Blick: Frau Kapeller, Sie haben mit «Lovely Planet» ein Buch über nachhaltiges Reisen geschrieben. Was verstehen Sie darunter?
Maria Kapeller: Ich sage lieber «verträglich» als «nachhaltig» Reisen. Meine Definition ist, erstens anzuerkennen, dass Reisen ein irrsinniges Privileg ist. Ein Sonderrecht. Geschätzt steigen nur rund fünf bis zehn Prozent der Menschen pro Jahr in ein Flugzeug. Wer es sich leisten kann, fliegt meist vergleichsweise oft. Ein kleiner Teil der Menschheit, und hier vor allem Überreiche, ist also für den Grossteil der Flugemissionen verantwortlich. Ist das fair? Nein! Verträglich zu reisen heisst also im ersten Schritt, solche Fakten anzuerkennen. Zweitens bedeutet es, beim Reisen andere Menschen gut zu behandeln und der Umwelt möglichst wenig zu schaden. Gerade die schönsten Urlaubsparadiese haben oft die schrecklichsten sozialen und ethischen Schattenseiten.
Der grüne Tourismus braucht oft Marketingbegriffe wie «Naturhotel» oder «Slow Travel». Es entsteht der Eindruck, als wäre nachhaltiges Reisen ein Luxusprodukt. Ist dem so?
Klar soll es auch für die zahlungskräftige Klientel Hotelangebote geben – deshalb gibt es viele grüne Marketingbegriffe und teure Naturhotels. Aber: Verträgliche Ferien müssen nicht teuer sein. Man kann mit dem Zug, Bus und Velo fahren oder zu Fuss gehen. Trampen, Weitwandern oder nahe Ferien machen. Günstig übernachten kann man in wunderschönen Bauernhöfen, auf Campingplätzen, in Hostels, kleinen Gästehäusern und Berghütten.
Was sind Tipps, damit verträgliches Reisen gelingt?
Der Grossteil der Emissionen einer Reise entsteht bei der Anreise und der Abreise. Deshalb ist es entscheidend, wie man anreist. Nicht unbedingt, wie man wohnt. Ich würde mich fragen: Warum reise ich eigentlich? Passt das zu mir – oder will ich etwas darstellen? Niemand will sich das eingestehen, aber Instagram und Co. zeichnen ein anderes Bild. Bei der Reiseplanung würde ich nach Bedürfnissen planen, nicht nach vorab gewählten Zielen oder günstigen Flugangeboten. Vielleicht habe ich in diesem Jahr schon viel gearbeitet. Ich will Entspannung – dafür muss ich nicht Tausende von Kilometern wegfliegen. Sowas ist anstrengend.
Verzichten Sie komplett aufs Fliegen?
Ich bin seit sieben Jahren in kein Flugzeug mehr gestiegen – wenn ich das jemals wieder tun würde, dann aus gutem Grund und es soll eine Ausnahme sein. Meine letzten Reisen habe ich rund um gute Zug- und Busverbindungen geplant. Da ist viel möglich – über Frankreich und Spanien mit der Fähre nach Marokko, nach Süditalien oder in den Norden nach London und Schottland. Verzicht ist das für mich nicht, sondern ein sehr entspanntes Lebensgefühl. Nachhaltiger zu reisen betrachte ich sowieso nicht als Verzicht, sondern als persönlichen und gesellschaftlichen Gewinn.
Kann nachhaltiges Reisen massentauglich werden? Oder ist das ein Widerspruch?
Ich zitiere gerne den Postwachstumsökonomen Niko Paech: «Wir sind zu mobil.» Das heisst nicht, dass die komplette Globalisierung rückgängig gemacht werden soll. Nur, dass jeder Mensch, der es sich leisten kann, nach Lust und Laune um den Globus fliegt, nicht weltverträglich ist. «Traumdestinationen» werden irgendwann so nicht mehr existieren. Aber: Wenn jetzt die gesamte fliegende Weltbevölkerung vom Flugzeug auf die Bahn umsteigen würde, wären die Zugsysteme auch überlastet.
Was ist Ihre Schlussfolgerung aus dieser Schwierigkeit?
Umdenken. Viel weniger reisen, die eigene Umgebung geniessen, den Park oder Garten vor der Haustür. Das Reisen als absolutes Privileg wieder schätzen lernen. Wird diese Haltung salonfähig, kann verträgliches Reisen massentauglich sein. Ganz wichtig ist, sich und als Gesellschaft zu fragen: Warum wollen wir immer weg? Wie können wir als Menschen «artgerechter» leben? Wie finden wir wieder mehr zu uns selbst, um nicht immer im Aussen nach etwas zu suchen?
Warum suchen wir die Ferne? Warum wählen alle dieselben Urlaubsorte aus? Wie weit geht es dabei nur um Realitätsflucht und Selbstdarstellung? Anhand solcher Fragen greift Reiseautorin Maria Kapeller die wichtigsten Aspekte der heutigen Reisekultur auf und diskutiert sie mit Expertinnen. Die Österreicherin zeigt auf, was Übertourismus und Überkonsum mit unserem Planeten machen und wie ein mit der Umwelt verträgliches Reisen gelingen kann.
Das Buch ist bei Kremayr & Scheriau erschienen und für 28 Franken und in mehreren Schweizer Bibliotheken erhältlich.
Warum suchen wir die Ferne? Warum wählen alle dieselben Urlaubsorte aus? Wie weit geht es dabei nur um Realitätsflucht und Selbstdarstellung? Anhand solcher Fragen greift Reiseautorin Maria Kapeller die wichtigsten Aspekte der heutigen Reisekultur auf und diskutiert sie mit Expertinnen. Die Österreicherin zeigt auf, was Übertourismus und Überkonsum mit unserem Planeten machen und wie ein mit der Umwelt verträgliches Reisen gelingen kann.
Das Buch ist bei Kremayr & Scheriau erschienen und für 28 Franken und in mehreren Schweizer Bibliotheken erhältlich.
Wo findet man Orientierung für die erste umweltbewusste Reise?
Bei sich selbst. Überlegen, wie viel Zeit man hat und wonach einem ist. Aufschreiben, wohin es gute und günstige Zugverbindungen gibt. Herausfinden, ob man lieber Zeit für sich oder sich einer Gemeinschaft anschliessen will.
Und wer sich hier schwertut?
Der kann ein Zugticket ins Nachbarland buchen und dort ein paar Tage verbringen. Am besten allein. Da nimmt man das «Exotische» im Nachbarland am besten wahr. Man kann auch Couchsurfing oder Workaway probieren, da wird man in den Alltag anderer Menschen eingebunden. Wer günstig und umweltbewusst reist, hat oft auch mehr Kontakt zu Einheimischen – und damit erfüllende Reiseerlebnisse.