«Stell dir vor, was ich kaufen könnte, hätte ich alles Geld der Welt», singt Gwen Stefani (54) in ihrem Hit «Rich Girl». Schon immer strebte der Mensch nach Reichtum. In der Schweiz leben überdurchschnittlich viele, die ihn haben. Donnerstagabend veröffentlichte die Bilanz die jährliche Liste der 300 wohlhabendsten Schweizerinnen und Schweizer.
Auch wenn es für Geringverdiener schon fast zynisch klingt: Glücklicher macht sehr viel Geld nicht – im Gegenteil.
So ticken Reiche
«Natürlich sind Superreiche nicht alle gleich», sagt Ueli Mäder (72). Er ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Basel und forscht seit vielen Jahren zu Reichtum und sozialer Ungleichheit. Doch gebe es wohl mehr Leute in höheren Gefilden mit weniger Sozialkompetenz, dafür spitzen Ellenbogen. «Sonst wären sie kaum hingekommen, wo sie heute sind.»
Besonders Neureiche, die in kurzer Zeit zu grossem Reichtum gekommen sind, zeichnen sich dadurch aus, sich egomanisch durchzusetzen – öfters auch auf Kosten anderer, so Mäder, der zahlreiche Interviews mit den wohlhabendsten Landsleuten geführt hat und über seine Studien drei Bücher veröffentlicht hat. «Oben angekommen, fürchten sie dann ständig, wieder abzufallen.»
Je mehr Geld, desto weniger aufrichtig ist zuweilen das Wohlwollen: Das Umfeld von Superreichen werde bald einmal zu homogen, sagt Mäder. «Wer viel Wohlstand und Macht hat, zieht Leute an, die einen gern in den Himmel loben.» Das Ergebnis: Misstrauen in die eigenen Beziehungen sowie Realitätsverlust.
Die Krankheiten sind weiter fortgeschritten
Die Schattenseiten des Reichtums zeigen sich jeden Tag an der Sonnenseite des Zürichsees. In einer der exklusivsten Kliniken, «Paracelsus Recovery», lassen sich am Utoquai weltberühmte Hollywoodstars, Politikerinnen oder Mitglieder der Königsfamilien wegen psychischer Probleme behandeln. Kosten: ab 95’000 Franken die Woche.
«Depressionen, Burnout, Angststörungen und Suchtprobleme gehören zu den häufigsten Erkrankungen», sagt Jan Gerber (42). Er ist CEO der Klinik. Sei die Hemmschwelle, bei einer psychischen Krankheit Hilfe in Anspruch zu nehmen, schon bei Normal- oder Geringverdienern gross, liege sie bei Reichen nochmals viel höher.
Normalerweise würden Betroffene oft von ihrem Umfeld auf das veränderte Verhalten aufmerksam gemacht. «Bei Superreichen ist es jedoch oft so, dass das Umfeld sich fürchtet, das Problem anzusprechen – oder sogar davon profitiert, wenn sie abstürzen.»
Der Trugschluss der Zeit
Dass Armut Gift ist für die psychische Gesundheit, ist keine Überraschung. Doch sehr grosses Reichtum macht auch nicht happy: So steigt die Zufriedenheit im Schnitt parallel zum Lohn – aber «nur» bis zu einem Einkommen von umgerechnet rund 440’000 Franken pro Jahr, wie eine Studie der US-Forscher Daniel Kahneman und Matthew Killingsworth vergangenes Jahr zeigte.
Der Zufriedenheitsverlauf ähnele einer verkehrten U-Kurve, sagt Gerber. «Zu wenig Geld ist ungesund, zu viel genauso». Sein Team beobachte bei den superreichen Patientinnen und Patienten ähnliche Traumata wie bei Menschen aus armen Verhältnissen: Emotionale Vernachlässigung und Abwesenheit der Eltern in der Kindheit. Denn: «Dass reiche Eltern mehr Zeit haben, ist ein Trugschluss», sagt Gerber.
Der Druck, dem Familienerbe gerecht zu werden und etwas zu erreichen, sei in den obersten Kreisen brutal. «Sie sind deshalb dreimal stärker gefährdet, eine Sucht zu entwickeln», weiss Gerber. Auch dass sie an einer Bindungsstörung oder narzisstischen Störung leiden, ist viel wahrscheinlicher. «Mit umso drastischeren Konsequenzen, da oft tausende von Menschen von den Betroffenen abhängig sind.»
Mitleid mit Superreichen zu empfinden, falle vielen Menschen schwer, weil sie scheinbar alles haben, sagt Gerber. «Dabei führen sie oft ein extrem einsames Leben mit wenig Liebe und Geborgenheit.» Trotzdem: Die Schwierigkeit, einen Therapieplatz zu finden, fällt bei Superreichen wohl schon einmal weg.
Lebenssinn wird zum Privileg
Wer alles hat, stumpft ab, das weiss Gerber aus dem Alltag in der Klinik. Für viele Reiche mit psychischen Problemen sei es deshalb essenziell, einen Sinn im Leben zu suchen. Eine Leidenschaft oder ein sozialer Gedanke, für den man am Morgen aufsteht. «Hier kommen wir wieder zum Luxus», sagt Gerber: «Weil sie genügend Geld haben, müssen sie nicht fürchten, dass sie ihren Lebensunterhalt mit der neuen Tätigkeit nicht verdienen können.»
Dieses Privileg sollen Superreiche verantwortungsbewusster nutzen, fordert Soziologe Mäder: «Sie verfügen über Einfluss und sollten sich mehr um Umwelt- und soziale Fragen kümmern.» Oft sei jedoch eher das Gegenteil der Fall.