«Es gäbe Pasta mit allem, was der Kühlschrank hergibt»
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Was Milena Moser kochen würde:«Es gäbe Pasta mit allem, was der Kühlschrank hergibt»

Interview mit Milena Moser zu Thanksgiving
«Es gibt immer Truthahn!»

Die in den USA lebende Schweizer Bestseller-Autorin Milena Moser (60) über Thanksgiving, Trumps schlimmste Nachwirkung und «Der Traum vom Fliegen», ihren neuesten Roman.
Publiziert: 23.11.2023 um 00:10 Uhr
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Am 20. November begnadigte US-Präsident Joe Biden einen Truthahn.
Foto: AFP
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Die in den USA lebende Schweizer Bestsellerautorin Milena Moser (60) ist mit ihrem neuen Roman «Der Traum vom Fliegen» (Kein & Aber) hierzulande auf Lesetour. Blick traf sie kurz vor Thanksgiving (23. November), dem grössten Familienfeiertag in den Vereinigten Staaten.

Milena Moser, was tischen Sie zu Thanksgiving auf?
Milena Moser:
Mein Mann und ich tischen überhaupt nichts auf, denn wir bekommen jeweils ganz viele Einladungen – wir gehen an drei, vier Orte, sind den ganzen Tag unterwegs und essen endlos. Aber Victor besteht darauf, jede einzelne Einladung anzunehmen.

Weshalb?
Victor war im Gegensatz zu mir über lange Zeit arm und litt Hunger. Und nun gibt es etwas zu essen und Reste zum Mitnehmen – eine Woche lang müssen wir dann nicht mehr einkaufen.

Gibt es jeweils Truthahn?
Es gibt immer Truthahn! Aber Victor macht Mole, eine mexikanische Sauce mit Schokolade, Gewürzen und Chilischoten. Und mit Mole ist der Truthahn erträglich.

In den USA gilt Thanksgiving als wichtigstes Familienfest. Kommen Ihre beiden Söhne aus Ihren ersten beiden Ehen in der Schweiz zu Ihnen in die USA?
Nein, aber dieses Jahr bin ich in der Schweiz und ich treffe sie morgen zum Essen.

In Ihrem neuen Roman «Der Traum vom Fliegen» schreiben Sie, dass die Hauptfigur Sofia mit Ihrem Vater an Thanksgiving in eine Suppenküche ging, um anderen Familien zu helfen. Ist die Solidarität an Thanksgiving gross?
Es ist ein wenig eine Alibiübung, deshalb sieht das auch Sofia kritisch. In der Schweiz verpflegt man an Weihnachten und Neujahr ebenfalls Arme, danach vergisst man sie wieder für ein Jahr. In der Schweiz ist die Not allerdings nicht so brisant wie in den USA.

Persönlich

Milena Moser kam 1963 als Tochter der Psychologin und Übersetzerin Marlis Pörtner (1933–2020) und des Schriftstellers Paul Pörner (1925–1984) in Zürich zur Welt. Nach der Diplommittelschule machte Moser eine Buchhändlerinnen-Lehre und begann, zu schreiben. Ihr erster Roman «Die Putzfraueninsel» (1991) war ein Bestseller und kam 1996 in die Kinos. «Der Traum vom Fliegen» ist ihr 14. Roman und eben in den Handel gekommen. Moser hat aus den ersten beiden Ehen zwei Söhne. Mit ihrem dritten Ehemann, dem mexikanischen Künstler Victor-Mario Zaballa (69), lebt sie in San Francisco (USA).

Thomas Meier

Milena Moser kam 1963 als Tochter der Psychologin und Übersetzerin Marlis Pörtner (1933–2020) und des Schriftstellers Paul Pörner (1925–1984) in Zürich zur Welt. Nach der Diplommittelschule machte Moser eine Buchhändlerinnen-Lehre und begann, zu schreiben. Ihr erster Roman «Die Putzfraueninsel» (1991) war ein Bestseller und kam 1996 in die Kinos. «Der Traum vom Fliegen» ist ihr 14. Roman und eben in den Handel gekommen. Moser hat aus den ersten beiden Ehen zwei Söhne. Mit ihrem dritten Ehemann, dem mexikanischen Künstler Victor-Mario Zaballa (69), lebt sie in San Francisco (USA).

Können sich denn viele amerikanische Familien gar kein Festmahl leisten?
Richtig. San Francisco ist derart teuer geworden, da ist Zürich nichts dagegen.

