«Wir sind der einzige Drive-In-Kiosk der Schweiz»
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Jawle flüchtete aus Somalia:«Wir sind der einzige Drive-In-Kiosk der Schweiz»

Jawle (33) aus Somalia hat wieder eine Perspektive
Aus dem Krieg in den Kiosk

Geschichten über Geflüchtete handeln oft von Problemen – und der Suche nach den Verantwortlichen. In dieser Geschichte geht es um einen ganz kleinen Erfolg, bei dem ein Kiosk in Wetzikon ZH dem Somalier Jawle (33) wieder eine Perspektive gegeben hat.
Publiziert: 04.02.2023 um 17:07 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2023 um 12:37 Uhr
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Lea ErnstRedaktorin Gesellschaft

An der Bushaltestelle warten Pendler, Einfamilienhäuser leuchten in der tief stehenden Wintersonne. Ein Tesla bremst ab, biegt in eine Lücke in der Häuserreihe ab. Da steht ein Holzschild, bepinselt mit der Aufschrift «drive-in», farbige Girlanden sind quer über den Platz gespannt. Mitten in Wetzikon ZH steht der Kiosk Dukaan. Das ist kein Schreibfehler, das Lädeli ist nicht nach dem Regenwald-Vogel benannt. Dukaan heisst Kiosk auf Somali.

Dukaan heisst Kiosk auf Somali.

Gerade tritt eine ältere Frau mit Gehhilfe an die Theke. Sie schaut sich die bunten Kunstfiguren auf der Auslage an, den Kuchen und die getrockneten Früchte. Ihr Hündchen stellt sich auf die Hinterbeine, um den Mann hinter der Theke zu begrüssen. «Grüezi», heisst Jawle (33) (ausgesprochen «Tschaula») seine Stammkundin willkommen. Vor acht Jahren floh er vor den islamistischen Al-Shabaab-Terroristen. Seit einem Jahr verkauft er Getränke, Snacks und Glückslösli.

Flucht aus einem der gefährlichsten Länder der Welt

Flink räumt Jawle die Regale ein, setzt nebenbei Teewasser auf. Gastgeber ist er gern, in Somalia führte er einen Take-away. Doch sein Heimatland gehört zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Seit dem Kollaps des Zentralstaates 1991 kämpfen in Somalia zahlreiche Gruppierungen erbittert um die Macht.

Als wäre das nicht genug, kommt auch noch der Klimawandel hinzu: Dürren in noch nie gesehenem Ausmass, Überschwemmungen und katastrophale Heuschreckenplagen machen immer mehr Landstriche komplett unbewohnbar. Die Lage in den Ländern Ostafrikas ist desaströs – 89 Millionen Menschen waren vergangenes Jahr von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen.

Jawle ist von einem der gefährlichsten Länder der Welt in die Schweiz geflüchtet.
Foto: Lea Ernst

Vor acht Jahren wurde die politische Bedrohung zu gross. Jawle und seine Familie mussten ihre Heimat verlassen. Auf der Suche nach einer Zukunft kam er im Schlauchboot über das Meer. Für seine Frau und vier Kinder war die Strecke nach Europa viel zu gefährlich. Sie wohnen unterdessen im ostafrikanischen Uganda. Jawle liebt seine Familie über alles, telefoniert jeden Tag mit ihr über Whatsapp. «Meistens helfe ich meinen Kindern bei den Hausaufgaben», sagt er.

Vom Praktikanten zum Kioskleiter

Die erste Zeit war schwierig, erinnert sich Jawle an seine ersten Jahre in der Schweiz zurück. Er wohnte im Flüchtlingsheim, lernte Deutsch. Mittlerweile hat er eine Aufenthaltsbewilligung F, darf arbeiten. Er bewarb sich auf unzählige Stellen, doch die Zusage blieb aus. Dabei wollte er unbedingt arbeiten, nicht nur des Geldes wegen. «Wenn man nicht arbeitet, stirbt das Herz», sagt Jawle.

Vor etwas mehr als einem Jahr erhielt er eine Chance: das Praktikum als Kioskverkäufer. Die Arbeit gefällt ihm sehr, er schätzt den Kontakt zu den Menschen. Heute leitet Jawle den Kiosk. «Damit ging ein Traum in Erfüllung», sagt er. Jawle macht Kräutertee und Kaffee mit Hafermilch für seine Gäste an den bunten Tischchen gleich neben dem Kiosk.

