anonym bleiben. Denn vieles davon ist massiv: Das geht von weggeschraubten Nummernschildern, versteckten Kreditkarten, falschen Anschuldigungen von Kindsmissbrauch, bis zu getöteten Haustieren. Damit verbunden ist auch die Furcht, dass der oder die Ex wieder auftauchen könnte.
So auch Beatrice (48), die sich von ihrem Ex-Freund trotz krassen Übergriffen immer wieder überzeugen liess: «Er war ein guter Zuhörer, fragte ganz viel. Da öffnet man sich und vertraut jemandem, bis er alles verdreht. Solche Typen können einen einwickeln wie eine Spinne, instrumentalisieren, manipulieren und isolieren dich.» Zuerst fiel ihr seine Kontrollsucht auf, wenn sie nach der Arbeit nicht gleich nach Hause kam, wurde er aggressiv. Nach einem heftigen Streit ging er auf sie los und würgte sie: «Er schrie immer wieder, dass er mich umbringt.» Die Polizei musste mehrfach einschreiten, ins Frauenhaus wolle Beatrice nicht: «Ich habe zwei Hunde, die hätte ich nicht mitnehmen können. Ich hatte Angst, dass er ihnen was antut.» Seine Drohungen nahm sie ernst: «Schliesslich hatte er schon meinen Wellensittich Heiko getötet. Er lag blutig im Käfig, als ich nach Hause gekommen bin.»
Kontrollsucht und Telefonterror
Mit Kontrolle fing es auch bei Andreas (37) an: «Jeden Abend, wenn ich nach Hause gekommen bin, wollte sie mein Natel sehen, um zu schauen, mit wem ich in Kontakt war.» Wenn er nicht sofort auf ein SMS reagierte, gab es Telefonterror: «Sie läutete Sturm, bis ich ran ging. Ich dachte, sie ist so, weil sie schwanger ist und das legt sich wieder.» Stattdessen wurde es immer schlimmer, Andreas kündigte den Job im Geschäft seines Onkels, weil seine Frau nichts mit seiner Familie zu tun haben wollte. «Entweder ich passte mich komplett an oder es krachte.» Seit fünf Jahren ist er getrennt, die Kampfscheidung dauert an. Seinen Sohn hat Andreas seit vier Jahren nicht mehr gesehen. «Sie hat mich angezeigt und behauptet, dass ich ihre kleine Tochter aus der vorherigen Beziehung angefasst habe.» Alle Anklagen seien sistiert worden: «Bis das aber durch alle Instanzen ist, dauert es.» Es bliebt nichts anderes als Warten: «Man fühlt sich hilflos.»
Das ist alles typisch für diese destruktive Form der Liebe, vor körperlicher Gewalt kommt meist der emotionale Terror: Herabwürdigungen und Beleidigungen, Wahrheiten werden verdreht, soziale Isolation und allem voran Kontrollsucht (61 Prozent) werden in der Parship.ch-Studie genannt. Das Perfide daran: «In der ersten Verliebtheit kann man diese Kontrolle als positiv wahrnehmen», erklärt Parship.ch-Psychologin Dania Schiftan. «Da kümmert sich jemand um mich, ist fürsorglich und schenkt mir Aufmerksamkeit. Anfangs ist es schwierig, das richtig einzuordnen, man kann da leicht drauf reinfallen.»
Psychotherapeutin Dania Schiftan
Subtile Manipulation
Oft bleiben diese Formen der Manipulation auf einer subtilen Ebene. «Es waren viele kleine Nadelstiche, bis mir bewusst wurde, wie herabwürdigend mein Ex mit mir umging», erinnert sich Barbara (42). «Mal ging er vor mir auf die Knie, dann war er wieder kalt und abweisend.» Anfangs habe sie seine wechselnden Stimmungen noch mit Humor aufgefangen. «Aber der blieb mir immer öfter im Halse stecken.» Aus Diskussionen wurden ermüdende Streitereien: «Er konnte gut argumentieren, er verdrehte mir regelrecht den Kopf.» Es sei nicht leicht gewesen, die Beziehung zu beenden, «weil er eben auch ein voll netter Typ sein konnte». Aber: «Er hat sogar zugegeben, dass er ein Narzisst ist.»
Ein Wort, das in diesem Zusammenhang bei fast allen Betroffenen fällt. «Ja manchmal hat der Partner tatsächlich eine psychische Störung. Manchmal nicht», erklärt Dania Schiftan. Wichtig ist: «Solche Menschen haben in der Regel massive Probleme mit dem Selbstwertgefühl, denen sie sich nicht stellen. Das stülpen sie dem andern über, damit sie sich selber nicht schlecht fühlen müssen.»