Fast 40 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz hat Migrationsgeschichte und somit Wurzeln in einem anderen Land als der Schweiz. Leute aus den Ländern Ex-Jugoslawiens bilden eine der grössten Einwanderungsgruppen in der Schweiz. Und auch Tausende Menschen aus Osteuropa leben hier.
Der Sommer ist eine beliebte Zeit, um die Familie zu besuchen. Auf dem Carparkplatz Sihlquai in Zürich machen sich derzeit viele Menschen bereit für die oft über 20-stündigen Reisen nach Kosovo, Nordmazedonien, Serbien. Oder etwas kürzere Fahrten, zum Beispiel nach Tschechien. Im Gepäck haben sie nebst Proviant auch Geschenke für die Verwandten. Und viele Emotionen.
Zeqije Arifi
- Fährt nach Presevo, Serbien.
- Im Gepäck: T-Shirts, Blusen und Schuhe für die Familie.
«Ich fahre nach Hause, meine Familie in Südserbien besuchen. Diesmal musste es schnell gehen mit der Abreise – eine Verwandte ist krank. Trotzdem: Es ist ein schönes Gefühl vor der Reise. Ich bleibe vier Wochen. Normalerweise fahre ich zweimal im Jahr, jeweils für mehrere Wochen. Wenn ich dort bin, fühle ich mich gut. Aber weil wir schon so lange in der Schweiz leben, freuen wir uns auch wieder, hierher zurückzukehren. Wenn ich in die Schweiz fahre, nehme ich nicht viel mit. Ich möchte keine Probleme kriegen an der Grenze.»
Endrit Gashi*
- Fährt nach Gjilan, Kosovo.
- Im Gepäck: Koffer von Mutter und Vater, Proviant – Snickers, Knoppers, Sandwiches.
«Ich fahre zum ersten Mal mit dem Bus nach Kosovo. Die Flüge sind zu teuer. Die Fahrt dauert 24 Stunden – aber dafür sehe ich meine Familie. Ich habe die Nacht durchgemacht und Fussball gespielt. Jetzt schlafe ich bis nach Gjilan. Dort haben wir viel Familie. Ich bin glücklich, dass ich sie nun wieder sehe. Mehr Freude kann man gar nicht haben. Kosovo ist mein Heimatland. Die Schweiz ist auch eine gute Sache. Aber Heimat hast du im Blut. Dass es in Kosovo auch Armut gibt, macht mich traurig. Wie viele andere unterstützen auch wir unsere Familie mit verschiedenen Sachen. Gerade eingeladen habe ich den Koffer von meiner Mutter und meinem Vater. Sie sind mit dem Auto unterwegs und so haben sie nun mehr Platz.»
Milorad
- Fährt nach Smederevo, Serbien.
- Im Gepäck: nur wenig diesmal, 2 kleine Koffer.
«Ich fahre nach Smederevo, die Familie meines Bruders lebt dort. Ab und zu fliege ich auch mit dem Flugzeug, aber ich finde es einfacher, jetzt mit dem Bus zu fahren. Dann kann man mehr Gepäck mitnehmen. Und es ist billiger. Vor der Reise geht es mir super. Es wird eine lange Fahrt. Alle wollen gleichzeitig über die Grenze. Da muss man Geduld haben. Die Familie zu sehen und Ferien zu Hause zu machen, ist das Beste an der Reise. Ferien sind immer gut, für jeden. In der Schweiz gefällt es mir auch gut. Ich bin seit 25 Jahren hier und habe bei Brugg gearbeitet. Seit zwei Wochen bin ich pensioniert. Ich will weiter hier in der Schweiz bleiben, aber doch auch in Serbien sein. Bitzeli bleiben, bitzeli retour.»
Dušica Gabor
- Fährt nach Novi Sad, Serbien.
- Im Gepäck: Schoggi für die Familie, Kleider für die Kinder. Für sich: «Coopzeitung», Sandwiches, Wasser, andere Schuhe, zweite Bluse.
