Matterhorn auf der Toblerone, Neutralität im Krieg, Credit Suisse – alles weg!
Verliert die Schweiz ihre letzten Mythen?

Entwickelt sich das reiche Land von Schnee, Checks und Schokolade zu einem normalen Fleck Erde? Müssen wir uns davon verabschieden, ein Sonderfall zu sein? Sind wir nicht mehr die Klassenbesten? Der Historiker Thomas Maissen (60) gibt Antworten.
Publiziert: 25.03.2023 um 10:14 Uhr
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Die Zwangsübernahme der CS durch die UBS hat das Image der Schweiz weltweit beschädigt.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Herr Maissen, was haben Sie gedacht, als Sie von der Übernahme der CS durch die UBS hörten?
Thomas Maissen:
Ich hatte nicht damit gerechnet, und schon gar nicht so schnell.

Der Bankenplatz Schweiz ist erschüttert, die Toblerone-Schokolade verliert das Matterhorn im Logo, die Neutralität steht zur Diskussion: Verliert die Schweiz zurzeit ihre letzten Mythen?
Das sind keine Mythen. Die CS war ein lange erfolgreicher Global Player in der Finanzbranche, und der Finanzplatz ist für ein kleines Land von weit überdurchschnittlicher, ebenfalls globaler Bedeutung. Die Schokolade ist vom Exportvolumen weniger wichtig, aber ein Symbol des «Made in Switzerland».

Und die Neutralität?
Sie steht nicht zum ersten Mal zur Diskussion, und es ist richtig, dass man sich überlegt, wie sie zeitgemäss gedeutet und umgesetzt werden soll. Sie wird überschätzt, aber in der Verfassung als etwas genannt, was gewahrt werden soll. Das ist ein Auftrag, kein Mythos.

Erachten Sie die aktuellen Erschütterungen als nicht so gravierend?
Medien und Zeitgenossen überschätzen die Aktualität. Im Herbst 2001 gab es 9/11, den Amoklauf von Zug mit 14 ermordeten Regierungs- und Kantonsräten, eine Brandkatastrophe im Gotthard-Autotunnel und den Absturz einer Crossair-Maschine, dazu das Grounding der Swissair. Das meiste ist heute vergessen.

Doch manche vergleichen jetzt den Untergang der CS mit dem Swissair-Grounding.
Das wurde damals auch als symbolisches Ende einer Epoche gedeutet, der friedlichen und erfolgreichen Schweiz.

Und doch ging es weiter. Ist die Schweiz heute einfach normal und nicht mehr die Klassenstreberin?
Ich glaube nicht, dass das Schweiz-Bild im Ausland das einer Streberin ist.

Sondern?
Eher einer Verwöhnten, die gute Noten hat, weil sie beim Banknachbar abschreibt. Verbreitet ist das Bild einer Trittbrettfahrerin, die davon ausgeht, dass die EU der Schweizer Exportindustrie ihren grössten Markt zur Verfügung stellen soll, ohne dafür den gleichen Preis zu bezahlen wie die EU-Staaten.

Geht es nur um den Markt?
Ebenso soll die EU den Frieden in weiten Teilen des Kontinents gewährleisten und die Nato – und im Moment konkret die Ukrainer – die Aussengrenzen sichern. So können wir in sorgenfreier Neutralität ein ruhiges Gewissen und zugleich weiter gute Beziehungen zu unseren Wirtschaftspartnern – inklusive Russland – pflegen.

Weshalb tut sich die Schweiz aktuell so schwer?
Es geht um Anpassungen an eine internationale Situation, die sich wegen verknüpfter Krisen schnell verändert. Das fällt in allen Ländern schwer.

Sie sind Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Paris. Tun sich die beiden Länder auch schwer?
Ja, in Frankreich hat die Regierung eben ein Misstrauensvotum nur knapp überstanden, Deutschlands Dreiparteienkoalition ist orientierungslos und für die Partner unberechenbar.

Was bedeutet das für die Schweiz?
Die Schweiz muss sich fragen, mit welchen Massnahmen sie ihre Interessen am besten wahrnimmt – und zwar langfristig.

Was schlagen Sie vor?
Persönlich würde es mich freuen, wenn sie deshalb die Ukraine ebenso schnell und herzhaft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützt, wie sie das bei der CS gemacht hat.


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