Sabine Meyer vom Podcast «Beziehungskosmos»
«Ich hörte zu und war so glücklich»

Radiofrau Sabine Meyer (42) war eine der Ersten in der Schweiz, die Podcast-Formate umsetzte. Ein Gespräch über den Boom dieses noch jungen Mediums, ihren eigenen preisgekrönten Podcast «Beziehungskosmos» – und was sie über Beziehungen gelernt hat.
Publiziert: 10.09.2023 um 16:43 Uhr
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Journalistin Sabine Meyer hat viel Erfahrung mit Podcasts. Ihr «Beziehungskosmos» gilt als bester Podcast der Schweiz.
Foto: STEFAN BOHRER

Podcasts waren vor wenigen Jahren noch weitgehend unbekannt in der Schweiz. Heute hören fast drei Millionen Menschen Podcasts. Was macht den Reiz dieses Mediums aus?
Sabine Meyer: Jede Person findet im Podcast-Universum Inhalte genau nach ihrem Bedürfnis und Geschmack. Auch zu Nischenthemen, die in den Massenmedien nicht berücksichtigt werden. Zudem kann man die Audioinhalte dann abrufen, wenn es einem passt: beim Joggen, Bügeln oder zu zweit bei einem Glas Wein.

Lechzen wir auch nach Abwechslung zum Bildschirm?
Ich glaube nicht, dass eine Bildschirmmüdigkeit ausschlaggebend ist für den Boom. Dass Podcasts über die Ohren gehen, bietet inhaltlich einige Chancen: für intime Themen zum Beispiel oder dass Menschen bereit sind, sich zu äussern, die dies vielleicht im Bild nie tun würden. 

Das Podcast-Angebot ist unüberschaubar. Wie findet man die Perlen?
Podcast-Charts können da helfen oder andere Auflistungen. Ich persönlich verlasse mich für neue Entdeckungen gerne auf Empfehlungen aus meinem Freundeskreis. 

Podcasts boomen

Das Medium Podcast wird immer beliebter. Dies zeigt die aktuelle Digimonitor-Studie Mediennutzung Schweiz, die Ende August publiziert wurde. Das noch junge Medium Podcast erreicht 2,9 Millionen Menschen ab 15 Jahren in der Schweiz zumindest gelegentlich, 6 Prozent nutzen täglich Podcasts, das entspricht 400'000 Menschen. Diese Zahl ist innert eines Jahres um ein Drittel gewachsen.

Beim Begriff Podcast handelt es sich um ein Kunstwort, zusammengesetzt aus «Pod» (play on demand) und «Cast», abgekürzt vom Begriff Broadcast (Rundfunk). Ein einzelner Podcast besteht aus einer Serie von Audiobeiträgen.

Auch die Blick-Gruppe hat Podcasts im Angebot: www.blick.ch/podcasts

Das Medium Podcast wird immer beliebter. Dies zeigt die aktuelle Digimonitor-Studie Mediennutzung Schweiz, die Ende August publiziert wurde. Das noch junge Medium Podcast erreicht 2,9 Millionen Menschen ab 15 Jahren in der Schweiz zumindest gelegentlich, 6 Prozent nutzen täglich Podcasts, das entspricht 400'000 Menschen. Diese Zahl ist innert eines Jahres um ein Drittel gewachsen.

Beim Begriff Podcast handelt es sich um ein Kunstwort, zusammengesetzt aus «Pod» (play on demand) und «Cast», abgekürzt vom Begriff Broadcast (Rundfunk). Ein einzelner Podcast besteht aus einer Serie von Audiobeiträgen.

Auch die Blick-Gruppe hat Podcasts im Angebot: www.blick.ch/podcasts

Ist das Potenzial dieses noch jungen Mediums bereits ausgeschöpft?
Bis jetzt hat vor allem die Technologie die Entwicklung geprägt. Da bin ich sehr gespannt, welche neuen Möglichkeiten es durch technologische Fortschritte noch geben wird. Im Moment sind Videocasts im Trend: Man filmt sich beim Podcast-Aufnehmen. 