Armut zeigt sich auch in übergewichtigen Menschen durch falsche Ernährung – die Romanfigur Sofia ist wegen ihres Übergewichts in einer Klinik. Hat das Problem zugenommen?
Ich reagiere jeweils ein bisschen gehässig, wenn Schweizer Freunde sagen: «Die Amerikaner sind alle so dick!» Als ob schlank und fit zu sein eine moralische Überlegenheit ausdrücken würde. Manche sind auch dünn aus Not.

Wie meinen Sie das?
Ich sah nach Jahren ein mit meinem älteren Sohn befreundetes Paar – er war Programmierer gewesen, sie Firmenanwältin – und sagte: «Oh my God, ihr seht so gut aus, habt ihr abgenommen?» Worauf er antwortete: «Ja, es reicht nicht jeden Tag zum Essen.»

Wieso?
Zuerst hatte er den Job verloren, dann sie; beide hatten keine Krankenversicherung, weil das über die Anstellung läuft. Dann war er erkrankt, worauf alles Ersparte weg war. Sie konnten keine Miete mehr bezahlen – innerhalb von drei Monaten kann man von gehobenem Mittelstand auf der Strasse landen.

Etwa auf den Strassen von San Francisco. Sie leben seit ein paar Jahren in der Stadt. Warum dort?
Für mich war San Francisco das Ende des Regenbogens. Und Victor lebte schon immer dort in einem riesigen Atelier mit all seinen Musikinstrumenten. Das Haus hatte er mit seiner verstorbenen Frau gekauft.

Man hört, die Stadt sei heruntergekommen und zur Drogenhölle verkommen. Erleben Sie das auch so?
Nein. Dieses Bild begann mit einem Artikel in der «New York Times», dann in der «Los Angeles Times» – geschrieben von Reportern, die nicht in San Francisco leben. Die Stadt hatte schon immer viele Obdachlose und ein Drogenproblem.

Um sich ein Bild davon zu machen, reiste die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch kürzlich mit einer Delegation nach San Francisco.
Und in den Zeitungen schrieb man dann, dass Polizisten und Sozialarbeiter in der Schweiz zusammenarbeiten – das ist man sich in den USA nicht gewohnt.

Das Gesundheitssystem in den USA ist auch in einem desolaten Zustand, was Sie selber schon erlebten, weil Ihr Mann ins Spital musste.
Im April lag er dreieinhalb Tage im Notfall. Und weil es kein Bett im Zimmer gab, lag er im Gang. Da laufen dann Menschen vorbei, die rumschreien, Verletzte von Messerstechereien.

Ihr Mann benötigt immer wieder medizinische Hilfe. Weshalb kommen Sie nicht in die Schweiz, wo das System funktioniert?
Ein mittlerweile 69-jähriger Künstler mit einer meterlangen Krankenakte und keinem festen Einkommen?

Aber Sie sind doch mit ihm verheiratet.
Aber er ist von der Schweiz nicht anerkannt als mein rechtmässiger Ehemann. Seit drei Jahren versuchen wir eine Beglaubigung der Geburtsurkunde aus Mexiko zu bekommen. Die müsste ich meinem Heimatort in der Schweiz vorlegen.

Wäre die Wiederwahl von Donald Trump für Sie ein Grund, in die Schweiz zurückzukommen?
Die vier Trump-Jahre haben mich und mein Umfeld fertiggemacht. Als Frau beschäftigt mich vor allem eine Folge seiner Politik.

Nämlich?
Die Aufhebung des landesweiten Rechts auf Abtreibung. Eine 27-jährige Freundin ging mit Bauchschmerzen zum Arzt. Der sagte: «Sie sind schwanger, aber das Kind ist tot, und wir müssen dringend alles rausnehmen, sonst sterben Sie an Blutvergiftung.»

Hat sie überlebt?
Ja, Wochen später sagte sie mir: «Weisst du, wenn ich zu Hause in Idaho geblieben wäre, wäre ich nun tot.» Denn dort darf man auch nicht aus gesundheitlichen Gründen abtreiben.

Andererseits hat der Staat Ohio diesen Monat in einer Abstimmung das Recht auf Abtreibung verfassungsmässig verankert. Gibt das Ihnen Hoffnung?
Absolut. Und ich gebe die Hoffnung nie auf – das kommt wieder anders!

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