Für viele Menschen gilt der Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI) als erster Schritt in eine dystopische Welt, in der Unterhaltungskonzerne künstlerisches Talent digitalisieren und menschliche Arbeit ersetzen. Nicht so für Holly Herndon (43).
Die amerikanische Musikerin gilt als eine der Vorreiterinnen der KI-Kunst. Bereits seit mehreren Jahren beschäftigt sich Herndon mit KI-Algorithmen, die sie selber trainiert und entwickelt. Für ihr drittes Studioalbum «Proto» kollaborierte sie etwa mit der KI «Spawn», die Herndon zusammen mit ihrem Ehemann Mat Dryhurst (39) entwickelte. Damit die KI musizieren konnte, wurde sie durch Hunderte Sängerinnen und Sänger trainiert. Daraus resultierte eine sonderbar synthetisch klingende «Stimme», die Herndon etwa verwendete, um Perkussionsinstrumente neu zu interpretieren. Die Symbiose aus menschlicher Musik und KI führt dabei zu beinahe ausserirdischen Klängen.
Das grosse Geschäft liegt in geklauten Bildern
Vorletztes Jahr veröffentlichte Herndon mit Holly+ eine digitalisierte Version ihrer eigenen Stimme. Sie wurde mit Tonaufnahmen der «echten» Herndon trainiert. Mittlerweile kann der Algorithmus gar mehr als seine Schöpferin: Holly+ ist im Gegensatz zu Herndon nicht limitiert durch Sprachbarrieren oder den menschlichen Stimmumfang. Die Musikerin stellt es allen interessierten Menschen frei, mit ihrem digitalen Stimmabbild zu komponieren. Herndon schwebt gar vor, dass sich in Zukunft Musikerinnen und Musiker mit ihrer digitalen Kopie auf Tour begeben.
Herndon gehört zu einem wachsenden Kreis von Kunstschaffenden, die sich mit eigenen KI-Entwicklungen gegen die grossen Tech-Unternehmen stellen. Denn in der Branche herrscht Unbehagen: In den Datensätzen, die für das Training vieler Algorithmen verwendet werden, stecken meist Tausende geschützte Bilder. Was im Internet landet, wird verwendet – ohne Zustimmung der Urheberinnen und Urheber. Die grossen KI-Algorithmen verdanken ihren rasanten Aufstieg also unter anderem geklauter Kunst.
KI für Künstler sowohl Gefahr als auch Chance
Für Kunsthistorikerin Sabine Himmelsbach (56) ist es kein Problem des künstlerischen Diebstahls, sondern des kommerziellen: «Kunststile können nicht geschützt werden, nur ein Kunstwerk. Letztendlich inspirieren wir Menschen uns genauso aus unserer Umgebung – so entstanden schlussendlich viele Kunstströmungen.» Himmelsbach ist Direktorin des Hauses der elektronischen Künste in Münchenstein BL. «Die grundsätzliche Problematik bleibt, dass die Wertschöpfung bei den KI-Unternehmen liegt und nicht mehr beim Künstler – obwohl dessen Kunst verwendet wird», sagt Himmelsbach.
«Uns Musikern war es immer wichtig, unser geistiges Eigentum zu schützen – aus guten Gründen.» Mit diesen Worten begann Herndon 2021 ihre Präsentation zu Holly+ an der Innovations-Konferenz TED. Herndon lässt ihr digitales Abbild von einer sogenannten dezentralen, autonomen Organisation (DAO) verwalten. Diese setzt fest, was das Tool tun darf und wie es kommerzialisiert werden soll. DAOs sind der neue Trend in der digitalen Kunstbranche. Sie fungieren als Kontrollgremien, deren Regeln und Finanzen durch ein auf einer Blockchain gespeichertes Computerprogramm gesteuert werden. Dabei existieren keine Geschäftsführer oder Aktionärinnen – die Organisation wird von der Gesamtheit ihrer Mitglieder kontrolliert.