Hier kommen Nachbarn aus dem Quartier und geflüchtete Menschen zusammen.
Foto: Lea Ernst

Auf einem der Stühle sitzt Annette Carle (48). Die Filmemacherin und dreifache Mutter kennt Jawle seit drei Jahren. Sie besuchte damals das Flüchtlingsheim, in dem er wohnte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. «Jawle ist so offen und herzlich, kann die Leute abholen», sagt Carle.

So gründete sie den Verein Dukaan, übernahm mithilfe von Spendengeldern den Kiosk – und verwandelte ihn in ein Integrationsprojekt. Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu erhalten, können hier ein Praktikum machen. «Um Arbeitserfahrung zu sammeln und auf die Beine zu kommen», sagt Carle. So wie Jawle, der unterdessen andere geflüchtete Menschen einarbeitet. Der Kiosk Dukaan gehört zu einem der 92 Schweizer Integrationsprojekte, die beim Förderprogramm «ici – gemeinsam hier» von Migros-Engagement mit insgesamt 1,1 Millionen Franken unterstützt wurden. Diesen Frühling gibt es eine neue Ausschreibung.

Ein Sprungbrett in die Arbeitswelt

Am Tisch nebenan sitzt eine junge Frau. Sie moderiert im Zürcher Oberland sogenannte «Femmes-Tische», das sind Gesprächsrunden zu verschiedenen Themen wie psychischer Gesundheit. Es ist eines der vielen Projekte, in die Carle involviert ist. Mit ihrem Verein «Sichtbar» hat sie bereits Mittagstische für Senioren, Künstlerresidenzen und ein Tandem-Projekt organisiert, bei dem Schweizerinnen und Schweizer Geflüchteten das Ankommen und Einleben erleichtern.

Lokale Künstlerinnen und Künstler verkaufen am Kiosk ihre Werke.
Foto: Lea Ernst

Menschen, die fliehen mussten, und Menschen, die das Glück haben, in ihrer Heimat bleiben zu können: Hier am Kiosk Dukaan kommen sie alle zusammen. Neben einem Ort zum «Chrämle» ist der Kiosk zu einem Quartiertreffpunkt geworden. Es gibt einen Büchertausch und Glühwein, im Sommer Konzerte und Abendessen. Ein paar Pläne haben Carle und Jawle noch: zum Beispiel einen Take-away mit somalischer Küche oder einen Foodtruck.

Seit etwas mehr als einem Jahr steht der Kiosk Dukaan in Wetzikon ZH.
Foto: Lea Ernst

Der Kiosk Dukaan will anders sein. Neben dem konventionellen Kioskangebot setzt er auf nachhaltige Produkte und Innovation, hat einen Online-Shop. Der Kiosk funktioniert durch viel Freiwilligenarbeit. Jemand macht die Buchhaltung, jemand anders steuert frische Bio-Orangen bei, ein Freund brachte kürzlich eine Solarzelle, lokale Künstlerinnen und Künstler verschönern die Wände. «Alle, die eine Idee haben oder helfen wollen, sind willkommen», sagt Carle.

Der erste Besuch seit sieben Jahren

Alle zehn Minuten fährt ein Auto auf den Parkplatz, jemand kauft Kaugummi oder Zigaretten. Hin und wieder kommen die Nachbarn vorbei, um ein wenig zu plaudern. In einer ruhigen Minute setzt sich der Kioskleiter zu Carle an den Tisch. Jawle lächelt sie an, ist ihr dankbar: «Das kann ich gar nicht genug oft sagen.» Carle winkt ab, sagt, das sollte doch selbstverständlich sein: «Es ist so schön zu sehen, wie ihm der Kiosk Hoffnung und eine Perspektive gibt.»

Die Nachbarskinder haben Jawle ins Herz geschlossen und schenken ihm Zeichnungen.
Foto: Lea Ernst

Jawle hofft, bald seine Kinder und Frau in Uganda besuchen zu können – sofern das Migrationsamt einwilligt. Unterdessen hat Jawle im Kiosk das Geld verdient, um sich ein Flugticket zu kaufen. «Seit acht Jahren habe ich meine Familie nicht gesehen. Ich denke jede Sekunde daran, dass es bald klappen könnte.»

Strahlend hält er Zeichnungen hoch: ein Strand, ein Weihnachtsbaum, eine Katze – es sind Zeichnungen der Nachbarskinder, die Jawle ins Herz geschlossen haben. «Jawle», ruft ein etwa 10-jähriger Bub gerade, und kommt über den Platz gerannt, «ich habe jetzt den gelben Gürtel im Karate!» Beinahe überschlägt er sich vor Stolz. «Wie lange bist du heute hier?» Am Abend will der Junge wiederkommen, um Jawle seinen neuen Gürtel zu zeigen.

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