Tomi war noch Tomoya, als er das erste Mal Ländlermusik hörte. 1989 fand im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Grindelwald BE und dem japanischen Bergdorf Azumi Mura das «Alpenfestival» auf der Norikura-Hochebene in Japan statt, genau wie im Jahr zuvor und im Jahr danach. Traditionelle Schweizer Musiker traten auf, unter anderem die Ländlerkapelle Echo vom Tödi aus dem Glarnerland. Tomoya Nagasawa besuchte den Anlass mit seinen Eltern. «Als Achtjährigem hat mir die Musik gefallen», erinnert sich der Japaner, von der Karriere als Ländlermusiker war er damals aber noch weit entfernt.
Als Blick ihn trifft, sitzt Nagasawa im Säli des Hotel-Restaurants Freihof in Bilten GL mit einer Handorgel auf den Knien. Er trägt rot-weisse On-Schuhe und bereitet sich auf seinen Auftritt am Eidgenössischen Volksmusikfest vor. Neben ihm steht der Gründer des Echos vom Tödi, Kurt Albert (71). Um den ungewohnten Namen zu vermeiden, nennt dieser den Japaner einfach nur Tomi.
Die Liebe zum Ländler begann für Tomi mit 13. Damals erinnerte er sich an das «Alpenfestival» zurück und suchte die LPs, die seine Eltern dort gekauft hatten. Ab da hörte er sich die Musik jeden Tag an. Er wusste: Ich will Ländler spielen. Doch es gab keine Lehrer in Japan, und schon nur an ein passendes Instrument heranzukommen, war schwierig.
Tamagawa Alphorn Club
Erst 2008, im Alter von 28 Jahren, fand Tomoya Nagasawa Gleichgesinnte. Er trat dem Tamagawa Alphorn Club der Präfektur Kanagawa in Japan bei. Dieser war von japanischen Schweizer-Volksmusik-Fans gegründet worden und ist heute einer von 20 Alphornklubs des Landes. Nagasawa ist also kein Einzelfall: Es gibt zahlreiche Schweiz-Liebhaber in Japan. Alpen, Fondue und Co. sind Kult im Inselstaat. Die Japaner produzierten sogar eine Heidi-Zeichentrickserie. Sie war in den 1970er-Jahren beliebt und lebt noch heute in der Popkultur weiter.
Was Tomi Nagasawa jedoch aus der Menge der Schweiz-Fans in Japan herausstechen lässt, ist seine Hingabe zur Ländlermusik und sein Wille, diese zu meistern. Kurz nach seinem Beitritt in den Alphornklub bestellte er ein Schwyzerörgeli, und um zu lernen, wie man es spielt, nahm er schon bald an einer Gruppenreise in die Schweiz teil. Hier besuchte er Örgeli-, Akkordeon- und Alphornunterricht und traf Kurt Albert, dessen Ländler-Combo Echo vom Tödi er als Achtjähriger gesehen hatte.
Als Albert erfuhr, dass ein japanischer Fan ihn suche, sei dies eine riesige Überraschung gewesen. «Mittlerweile ist zwischen uns eine Freundschaft entstanden», sagt der Schweizer Musiker und Komponist. Am Eidgenössischen Volksmusikfest 2023 trat Albert in Bellinzona an Nagasawas Seite auf. Der Japaner hatte den Ländler-Veteranen darum gebeten.
Ländler-Export
Nagasawa arbeitete zuerst als Elektriker, später beim Schweizer Unternehmen Komax AG in Tokio. Für den Auftritt in Bellinzona ist er nun zum zwölften Mal in der Schweiz. Bereits zuvor war er Teil des Programms am Eidgenössischen Volksmusikfest: 2015 trat er mit einem Kollegen aus Japan in Aarau auf. 2019 spielten sie in Crans-Montana.
«Bei ihrer Volksmusik spürt man die Lebensfreude der Schweizerinnen und Schweizer. Das gefällt mir», erzählt Nagasawa. Wenn er spiele, habe es keine japanischen Elemente in seinen Stücken: «Ich möchte Schweizer Volksmusik so echt wie möglich wiedergeben.» Nagasawa ist überzeugt, dass die Musik auch international Potenzial hat und dass Japan der richtige Ort ist, um mit dem Ländler-Export zu beginnen.
Das sind nicht nur leere Worte. Nagasawa, der mittlerweile vor allem Akkordeon spielt, ist als Ländlermusiker schon mehrfach in Japan aufgetreten. Diesen Oktober wird er mit der Schweizer Alphornsolistin Lisa Stoll (27) in Tokio spielen. Die Japaner seien von der Musik überrascht, aber sie würden sie mögen, meint Nagasawa. «Auch das Umgekehrte wäre möglich, ein Schweizer, der japanische Volksmusik spielt», sagt er und lacht.
Kapelle Japangruess
Tomis Auftritt am Eidgenössischen Volksmusikfest 2023 glückt: «Trotz des Regens ist alles super gelungen», sagt Bühnenpartner Albert. Die Ländlerformation trägt Hemden, auf dessen Kragen in Schnüerlischrift Kapelle Japangruess gestickt ist, dazu ein Pin mit der Flagge Japans und dem Schweizerkreuz.
Technisch sei Tomi hervorragend, meint Albert, und er komme auch gut bei den Fans an. Stören tue es niemanden, dass ein Japaner Ländler spielt. «Wir sind stolz, wenn unsere Musik auch Nicht-Schweizern gefällt.» Nagasawa sagt zu seinem Erfolg in der Schweiz: «Es ist fast wie ein Traum.»
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