Kirschblüten und Nudelsuppe
Die Schweiz im Japan-Fieber

Noch nie reisten so viele Schweizerinnen und Schweizer nach Japan. Und das liegt nicht nur am günstigen Wechselkurs.
Publiziert: 18:47 Uhr
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Aktualisiert: 18:49 Uhr
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Beginnt im März die Kirschblütenzeit, versammeln sich Japanerinnen und Japaner zum Picknick in den Stadtparks.
Foto: AP

Auf einen Blick

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Peter AeschlimannRedaktor

Den Donnerstag nächster Woche haben sich Japanerinnen und Japaner im Kalender fett angestrichen. Dann nämlich veröffentlicht das staatliche meteorologische Institut seine dritte Prognose zur bevorstehenden Kirschblütenzeit. Im Süden des Landes – so der Stand der komplizierten Berechnungen heute – geht es am 23. März los. Gegen Ende April erreicht die «Kirschblütenfront» dann den Norden des Inselstaats.

Sakura, die japanische Kirschblüte, ist eine durchaus ernste Angelegenheit im Land der aufgehenden Sonne. Sie steht für Neuanfang, Schönheit, Vergänglichkeit – und ausgelassene Partys. Verwandeln sich die Baumwipfel in rosa-weisse Baldachine, treffen sich die Menschen in den Parks zu Hanami-Picknicks mit reichlich Bier und Sake: endlich Frühling!

Teure Flugtickets

Das Blütenspektakel lockt zunehmend auch Touristen an. Japan boomt, gerade für Reisende aus der Schweiz. Wer jetzt im März einen Direktflug ab Zürich nach Tokio buchen will, muss dafür tief in die Tasche greifen. Mehr als 2000 Franken kostet das Ticket – doppelt so viel wie ein Trip nach San Francisco, der mit rund zwölf Stunden ungefähr gleich lange dauert.

Fünfmal pro Woche fliegt die Swiss nach Tokio. Im Einsatz steht dabei der grösste Jet der Flotte, die Boeing 777 mit 320 Sitzplätzen. Was die Passagierzahlen angeht, gibt sich die Airline gegenüber Blick verschwiegen wie eine Geisha: «Aus wettbewerbstechnischen Gründen.»

Aufschluss geben die offiziellen Zahlen von Japan Tourismus. Während in den Neunziger- und Nullerjahren stets um die 20'000 Schweizerinnen und Schweizer nach Japan pilgerten, stieg ihre Anzahl bis zum Ausbruch der Pandemie auf rund 50'000. Im letzten Jahr reisten 63'610 Menschen aus der Schweiz nach Japan, fast 20 Prozent mehr als 2023 – ein Allzeitrekord!

Die perfekte Brühe

Keine Frage: Die Schweizerinnen und Schweizer schwelgen im Japan-Fieber. Das spürt auch Fabian Bürkli (32), der Mitte Januar in der Stadt Bern das Ramen-Restaurant Famii eröffnet hat. In Zürich ploppen die Nudelsuppen-Lokale seit geraumer Zeit überall aus dem Boden, in der Hauptstadt war das Angebot bislang eher bescheiden. Entsprechend euphorisch äussern sich nun Gäste des Famii: «Endlich eine gute Ramen-Bude in Bern!»

Bürkli ist Quereinsteiger. Er hat Schreiner gelernt – und nebenbei an der perfekten Brühe getüftelt, Youtube-Videos geschaut und Rezeptbücher konsultiert. Irgendwann hatte er den Dreh raus und wettete mit seiner Frau, dass er die Suppe sogar verkaufen könne. Im Sommer servierte er die dampfenden Schüsseln dann aus dem Küchenfenster seiner Mutter, kurz darauf absolvierte er das Wirtepatent und begab sich auf Lokalsuche. An der Decke eines ehemaligen Kiosks schaukeln nun Papierlampen, es gibt eine offene Küche und einen kleinen Bartresen, an dem Gäste ihre Ramen schlürfen.

