Vor 50 Jahren starteten sie mit «Autobahn» durch
Gäbe es Techno ohne Kraftwerk?

Die Ausstellung «The Pulse of Techno/Techno Worlds» geht der Geschichte des Musikgenres nach. Bei einer Show in der Zürcher Photobastei ist auch Wolfgang Flür (76), der vor 50 Jahren als Mitglied von Kraftwerk das erste Elektroschlagzeug mitkonstruierte und spielte.
Publiziert: 13.01.2024 um 12:02 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2024 um 12:22 Uhr
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Das «klassische Kraftwerk-Line-up» mit Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür.
Foto: Getty Images
Christoph Soltmannowski

1974, vor 50 Jahren, erschien ihr Album «Autobahn»: Kraftwerk landete mit der Synthesizer-Hymne als erste deutsche Band in den US-Top-Five. Manche sagen, die deutsche Band Kraftwerk sei einflussreicher auf die Popmusik gewesen als die Beatles: Sie stand am Anfang von Synthpop, Disco, Industrial, Hip-Hop – und vor allem auch Techno gäbe es ohne die Ur-Elektroniker aus Düsseldorf möglicherweise nicht.

«Kraftwerk sind die Wegbereiter des Techno», sagt Juan Atkins (61). Der DJ aus der US-amerikanischen Industriestadt Detroit gilt als Pionier des Genres. Er und seine Mitstreiter mischten den Philly-Sound der Achtzigerjahre mit den Maschinen-Beats von Kraftwerk-Alben wie «Trans Europa Express», «Die Mensch-Maschine» und «Computerwelt».

«Elektronische Volksmusik» – genau das war es, wozu sich die Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter (77) und Florian Schneider (1947–2020) zum Ziel gesetzt hatten. Die beiden wollten eine Alternative schaffen zur damals angloamerikanisch dominierten Welt des Pop, Rock und Blues. In Deutschland der frühen Siebziger gab es nur das – und Schlager. Die beiden Musiker liessen sich auf der Suche nach zeitgenössischer Musik von der rheinländischen Industriewelt inspirieren.

Faule Eier für den Salatschüssel-Sound

Zur Erzeugung neuer Klänge nutzten die beiden damals erst herkömmliche Instrumente: Ralf spielte Elektro-Orgel, Florian Querflöte, wenn auch verfremdet. Sie spielten auch auf Salatschüsseln – sie klangen anders, was aber nicht alle als innovativ verstanden: Manchmal flogen faule Eier und Tomaten auf die Bühne.

Auf Anregung ihres Produzenten Conny Plank (1940–1987) setzen sie dann auf Elektronik, kauften einen der ersten erschwinglichen Synthesizer, einen Minimoog. Auf ihrer fast 23-minütigen Klangreise «Autobahn» von 1974 hört man Motoren und Hupen. In der Bundesrepublik fand man das zu banal. «Nicht veröffentlichungswürdig» urteilte das Musikfachblatt «Sounds». Im Mai 1975 kam die Überraschung: «Autobahn» fährt in den USA auf Platz 5 der Billboard-Charts! Eine flugs angesetzte US-Tournee schürte die Begeisterung in Übersee weiter: Aus 22 geplanten Konzerten wurden 44.

Wolfgang Flür live im Museum

Ex-Kraftwerker Wolfgang Flür kommt nach Zürich: In der Ausstellung und Eventreihe «Techno Worlds/The Pulse of Techno» in der Photobastei in Zürich (noch bis 31.März) präsentiert er am 2. Februar in seiner Performance aktuelle, tanzbare Tracks. Am 1. Februar findet am selben Ort zudem ein Live-Talk mit ihm statt.

Ex-Kraftwerker Wolfgang Flür kommt nach Zürich: In der Ausstellung und Eventreihe «Techno Worlds/The Pulse of Techno» in der Photobastei in Zürich (noch bis 31.März) präsentiert er am 2. Februar in seiner Performance aktuelle, tanzbare Tracks. Am 1. Februar findet am selben Ort zudem ein Live-Talk mit ihm statt.

Beflügelt vom internationalen Erfolg begann nun die produktivste Phase des Quartetts, mit den Alben «Radio-Aktivität» (1976), «Trans Europa Express» (1977), «Die Mensch-Maschine» (1978) und «Computerwelt» (1981). Melodien und Texte setzten den metallischen Beats Melancholie und Romantik entgegen. Minimalität statt Bombast: Manchmal piepsten auch nur Taschenrechner.

«Wir warfen unsere Gitarren weg»

Kraftwerk inspirierte viele andere Musiker: Angefangen mit David Bowie, er widmete Florian Schneider den Song «V2-Schneider». Andy McCluskey von OMD erinnert sich: «Nachdem wir sie gehört hatten, warfen wir unsere Gitarren weg.» Auch Synthie-Bands wie Human League und Depeche Mode berufen sich auf sie. Afrika Bambaataa verwendete ihren Beat auf seinem Album «Planet Rock», das heute als Grundstein des Hip-Hops gilt.

«Funky Germans» inspirieren die Techno-Erfinder

Auf ihrer Tournee 1981, wo sie sich zeitweise von Roboter-Doubles vertreten liessen, wurde der damals erst 17-jährige Juan Atkins vom Kraftwerk-Virus infiziert. Atkins gilt heute zusammen mit Derrick May und Kevin Saunderson als Begründer des Detroit-Techno, oder gar der Techno-Bewegung überhaupt. «Kraftwerk war Funk», sagt Atkins, «Bei ihrem Song ‹Pocket Calculator› ging es in unseren Clubs ab wie verrückt.»

Techno wird zur Kulturbewegung

Dann setzten die rhythmischen und tanzbaren Sounds ihren Siegeszug rund um die Welt fort, donnerten und bebten durch die Clubs der späten Achtziger, lösten in Berlin die Loveparade aus – und die Vibes schwappten zu uns in die Schweiz über, wo House- und Techno-Sounds in legalen und illegalen Orten dröhnten, gipfelnd in der Street Parade: mittlerweile mit rund einer Million Mittanzenden der grösste Techno-Event der Welt.

Um Kraftwerk wurde es indessen ruhiger – seit 2003 erschienen keine neuen Songs. Dennoch tourt die Band weiter um die Welt, wobei von der Urbesetzung nur noch Ralf Hütter dabei ist.

Dafür, was die vier Mitglieder des «klassischen Kraftwerk-Line-ups», Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos (71) und Wolfgang Flür (76), vor 50 Jahren ins Rollen gebracht haben, wurde ihnen 2021 ein Platz in der Ruhmeshalle zuteil: Die Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame als erste und einzige deutsche Band.

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