Und inhaltlich?
Aktuell sehe ich wenig Innovation, dafür viele Kopien: Man steigt auf ähnliche Weise in die Podcast-Folgen ein, baut den Rhythmus ähnlich auf. Meine persönliche Ambition ist es, bei jedem neuen Format inhaltlich etwas Neues auszuprobieren. 

Foto: STEFAN BOHRER

Was sind die wichtigsten Zutaten für einen erfolgreichen Podcast?
Zuerst mal muss er heute technisch gut daherkommen, also professionell produziert sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen Hörerinnen und Hörer schlechte Mikrofone oder Hall tolerierten. 

Was braucht es noch?
Der Podcast muss etwas Eigenes haben, eine Nische besetzen. Das Storytelling muss gut sein bezüglich Rhythmus, Dramaturgie, Emotionen. Dann braucht es aber immer auch noch Glück und gutes Timing. 

Gehen viele naiv an das Projekt Podcast heran?
Oft wird unterschätzt, wie schwierig es ist, ein gutes Gespräch zu führen. Man muss schnell denken und reagieren. Audio verzeiht nichts: Man sagt etwas, und es ist draussen. Viele sind zudem ernüchtert, wie aufwendig alles ist. Erst recht, wenn der Podcast nach dem Veröffentlichen in der Masse untergeht. 

Sind etablierte Medienmarken im Vorteil?
Ja, denn sie haben eine viel grössere Reichweite und ganz andere Budgets. Ich wünschte mir deshalb von Medienhäusern mehr Innovation und Investition in spezielle Storytelling-Formate. Für die freie Szene ist es zudem schwierig, für eine unkonventionelle Idee oder komplexe Recherche eine Finanzierung zu finden. Da fehlt es in der Schweiz an Audio-Förderung.

Ihr Podcast «Beziehungskosmos», den Sie mit der Paar- und Psychotherapeutin Felizitas Ambauen machen, zeigt, dass auch ein unabhängiger Podcast an die Spitze der Charts klettern kann.
Wir sind immer noch die Ausnahme. Vielleicht sind wir das blinde Huhn, das das Körnlein gefunden hat. Unser Podcast startete ohne Marketingabteilung oder riesige Community im Rücken. Bei uns lief es über Mund-zu-Mund-Propaganda; das scheint immer noch die beste Werbung.

Die Podcast-Pionierin

Sabine Meyer (42) hat Medien und Kommunikation in Freiburg studiert und startete 2006 als Stagiaire bei SRF. Sie arbeitete für die Newssendung «Regionaljournal», bevor sie zur Hintergrundsendung «Input» wechselte. Ab 2017 setzte sie für SRF Podcast-Formate um, 2020 startete sie mit Felizitas Ambauen den unabhängigen Podcast «Beziehungskosmos». Sabine Meyer ist heute selbständig erwerbend; sie ist Dozentin, bietet Beratungen zur Umsetzung von Podcasts an und macht freie Arbeiten im Audiobereich. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Primarschulalter in der Stadt Zürich.

Sabine Meyer (42) hat Medien und Kommunikation in Freiburg studiert und startete 2006 als Stagiaire bei SRF. Sie arbeitete für die Newssendung «Regionaljournal», bevor sie zur Hintergrundsendung «Input» wechselte. Ab 2017 setzte sie für SRF Podcast-Formate um, 2020 startete sie mit Felizitas Ambauen den unabhängigen Podcast «Beziehungskosmos». Sabine Meyer ist heute selbständig erwerbend; sie ist Dozentin, bietet Beratungen zur Umsetzung von Podcasts an und macht freie Arbeiten im Audiobereich. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Primarschulalter in der Stadt Zürich.

Wann haben Sie realisiert, dass es funktioniert?
Als wir die ersten 10'000 Downloads hatten, sind wir fast ausgeflippt. Das war etwa ein halbes Jahr nach dem Start. 