Viele KI-Künstler benutzen DAOs für ihre Werke – so etwa Mario Klingemann (53). Wie Herndon entwickelte er einen eigenen KI-Algorithmus namens «Botto». Die Software generiert wöchentlich neue Bilder, die anschliessend von einem Gremium kuratiert und als NFTs verkauft werden. «Interessant ist, dass Klingemann damit die Entscheidung, was davon künstlerischen Wert hat, direkt an ein potenzielles Publikum auslagert», sagt Himmelsbach. Sie sieht den Aufstieg der künstlichen Intelligenz als Chance für die Kunst: «Im Zusammenspiel von KI und Künstlern entstehen neue, spannende Bildwelten.»
Neue Regulierungen sind nötig
Künstlerinnen und Künstler, die ihre eigenen Algorithmen trainieren, sind dennoch eine Ausnahme: Das grosse Business liegt in den Anwendungen von Unternehmen wie etwa OpenAI oder Midjourney. Um Bilder und Texte zu generieren, benötigen KI-Algorithmen im «Training» eine grosse Anzahl Daten. Bereitgestellt werden sie in offenen Datenbanken – etwa durch die deutsche Organisation Laion. Viele der so trainierten KI-Anwendungen erlauben den Endkunden die kommerzielle Nutzung der generierten Inhalte. Oftmals sichern sich die Unternehmen durch ihre AGB zusätzlich gar das Recht, Eigentümer der generierten Werke zu bleiben. In die Röhre blicken dabei Kunstschaffende, deren Werke für das KI-Training verwendet wurden. Wie ist das möglich?
«Künstlerinnen und sonstige Rechteinhaber sind in einer schwierigen Situation», sagt Jurist Martin Steiger (44), Experte für digitales Recht. «Wo die rechtlichen Grenzen liegen, ist meines Erachtens noch längst nicht klar.» Sie müssten zuerst durch Gerichtsverfahren und neue Regulierungen definiert werden. Sowohl Steiger als auch Himmelsbach zeigen sich zuversichtlich, dass diese folgen werden. Etwa durch Modelle, bei denen Urheberinnen und Urheber ihre Zustimmung geben müssen.
Musikerin Herndon arbeitet bereits an einer Lösung: Zusammen mit Ehemann Dryhurst entwickelt sie den KI-Standard «Source+». Er soll es Künstlerinnen und Künstlern erlauben, selbst zu entscheiden, ob sie ihre Werke dem KI-Training anbieten wollen. Herndon und Dryhurst hoffen, dass namhafte KI-Entwickler den Standard übernehmen werden.
Nicht jedes KI-Werk ist gleich Kunst
Auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette stellt sich derweil auch die Frage, wann ein KI-Bild überhaupt urheberrechtlich geschützt werden darf. Gemäss Experte Steiger komme es schlussendlich auf den Einzelfall an. «Bei Software stellt sich stets die Frage, ob ein kreatives menschliches Schaffen vorliegt oder nicht», sagt Steiger. Das Urheberrecht gilt also nur, wenn genügend Leistung in das Verfassen der Eingaben geflossen ist. «Heute spricht man bereits von der Spezialisierung als «Prompt Engineer». Man könnte die Tätigkeit genauso als künstlerisch verstehen», sagt Steiger.
Doch auch wenn diese Bedingungen erfüllt sind: Ob das Werk dann gleich als Kunst gilt, darf diskutiert werden. «Viele KI-Werke sind sehr generisch und damit auch langweilig», sagt Himmelsbach. «Die Frage ist, wie man damit gute Kunst machen kann.» KI-Befehle als modernes Äquivalent zu Pinsel und Staffelei? Himmelsbach stimmt dem Vergleich zu. Denn auch um mit KI Kunst zu kreieren, brauche es die menschliche Kreativität. «Ich finde es daher wichtig, dass Künstlerinnen und Designerinnen KI als Mittel der Gestaltung erlernen», sagt Himmelsbach.
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