«Ich bin pensioniert und Grossmutter. Ich sage jeweils, dass ich gerne unten im Doppelstockbus sitzen möchte. Sie kennen mich schon. Ich fahre seit 6 Jahren mit diesem Bus. Ich finde die Reise nicht anstrengend. Ich denke, dass es für die Leute, die am Tag zuvor oder heute noch gearbeitet haben, anstrengender ist. In Novi Sad gehe ich am liebsten spazieren. Ich bleibe drei Wochen. Normalerweise fahre ich viermal im Jahr hin. Meine Tochter und der Enkel machen Ferien in Spanien. Aber da ist es mir zu heiss am Meer. Für mich ist es normal, von einem Teil meiner Familie getrennt zu sein. Wenn ich will, rufe ich sie an oder sie rufen mich an. Meine Familie aus Serbien kommt mich nicht besuchen hier in der Schweiz. Sie haben keine Zeit. Bekannte hingegen schon. Sie wollen die Schweiz anschauen. Die Jungen sagen: Es ist sehr schön hier, aber wir gehen wieder nach Hause. Ich selbst möchte hier in der Schweiz bleiben. Aber wenn ich älter bin, überlege ich mir vielleicht, in ein Altersheim in Serbien umzuziehen. Für serbische Verhältnisse ist das teuer. Die Renten sind tief. Oft erhalten die Leute Unterstützung aus dem Ausland von der Familie – auch wir unterstützen unsere Familie. Gerade die erwachsenen Kinder bezahlen für die Älteren. Hier in der Schweiz ist das anders.»
Alma Asipi
- Fährt nach Tetovo, Nordmazedonien.
- Im Gepäck: Sommerkleider für sich, Schoggi und Spielzeug für die Familie und die Kinder.
«Für mich ist die Busfahrt ein schönes Erlebnis. Man lernt unterwegs die Leute im Bus kennen. Da vergeht die Zeit schnell. Im Bus gibts auch Internet. Oder ich lerne unterwegs. Wir steigen in Tetovo aus. Wir haben viele Verwandte dort. Und es kommen auch jene, die in der ganzen Welt verstreut leben. Viele sind in meinem Alter. Mit ihnen gehe ich gerne in die Stadt, wir essen gut, besuchen die Chilbi, die es in den Ferien gibt. Ich bin aufgeregt, meine Familie nach so vielen Monaten wiederzusehen. Wir facetimen zwar oft, aber das ist nicht dasselbe. Wenn ich zurückfahre, bin ich traurig – aber freue mich schon auf den nächsten Besuch. Was die Leute über Nordmazedonien wissen sollten? Nordmazedonien ist abwechslungsreich. Es gibt Berge, Seen, Kultur, Museen. Es ist was für Leute, die gerne Städte besuchen, wandern, Ski fahren.»
Pavlina
- Fährt nach Prag.
- Im Gepäck: Geschenke für die Familie, sommerliche Kleider für sich.
«Ich besuche meine Familie und dann fahren wir gemeinsam in die Ferien. Für unterwegs habe ich etwas zum Lesen und Musik dabei. Ich bin 2012 in die Schweiz gekommen und wohne in der Nähe von Aarau. Für mich ist es nicht schlimm, dass meine Familie in Tschechien lebt. Prag ist nicht so weit weg und gut erreichbar. Ich bin nicht aufgeregt. Ich reise oft nach Tschechien. Um 4.30 Uhr werde ich bereits in Prag sein. Und dieser Bus ist super. Man bezahlt etwas mehr, aber kriegt auch mehr. Im unteren Stock gibt es ein Bistro. Dort trifft man Leute, kommt ins Gespräch. Danach geht man schlafen und wenn man aufwacht, ist man bereits am Ziel.»
Matti Weber
- Fährt nach Prag.
- Im Gepäck: wenig.
«Ich nehme den Bus, weil es eine Gewohnheit der Familie ist. In Prag kommt mich meine Grossmutter abholen. Meine Mutter ist aus Tschechien und ihre Familie lebt auch heute noch dort. Ich selbst spreche Tschechisch. Meine Grosseltern gehe ich jedes Jahr besuchen. Das ist nie langweilig. Wir machen viele Ausflüge. Am liebsten mag ich jene in die Waldhütte meiner Grosseltern. Was mir in Tschechien besonders gut gefällt? Es ist anders – es ist nicht so strikt wie hier in der Schweiz. Vor der Abfahrt ärgere ich mich nun ein wenig. Ich wollte einen Platz in der ersten Reihe oben, vor dem grossen Fenster. Aber da war schon alles besetzt.»
Familie aus der Schweiz und Kosovo
- Fährt nach Mrasor, Kosovo
- Im Gepäck: Hausrat.
«Unser Bus hat schon fast eine Stunde Verspätung. Wir leben in der Schweiz und sind aus Kosovo. Dort haben wir ein Haus. Aber zum Einrichten wollte ich alles hier kaufen. Für mein Busticket habe ich nur 90 Franken bezahlt. Dafür dauert die Fahrt 20 Stunden. Wir bleiben zwei Wochen», sagt die Mutter.
«Nicht drei Wochen?», fragt der Sohn auf Albanisch.
«Mein Mann kommt später nach. Dann fahren wir in die Berge, um uns etwas zu erholen.»
*Name der Redaktion bekannt