Auf einen Blick
- Hoffnung erfordert gemeinschaftliches Projekt und langfristige Entscheidungen
- Der Gesellschaft fehlt gemeinschaftliche Vision für eine gute Zukunft
- Not kann sowohl Hoffnungstreiber als auch Hoffnungsbrecher sein
Herr Blom, was erhoffen Sie sich von unserem Gespräch?
Philipp Blom: Ehrlich gesagt, ein gutes Gespräch zwischen zwei Menschen guten Willens.
Das hoffe ich auch. Ist Hoffnung etwas Gemeinschaftliches?
Es gibt sicherlich Menschen, die vom Temperament, von der Persönlichkeit her mehr hoffen und andere, die pessimistischer sind. Aber um hoffen zu können, braucht man etwas, was übers rein Individuelle hinausgeht.
Wie zeigt sich das?
Na ja, letztlich hoffen Menschen sehr ähnliche Dinge: Alle hoffen darauf, dass sie genug zu essen und ein Dach über dem Kopf haben, dass sie nicht willkürlicher Verfolgung ausgesetzt sind, dass ihre Kinder nicht vor ihnen sterben und eine gute Zukunft haben werden. Wir hoffen auf eine gerechtere Welt ohne Leid, weniger Grausamkeit und mehr Schönheit sowie Solidarität.
Diesbezüglich sind die Hoffnungen eines FPÖ-Wählers und einer Grünen-Wählerin allerdings sehr gegensätzlich.
Ja, die beiden gehören zwei Kollektiven an, die Dinge hoffen, die leider nicht miteinander vereinbar sind. Wenn man Glück hat, fängt bei solchen Gegensätzen die Politik an, wenn man Pech hat, der Krieg.
Sind Hoffnungen der einen Befürchtungen der anderen?
Durchaus, denn niemand sagt, dass Hoffnungen immer etwas Gutes sind. Auch überzeugte Nazis haben fanatisch gehofft – auf den Sieg der Herrenrasse und die Vernichtung all ihrer Feinde.
Ende September sangen FPÖ-Funktionäre an einer Beerdigung ein SS-Treuelied, tags darauf erreichte die Partei bei den österreichischen Nationalratswahlen fast 29 Prozent. Hat Sie der Erfolg überrascht?
Nicht wirklich, nein: Das war erwartbar. Diese Partei, die da gewonnen hat, steht ganz am Rand der Demokratie und der Verfassungstreue – das ist sehr problematisch. Aber auf der anderen Seite, wenn ein Drittel der Menschen in einer Demokratie darauf hofft, dann muss man sich damit auseinandersetzen.
Sie sind gebürtiger Hamburger, leben aber seit 2007 in Wien. Durften Sie an der Wahl teilnehmen?
Selbstverständlich nicht: Ich gehöre zu dem Drittel der Stadt, der nicht wählen durfte. Steuern zahlen muss ich hier sehr wohl, aber Wählen wäre ein Schritt zu weit – so funktioniert die EU.
Sie hoffen auf mehr Demokratie?
Unsere Demokratien brauchen einen neuen Impuls. Die Wahlrhythmen von vier oder – im Fall von Österreich – fünf Jahren, führen dazu, dass die Politik schnell etwas vorweisen muss. Eine Reform, die erst in 30 Jahren Früchte abwirft, ist kurzfristig nur lästig und wahnsinnig teuer. Aber in einer Zeit, in der wir Weichen für eine andere Zukunft stellen müssten, bräuchte es genau solche langfristigen Entscheidungen.
Der deutsche Historiker, Philosoph und Autor Philipp Blom kommt 1970 als Sohn einer Sängerin und eines Dirigenten in Hamburg zur Welt. Nach der Rudolf-Steiner-Schule studiert er ab 1990 Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und schliesst mit einer Dissertation ab. Als Journalist arbeitet er für englische und deutschsprachige Zeitungen. Blom verfasst Romane und Sachbücher, worin er sich u. a. mit der Mentalitätsgeschichte, Sammelkultur und österreichischen Weinen beschäftigt. Für seine Bestseller erhält er diverse internationale Preise. Seit 2007 lebt Blom in Wien und ist mit der neuseeländischen Autorin Veronica Buckley (67) verheiratet.