Heute sind es über fünf Millionen Downloads.
Die genauen Zahlen sind für uns nicht so relevant, weil wir keine Werbung schalten. Relevant für mich ist: Unsere Zahlen sind konstant hoch, steigen sogar noch, und das ist grossartig. 

Sie arbeiten spendenbasiert. Wie funktioniert das?
Es ist ein sehr fragiles Konstrukt, wir wissen nie, wie der nächste Monat finanziell aussieht. Wir haben aber eine treue Community, die wertschätzt, was wir machen, und dass wir werbefrei sind. 

Wie hoch sind die Spenden?
Es gibt alles Mögliche, von einem Franken bis zu 50 Franken oder mehr. Das haben wir bewusst offengelassen. Wir wollen keine Hürde schaffen für den Zugang zu den Themen, die wir besprechen. 

Sie waren in der Schweiz eine Podcast-Pionierin.
Den ersten SRF-Podcast machte ich mit der Journalistin Patricia Banzer vor sechs Jahren. Damals mussten wir fast jedem das Wort Podcast erklären. Die einen meinten, das sei ein Hype, der bald vorübergehen würde. Andere wussten nicht einmal, dass sie auf ihrem Smartphone eine App zum Podcast-Abspielen hatten. Unsere Arbeit hatte den Status eines Experiments. 

Foto: STEFAN BOHRER

Was faszinierte Sie an dem neuen Medium?
Den ersten Podcast empfahl mir ein Kollege 2010: «This American Life». Ich hörte zu und war so glücklich: Endlich wieder mal recherchierte Geschichten, die in Ruhe erzählt werden. Beim Radio war die Tendenz gegensätzlich: schneller, kürzer. Mit dem Podcast kam für mich etwas zurück, das mit dem Hörspiel verloren gegangen war, aber nicht fiktional, sondern journalistisch. Mich hat das auf einer persönlichen und professionellen Ebene geflasht. Plötzlich gab es für mich wieder einen Weg, Journalismus so zu machen, wie ich mir das wünschte. 

«Beziehungskosmos» wurde dieses Jahr als bester Podcast des Landes preisgekrönt. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Das ist eine sehr schwierige Frage. In vielen Podcasts geht es um den Host und seine Persönlichkeit, oder man diskutiert nicht mit-, sondern gegeneinander. Felizitas und mir geht es nicht um uns, wir suchen den Konsens, wir wollen ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchten, ohne ein Urteil zu fällen. Unsere Werthaltung wird geschätzt. Uns wird gesagt, dass wir eine angenehme Stimmung kreieren, sodass man gerne mit uns am Tisch sitzen würde. Sicher ist auch Beziehung als Thema gut für einen Podcast: Viele Leute haben einen Anknüpfungspunkt. Und wir haben den Vorteil, dass wir beide in unseren professionellen Rollen vor dem Mikrofon sitzen. Als Psychotherapeutin ist sie für den Inhalt verantwortlich und ich als Journalistin für die Gesprächsführung. Es ist ein Glückstreffer, dass wir uns gefunden haben.

Wie kommen die Episoden zustande?
Felizitas und ich treffen uns einmal im Monat bei mir zu Hause oder bei ihr in der Praxis in Fürigen im Kanton Nidwalden. Wir nehmen jeweils zwei Episoden auf. Dazwischen sehen wir uns nie, telefonieren auch nicht. Wir vereinbaren vorgängig die Themen, lesen beide Fachliteratur, dann schickt sie mir ihre Gedanken dazu, ich ergänze, baue das Gerüst für das Gespräch, wir senden uns je eine Sprachnachricht und treffen uns für die Aufnahme. Super effizient. 

Wie viele Episoden kommen noch?
Es ist lustig, bei Folge 9 dachte ich, jetzt haben wir die Themen dann langsam durch. Und jetzt bei Folge 76 ist unsere Themenliste so lang wie noch nie. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Was hat Sie inhaltlich am meisten überrascht in diesen 76 Podcast-Folgen?
Wie sehr die Beziehungsebene von der Gesellschaft und ihren Normen geprägt ist und wie es nicht reicht, Beziehungsthemen nur auf der individuellen Ebene zu besprechen. Die Gesellschaft funkt immer auf irgendeine Art rein. Und dann hätte ich nie gedacht, dass es interessant sein kann, mit jemandem 76 Folgen lang über Beziehungen zu diskutieren. Aber es geht. 

