Auf einen Blick
- Bodensee und Zürichsee froren 1962/63 komplett zu
- Klimawandel erschwert Zufrieren grosser Seen, kleinere Seen haben bessere Chancen
- 350 Minusgradtage nötig für 12 cm Eisdecke auf dem Zürichsee
Es herrschte eine klirrende Kälte im November 1962: Die Temperaturen am Bodensee fielen auf –7,5 Grad Celsius. Im Dezember legte die Kälte mit –13 Grad noch einen (Eis-)zacken zu. Das führte dazu, dass der Bodensee vollständig zufror: Endlich wieder eine Seegfrörni. Die Behörden gaben die Eisflächen frei, und Tausende von Einheimischen genossen es, auf dem See zu spazieren oder Schlittschuh zu laufen.
Im selben Jahr fror auch der Zürichsee komplett zu, was ab dem 1. Februar 1963 Spaziergänge zwischen Zürich und Rapperswil auf dem Eis ermöglichte. Über 100'000 Menschen strömten täglich auf den gefrorenen See. Händler verkauften Tee, Punsch und Würstchen mitten auf der Eisfläche, während Kinder nach der Schule auf dem See Eishockey spielten. Von Augenzeugen wird die Seegfrörni als eine Art Volksfest beschrieben, das mehrere Wochen lang anhielt.
1963: Zürichsee über einen Monat zugefroren
Nach 35 Tagen war der Zauber vorbei: Die Fläche wurde wieder gesperrt, da die oberste Eisschicht weich wurde. Menschen der Babyboomer-Generation und älter erinnern sich mit nostalgischen Gefühlen an die Seegfrörni. Jüngere kennen sie höchstens aus Erzählungen der Eltern und Grosseltern und von spärlichen Bildern aus jener Zeit. Die Fotodokumente lösen eine unbestimmte Sehnsucht aus: Wird es irgendwann wieder möglich sein, so etwas zu erleben? Können die grossen Seen angesichts des Klimawandels überhaupt noch zufrieren?
Rund 350 Minusgradtage sind laut Meteo Schweiz nötig, damit der Zürichsee zufrieren kann und eine tragfähige Eisdecke von 12 cm bildet. Die Anzahl Minusgradtage wird ermittelt, indem die negativen mittleren Tagestemperaturen ab dem 1. November zusammengerechnet werden. Nur dank solcher anhaltenden Kaltluftbedingungen kann der See wirklich abkühlen. «Wärmeres Wasser hat eine geringere Dichte und ‹schwimmt› sozusagen auf dem kalten Wasser», sagt Martin Schmid von der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut im ETH-Bereich. Er untersucht mit seiner Forschungsgruppe unter anderem den Einfluss des Klimawandels auf die Seen.
Damit ein See zufrieren kann, müsse sich an der Oberfläche eine Wasserschicht bilden, die kälter ist als 4 Grad. Dies geschieht erst, nachdem sich das gesamte Wasservolumen des Sees umgeschichtet hat. «Je wärmer der See am Anfang des Winters ist, desto kälter muss der Winter sein, damit das möglich ist», sagt Schmid. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts kühlten die meisten Seen in der Schweiz fast jeden Winter vollständig oder nahezu bis auf 4 Grad ab. «Aufgrund des Klimawandels haben sich die Seen aber inzwischen deutlich erwärmt, und eine Abkühlung auf 4 Grad ergibt sich nur noch bei kleineren Seen.»
Es braucht zwei kalte Winter
Der Bodensee beispielsweise kühlte sich in den letzten Wintern nur noch auf etwa 5,5 Grad ab. Damit die Wassertemperatur auf 4 Grad sinkt, müsste zunächst sehr viel Wärme aus dem See entfernt werden. Martin Schmid betont: «Ein einzelner sehr kalter Winter wie 1963, als der See letztmals zufror, würde dazu nicht ausreichen. Es bräuchte wohl mindestens zwei kalte Winter in Folge.» Dies sei nicht völlig ausgeschlossen, aber angesichts des immer wärmer werdenden Klimas sehr unwahrscheinlich.
«Die tiefen Gewässer wie der Bodensee, Vierwaldstättersee oder Zürichsee werden wohl kaum mehr zufrieren», folgert der Fachmann. Das sei aber auch schon früher nur selten der Fall gewesen. Das Zufrieren des Bodensees im Laufe der Jahrhunderte ist gut dokumentiert: Die Zahlen zeigen, dass der 536 km2 grosse Bodensee seit dem Mittelalter einige Male pro Jahrhundert teilweise oder ganz zufror, zuletzt in den Jahren 1830, 1880 und 1963. Je höher ein See liegt, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass er zufriert. Laut Schmid froren bis Ende des 20. Jahrhunderts Seen im Mittelland mit einer Tiefe von weniger als 20 Metern, wie der Greifen- und der Pfäffikersee, noch regelmässig zu.
Da bei diesen Seen nur ein geringeres Wasservolumen abgekühlt werden muss, ist es durchaus möglich, dass sie in einem ausserordentlich kalten Winter wieder einmal eine tragfähige Eisdecke haben werden. Durch die fortschreitende Klimaerwärmung werden solche Ereignisse aber immer seltener. Martin Schmid: «Von den grösseren Seen im Mittelland ist die Wahrscheinlichkeit dafür beim Pfäffikersee am grössten, weil er am wenigsten tief ist und zudem auch etwas höher liegt.»