Der deutsche Historiker, Philosoph und Autor Philipp Blom kommt 1970 als Sohn einer Sängerin und eines Dirigenten in Hamburg zur Welt. Nach der Rudolf-Steiner-Schule studiert er ab 1990 Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und schliesst mit einer Dissertation ab. Als Journalist arbeitet er für englische und deutschsprachige Zeitungen. Blom verfasst Romane und Sachbücher, worin er sich u. a. mit der Mentalitätsgeschichte, Sammelkultur und österreichischen Weinen beschäftigt. Für seine Bestseller erhält er diverse internationale Preise. Seit 2007 lebt Blom in Wien und ist mit der neuseeländischen Autorin Veronica Buckley (67) verheiratet.
In Ihrem neuen Bestseller «Hoffnung» benennen Sie das ganz klar: «Keine Veränderung. Keine Zukunft. Keine Hoffnung.» Aber was, wenn die Veränderung zum Schlechteren führt?
Veränderung passiert ganz einfach. Das kann man mögen oder nicht, aber es ist immer ein Fehler, sich dem zu verweigern. Wenn ich wieder 20 sein möchte und versuche, wieder das Gewicht zu erlangen, das ich damals hatte, und die Kleider von früher zu tragen, dann ist das Ergebnis nicht sehr überzeugend. Es gibt in der Geschichte keinen Rückwärtsgang.
Gewiss, Hoffnung ist nicht rückwärtsgewandt, sondern vorwärtsgerichtet. Allerdings fragen Sie sich im Buch selber: «Kann man überhaupt noch hoffen in dieser Zeit?»
Aber diese Frage stelle ich nicht, weil wir in einer besonders risikogeladenen Zeit leben. Die Erde war schon immer ein Ort der absoluten Unsicherheit, der Krankheit und des plötzlichen Todes – historisch gesehen haben wir es wesentlich einfacher als frühere Generationen.
Weswegen ist es heute dennoch schwierig zu hoffen?
Das hat viel damit zu tun, dass die Gesellschaft keinen Begriff von einer guten Zukunft hat. Es geht nicht darum, dass es eine realisierbare Zukunft ist, aber es müsste ein gemeinschaftliches Projekt sein. Und eine solche Idee fehlt. Die Gesellschaft fühlt sich auf dem Höhepunkt, und die grösste Hoffnung ist, dass sich nichts verändert.
Fehlt der Gesellschaft die Hoffnung, weil sie immer säkularer ist? Schliesslich ist Hoffnung in Religionen verankert.
Es stimmt, Hoffnung ist ein sehr religiöses Konstrukt, ein jüdisch-christliches: Die Juden und dann die Christen haben die Idee entworfen, dass die Geschichte eine Richtung hat, auf ein Ziel zugeht und dieses Ziel auch erreichbar ist.
Im Untertitel lautet Ihr Buch «Für ein kluges Verhältnis zur Welt». Sprechen Sie sich damit für ein vernunftbetontes Hoffen auf, also Wissen statt Glauben?
Ich bin selbst kein gläubiger Mensch, wenn Sie das meinen. Aber natürlich hat Hoffnung schon etwas mit einer Art von Glauben zu tun – zu glauben, dass es sinnvoll ist, etwas zu tun. Hoffnung ist für mich etwas sehr Aktives. Aber es gab auch Kulturen, die mit diesem Konzept nichts anfangen konnten.
Welche zum Beispiel?
Die alten Griechen hatten wenig Zeit und Verständnis für Hoffnung. Die fanden, Hoffnung sei etwas für Trottel, denen die Götter Sand in die Augen streuten, damit sie alles positiv sehen, was in Wirklichkeit gar nicht positiv ist.
Sie plädieren für den Möglichkeitssinn, der darin besteht, «die Wirklichkeit, nur weil sie zufällig real geworden ist, nicht wichtiger zu nehmen als andere denkbare Optionen». Sehen Sie dadurch die Welt positiver?
Nein, die Wirklichkeit ist ja immer noch da. Aber es ist sehr wichtig, dass wir uns ihr nicht völlig ausgeliefert fühlen. Nicht, dass wir sagen: So ist es nun mal, es ist immer schon so gewesen, und es kann gar nicht anders werden. Die Wirklichkeit ist aus Zufällen entstanden, zum Teil aus sehr dummen Zufällen.
Wie kamen die Zufälle zustande?
