Wer will schon ein goldenes Männchen, wenn man einen Leoparden haben kann? Pietro Scalia (63) hat beides: Der Filmeditor mit Aargauer Wurzeln hat in Hollywood bereits zwei Oscars gewonnen. Jetzt ist er in Locarno mit dem Vision Award Ticinomoda für sein Schaffen ausgezeichnet worden.
Dass er in seiner alten Heimat geehrt wird, macht Scalia stolz: «Der Preis aus Locarno bedeutet mir sehr viel, es macht mich stolz, dass zwei meiner Filme hier gezeigt werden. Es ist ein Festival mit langer Tradition an einem wunderschönen Ort.»
Oft ist Scalia nicht mehr hier, er spricht aber nach all der Zeit noch immer Schwiizerdütsch – mit leicht amerikanischem Akzent. Gerade 18 Jahre alt war er, als er ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gezogen ist, um das Filmemachen zu studieren. «Meine Lehrer haben den Kopf geschüttelt, das könne man doch gar nicht. Aber man kann.»
Die Eltern schauten mit ihm italienische Filme
Für Scalia war klar, dass er in diese Branche einsteigen wollte, als was, wusste er noch nicht. «Damals dachte ich, dass ich vielleicht Kameramann beim Schweizer Fernsehen werde oder Dokumentar-Filmer.»
Die Liebe zum Film war schon früh in ihm angelegt. Mit den Eltern, die aus Sizilien nach Aarau gekommen waren, als er noch klein war, schaute er sich oft italienische Filme an: «Es war ein Fenster in meine Kultur und zu meinen Wurzeln.» Und die Leinwand in die grosse Welt lag nur 50 Meter von daheim weg im Kino Schloss. Bis heute erinnert sich Scalia daran, wie sogar direkt vor seiner Haustür gedreht wurde: Der heutige Kultfilm «Die Schweizermacher» von 1978.
Inzwischen zählt Scalia in Hollywood zu den grossen Machern, seine Arbeit geschieht im Hintergrund. Nicht viele wissen, dass er grossen Blockbustern den Schnitt verliehen hat. Seine Karriere begann er bei Regisseur Oliver Stone (76). Zuerst als Schnittassistent für «Wall Street» (1987) oder als Cutter bei «The Doors» (1991). Bereits im Alter von 31 Jahren gewann er 1992 seinen ersten Oscar für «JFK – Tatort Dallas» (1991).
Oliver Stone als Lehrmeister
«Es war ein Riesenglück, dass ich mit Stone arbeiten konnte, bei ihm habe ich meine Schule gemacht.» In der Folge begann er eine 15-jährige Zusammenarbeit mit Ridley Scott (85). «Wir haben mal drei Filme in zwei Jahren zusammen gedreht. Gladiator, Hannibal, Black Hawk Down.»
Für letzteren bekam Scalia 2001 seinen zweiten Oscar. Das hat nicht nur mit Glück, sondern vor allem mit Können und harter Arbeit zu tun. «Pro Woche sass ich 80 Stunden am Schnittpult. Und während ich einen Film zu Ende geschnitten habe, hat Ridley bereits den nächsten Dreh vorbereitet.»
Für Giona A. Nazzaro (58), den künstlerischen Leiter des Locarno Film Festivals, ist Scalia schlicht ein Genie der visuellen Vorstellungskraft: «Er hat eine neue Art eingeführt, wie rhythmische und zeitliche Intervalle festgelegt werden müssen, um Bilder geschickt zusammenzuführen.»
Filmschnitt als Kunstform
Die Freude am Schnitt hat Scalia bereits bei seiner Ausbildung entdeckt und bis heute behalten: «Es ist wie eine eigene Kunst und mit jedem Projekt entwickelt man sich weiter.» Ans Aufhören denkt er noch lange nicht, auch wenn es nicht der beste Job für seinen Rücken sei.
Bevor Scalia zum nächsten Termin muss, die obligate Frage: Wohin kommt der Leopard? Liebevoll streicht er über die goldene Figur: «Er sieht ein bisschen aus wie meine Katze Boo. Er wird einen guten Platz bekommen.» Die beiden Oscars stehen übrigens im Schrank. «Vielleicht sollte ich sie ins Gäste-Badezimmer stellen. Dort kann man sie in aller Ruhe anschauen und Selfies damit machen.» Scalia grinst – jetzt muss er wirklich los.