Sie setzen sich beruflich seit über drei Jahren intensiv mit Beziehungsthemen auseinander. Was macht das mit Ihrer eigenen Beziehung?
Das hat etwas mit all meinen Beziehungen gemacht. Also auch mit meinen Freundschaften oder Arbeitsbeziehungen. Ich bin sensibler geworden, kritischer mit mir selbst, ich kenne mich selbst besser. Mein Mann sagte mal im Witz, ich sei eine bessere Partnerin geworden. Da hat er wohl recht. Was immer besser auch heissen will. Meine Auseinandersetzung mit diesen Themen inspiriert uns beide und eröffnet Gesprächsfelder. 

Foto: STEFAN BOHRER

Was bringt es, mit sich selbst kritisch zu sein, wenn das Gegenüber zum Beispiel ablehnend reagiert oder genervt ist?
Ich glaube, dass jede Beziehung wie ein Mobile funktioniert. Beginnt ein Element zu drehen, drehen sich früher oder später auch die anderen. Zudem ist es wohl immer ein guter Schritt, erst bei sich selbst hinzuschauen. Nicht nur für das Gegenüber, sondern in erster Linie für sich.

Was ist die Basis für eine gute Beziehung, welcher Art auch immer?
Eine gute Beziehung zu sich selbst. Es tönt sehr einfach, ist aber wohl eine der schwierigsten Aufgaben. 

Dieses Jahr kam das «Beziehungskosmos»-Buch, und Sie machen Live-Events. Verdienen Sie erst damit wirklich Geld?
Das Finanzielle war nie die Motivation dafür. Das wäre unserer Ansicht nach nicht nachhaltig. Das Buch war ein Bedürfnis: Hörerinnen baten uns, Übungen nochmals zu erklären oder fragten nach dem Schema-Modell. Wir merkten, dass kein bestehendes Buch zu dieser Schema-Theorie, wie wir sie besprechen, passt. Es lag in der Luft, dass wir uns selbst zusammenfassen. Für die Bühnenauftritte wurden wir angefragt, wir wollten das ausprobieren und haben gemerkt, dass es uns gefällt. Und ja: Die Bühne gibt uns eine gewisse finanzielle Planbarkeit.

Durch den Erfolg von «Beziehungskosmos» sind Sie selbst zur öffentlichen Person geworden. Passt Ihnen das?
Wenn man mich auf der Strasse anspricht, bekomme ich immer sehr wohlwollende Rückmeldungen. Das ist super schön. Die Sinnhaftigkeit von meinem journalistischen Tun spüre ich viel direkter als vorher, als ich bei SRF Teil eines grossen Medienhauses war. Ich stelle aber lieber Fragen, als dass ich selbst im Zentrum stehe. 

Sie haben Ende letzten Jahres Ihren Job bei SRF nach 16 Jahren aufgegeben. Brauchte das Mut?
Ich habe neben dem «Beziehungskosmos» verschiedene Standbeine mit meiner Lehrtätigkeit, mit Audiobiografien und anderen freien Audio-Arbeiten. Es fühlt sich gut abgesichert an. Und ich geniesse es, so agil zu sein. 

Was ist Ihr Lieblingsprojekt zurzeit?
Ich möchte nicht wählen, es ist etwas polyamor. «Beziehungskosmos» ist ein Herzensprojekt. Aber ich bin zum Beispiel mit Patricia Banzer, mit der ich ein Büro teile, an einer Audiostory über einen Schweizer, der in Indien lebt. Wenn ich an der Dramaturgie dieser komplexen Geschichte arbeite, macht mich das auch glücklich. Wenn ich mir ein Journalistinnenleben hätte zeichnen können, ich hätte mich nie getraut, das so zu skizzieren. Ich hätte es nie für möglich gehalten.

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