Zum Teil, weil jemand mehr Macht hatte als jemand anderes, zum Teil, weil irgendwo ein Erdbeben gewesen ist. Das heisst: Diese Wirklichkeit, die aus verschiedenen, zum Teil überhaupt nicht logischen Gründen so geworden ist, könnte sehr wohl anders sein. Dieser Gedanke ist eine grosse persönliche Befreiung.
Kann man Hoffnung also erlernen?
Man kann sie auf jeden Fall stärken. Dabei geht es nicht darum, sich in Illusionen zu steigern und Fakten zu ignorieren. Aber wir dürfen nicht in Passivität verfallen und müssen einen Gestaltungsraum schaffen, in dem wir uns dafür einsetzen, dass die Hoffnungen auch realisiert werden können.
Wie sieht dieser Gestaltungsraum aus?
Den können wir schaffen, indem wir uns informieren, indem wir Kompetenzen erwerben, etwas lernen und uns mit anderen Menschen zusammentun, die Ähnliches wollen. Aber es reicht nicht, einen Stammtisch hinzustellen, an dem sich die Menschen einmal miteinander unterhalten.
Sondern?
Man muss tatsächlich die Struktur verändern, sodass wieder mehr vertrauenswürdige Kontakte zwischen den Menschen stattfinden. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass sie wieder entstehen, wir müssen daran arbeiten, dass sie erneut eine Chance haben. Denn in unserer Gesellschaft mangelt es an sozialem Vertrauen.
Weswegen?
Durch den Internethandel zum Beispiel schliessen Geschäfte in Innenstädten, wo sich die Kundschaft früher traf und einen Schwatz abhielt. Da muss man sich überlegen, wie es möglich ist, so etwas wiederzubeleben. Und wie kann man verhindern, dass wir alle nur noch isoliert zu Hause leben und auf Postboten mit Päckchen warten?
Aber die Menschen sind heute nicht nur zu Hause isoliert, sie sitzen auch im öffentlichen Raum lieber vor ihrem Handy, anstatt mit dem Gegenüber zu kommunizieren.
Diese Technologien stossen uns sogar hinein in dieses Leben mit weniger Kontakten, aber da kann man durch Design von Verkehrsmitteln und Arbeitsprozessen gegensteuern. Sonst gibt es immer weniger Verbindlichkeiten in unserer Gesellschaft. Und es ist schwer zu sehen, wie eine Gesellschaft ohne ausreichend viele Verbindlichkeiten noch eine Gesellschaft sein kann.
Haben Sie Hoffnung?
Das sind gefährliche Entwicklungen, aber sie sind nicht durch Naturgesetze entstanden und wachsen nicht irgendwo auf Bäumen. Das sind menschliche Entscheidungen, oftmals wirtschaftliche, und die kann man ändern.
Inwiefern wirtschaftliche?
Das Interesse von Instagram und X ist nicht, Ihr Wohlbefinden zu maximieren. Sie tun so, als würden sie das machen. Aber ihr Interesse ist, Geld zu verdienen. Das ist legitim, denn sie sind Firmen. Aber sie machen das heute viel effektiver.
Wo zeigt sich das?
In den letzten 30 Jahren sind 40 Prozent des geschaffenen Wohlstands in ein Prozent der Taschen verschwunden. Wenn man dann erkennt, dass man nicht weiterkommt, so sehr man sich bemüht und so hart man arbeitet, dann ist das keine faire Gesellschaft. Dadurch schwindet das Vertrauen in die, die Macht haben.
Wächst in der Not nicht gleichzeitig die Hoffnung auf Veränderung?
Es ist sicher so, dass momentan in der Ukraine mehr gehofft wird als in der Schweiz. Wenn der Horizont eines akzeptablen Lebens weiter weg rückt, dann ist es einfacher, auf etwas zu hoffen – nämlich alles, was die Situation verändert. Aber Not kann nicht nur Hoffnungstreiber, sondern auch Hoffnungsbrecher sein.
Der Philosoph Immanuel Kant, über den Sie auch schon publizierten, schrieb einmal: «Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.» Werden Sie sich den beiden anderen Tätigkeiten zuwenden, wenn das Hoffen nicht hilft?
Es ist ja nicht besonders gut für den Schlaf, wenn das Hoffen nicht mehr hilft. Und ich bin ohnehin kein grosser Schläfer. Aber das mit dem Lachen kann ich gut verstehen. Das wird mir sicherlich noch auf den Lippen bleiben – zumindest hoffe ich das.