In Japan war Fabian Bürkli noch nie. Das Arbeitsethos von dessen Einwohnern hat er aber auch so verinnerlicht. Es fasziniere ihn, sagt er, eine Aufgabe mit höchster Präzision zu erfüllen. Sein Tantanmen-Gericht hat er bestimmt hundert Mal gekocht, ehe er es für gut befand. «Suppe ist wie Kunst», sagt Bürkli. Die Brühe köchelt fünf bis sechs Stunden, was hineinkommt, ist fast immer hausgemacht – und bleibt sein Geheimnis.

Netflix sorgt für Anime-Boom

Nicht nur kulinarisch liegt Japan voll im Trend. Immer häufiger nachgefragt werden hierzulande auch Mangas, die japanischen Comics. Kommt ein neues Set der begehrten Pokémon-Sammelkarten raus, herrscht Grossandrang in Fachgeschäften wie dem Jeeg in Zürich. Mangas und Anime-Zeichentrickfilme seien definitiv im Mainstream angekommen, sagt Rafael Marty (32), der dort seit zehn Jahren als Verkäufer arbeitet.

Früher, sagt Marty, hätten Fans das neue Material aus Japan noch illegal aus dem Internet herunterladen müssen. Dass Streamingdienste wie Netflix in ihren Katalog auch Animes aufgenommen haben, sorgte für zusätzlichen Schwung. Während der Pandemie, als nur zehn Leute gleichzeitig in den Laden durften, standen Kundinnen und Kunden gelegentlich bis zu drei Stunden an. Seither hat die Nachfrage nach Comicalben, Plastikfigürchen und anderen Merchandise-Artikeln nicht nachgelassen.

So kommt es vor, dass der vor über 20 Jahren eröffnete Shop bisweilen an seine Grenzen stösst, insbesondere was den Onlinehandel betrifft. Auf der Jeeg-Website heisst es: «Damit wir die Bestellungen ordnungsgemäss ausführen können, müssen wir den Onlineshop in seltenen Fällen wegen Überlastung für kurze Zeit deaktivieren.»

Günstiger Yen

Was sind die Gründe für den aktuellen Japan-Hype? Lange galt es als teures Reiseland. Seit der Yen schwächelt, ist das anders. Heute bekommt man für einen Franken 170 Yen – 60 mehr als vor fünf Jahren. Die Schüssel Ramen kostet in Tokio zwischen fünf und zehn Franken, für Schweizerinnen und Schweizer ist das ein Schnäppchen. Geholfen hat, dass 2021 die Olympischen Sommerspiele in Tokio stattfanden. Der Grossevent sorgte dafür, dass in der Metropole vermehrt englische Beschriftungen üblich wurden – ein Segen für Ortsunkundige. 

Der Schweizer Japanologe, Journalist und Filmemacher Jan Knüsel bestätigt das. Seit über zehn Jahren beobachtet er auf seinem Reiseblog «Jan in Japan» ein stetig wachsendes Interesse am fernöstlichen Land: «Japan hat sich in dieser Zeit von einem fast unbekannten zu einem begehrten Reiseziel entwickelt.» Der günstige Yen habe den Reiseboom in den letzten zwei Jahren zusätzlich verstärkt.

Japan, so Knüsel, sei nicht mehr das Hochpreisland von früher. «Hinzu kommt, dass eine ganze Generation mit Manga aufgewachsen ist.» All dies führe letztlich dazu, dass japanische Kultur und Kulinarik heute in der Schweiz viel präsenter seien. «Japan ist eine faszinierende Alternative zur westlichen Welt», sagt Knüsel.

Nicht nur sprachlich, sondern in sämtlichen Lebensbereichen. Eine Reise nach Japan sei wie ein erfrischender Reset-Knopf für die Wahrnehmung. Knüsel. «Man kehrt zurück und sieht den eigenen Alltag mit neuen Augen.»

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