Er habe nun einmal ein Herz für komische Käuze, Nachteulen und Schluckspechte, sagt Simon Jäggi (42) über den Namen seines neuen Projekts. Birdman Jäggi heisst es – so viel wie Vogelmann Jäggi. Gerade ist das erste Album mit dem Titel «Zieh di ab, mir müessä redä» erschienen. Was im ersten Moment nach einem dummen Macho-Spruch klingt, ist im Kontext des Titelsongs die Aufforderung einer Frau an einen Mann. Ein Typ, sagt Jäggi, der einen Beziehungskonflikt zu Tode diskutieren wolle. «Manchmal ist es das Beste, wenn man in solchen Momenten das Gerede sein lässt und zusammen ins Bett geht.»
Jäggi ist bekannt als Leadsänger der Kummerbuben. Die Berner Rockband hatte 2007 ihren Durchbruch mit neu interpretierten Schweizer Volksliedern. Die darauffolgenden Alben enthielten eigene Songs und schafften es in die Top 50 der Schweizer Charts. Das vorerst letzte erschien vor vier Jahren.
Für sein neues Projekt arbeitete Jäggi mit Thierry Lüthy (38) zusammen. Der Musikproduzent, Saxofonist und der musikalische Kopf der Blaskapellen-Band Traktorkestar unterlegte Jäggis Gesang mit einem Sound irgendwo zwischen dem Elektropop von 2raumwohnung, dem Trip-Hop von Massive Attack und dem Industrial Rock von Marilyn Manson (53).
Ivanas Herz ist so kalt wie ihre Hände
Dass er ein Album mit elektronischen Einflüssen herausbringe, fühle sich für ihn ganz natürlich an, sagt Jäggi. Sein neues Album sei aber mehr als mit organischen Sounds und Mundart-Texten angereicherte Club-Musik, fügt er an. «Ich erzähle Geschichten im Stil eines Singer-Songwriters.»
Eine handelt von einer Frau namens Ivana. «Si isch geborä, um mi unglücklich z mache», singt Jäggi. Und weiter: «Schtah so lang am Ufer vo dim Bett, bis i drin versinkä.» Es ist diese fantastisch bildliche Sprache, von denen die Songs leben. Die Storys, die Jäggi erzählt, spielen im Dunstkreis von durchzechten Nächten und flüchtigen, intensiven Bar-Flirts. Liebe ist hier immer unglücklich. Auch die zu Ivana, die gerne mit dem Feuer spielt, deren Herz aber so kalt ist wie ihre Hände. «Pyromanä früürä liecht», heisst es dazu im Song.
Jäggi ist im echten Leben mit der Insektenköchin Andrea Staudacher (33) verheiratet und hat zwei Kinder aus einer früheren Beziehung. Wenn er nicht Musik macht, arbeitet er fürs Naturhistorische Museum Bern. Bis vor kurzem schrieb der ehemalige Journalist für Blick eine wöchentliche Kolumne, in der er jeweils eine Tierart vorstellte. Er lebt offenbar in einer ganz anderen Welt als diejenige, die er in seinen Texten zelebriert. Wo holt er sich die Inspiration?
Die Meerjungfrau aus dem Petzi-Buch
Seine Texte seien oft Kollagen aus kleinen Dingen, die er an sich selbst beobachte oder irgendwo aufschnappe, sagt er. Er liebe zum Beispiel Feuerwerk und habe schnell kalt. «Der frierende Pyromane trifft auf mich zu.» Die Idee zum Song «Meerjungfrou» stamme hingegen aus einem Petzi-Buch, das er seinen Kindern vorgelesen habe. «Darin verliebt sich ein Seemann in eine Meerjungfrau. Ich fand das Bild dieser unmöglichen Liebe schön.»
Weitere Anspieltipps auf diesem Mundart-Feuerwerk sind «Novämber» und «Chopf ufä». Einen zynischen Unterton hat «Schüfeli und Bäseli». Im Song geht es um Dinge, die so kaputt sind, dass man sie nur noch aufwischen kann. Neben einer Dreiecksbeziehung gehört das Musikgeschäft dazu. «Mir möchte üs für d Ufmerksamkeit bedankä. Für 100 Streams auf Spotify gits genau 4 Frankä», reimt Jäggi im Songtext. Es sei schon krass, fügt er im Interview an. Mit allen Streams des Albums, das seit kurzem erhältlich ist, habe er so viel verdient wie früher mit den Kummerbuben mit dem Verkauf von fünf CDs. Das Album erscheint trotzdem nicht physisch. «Das wäre Rohstoff-Verschwendung.»
Auf der Bühne will Birdman Jäggi die Grenze zwischen Konzert und Disconacht durchbrechen. Dabei helfen unter anderen der Berner Multiinstrumentalist Milan Slick (18) und Tom Etter (57), ehemals Gitarrist bei Züri West. Das erste von sieben geplanten Konzerten ist gleichzeitig die Plattentaufe und findet am 24. Februar 2023 in der Heitere Fahne in Wabern bei Bern statt.