In den letzten warmen Herbsttagen wuselte es in den Gärten rund um meine Wohnung: Da recht eine Nachbarin das Laub der Bäume zusammen, dort trimmt ein Mann die Hecke, hier schneidet eine Frau den verwelkten Sommerflor, und ein Gärtner mäht das letzte Mal in diesem Jahr den Rasen – allenthalben achten alle akkurat auf eine gepflegte Natur, auf dass sie im nächsten Frühjahr wieder kräftig aufblüht und Ertrag bringt.
«Der einzige Grund für die Erschaffung der Menschheit war dem Mythos zufolge, dass den Göttern die Arbeit auf dem Feld und das Erwirtschaften des eigenen Unterhalts zu viel wurden», schreibt der deutsche Publizist Philipp Bloom (52) in seinem neuen Buch über den babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elisch (9. bis 2. Jahrhundert v. Chr.). Davon ausgehend zeichnet Blom die «menschliche Herrschaft über die Natur» bis heute nach.
«Die Unterwerfung der natürlichen Umgebung lag noch ausserhalb der technologischen Möglichkeiten der Antike», schreibt Blom, «allerdings kam es auch schon unter den römischen Cäsaren zu dauerhaften Veränderungen der Landschaft durch Rodung und Urbarmachung, Wasserwirtschaft, Bergwerke.» Neue Dimensionen habe die Unterwerfung durch Industrialisierung, systematische Ausbeutung der Kolonien und beginnende Naturwissenschaften erreicht.
«Aber sie trug noch immer die alte, moralisch-theologische Bürde», schreibt Blom. Sie müsse beweisen, warum die Unterwerfung nicht nur möglich und für die Unterwerfer nützlich, sondern warum sie gut und richtig sei. Blom: «Gottes Wille, oder der Wille der Vorsehung, des Weltgeistes, des Fortschritts, nicht willkürliche Macht und Grausamkeit.» Gott ist auf unserer Seite.
Das hat seinen Preis, wie Blom vorrechnet: Seit 1960 habe sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, der Fleischkonsum allerdings verfünffacht. «Jährlich werden 88 Milliarden Landtiere geschlachtet, um das menschliche Grundrecht auf das tägliche Schnitzel zu bedienen», schreibt er maliziös. Diese Tiere würden nicht nur drei Viertel aller landwirtschaftlichen Produktion Europas fressen, sondern den gleichen Anteil aller hergestellten Antibiotika.
«Das Projekt der Unterwerfung der Natur durch den Menschen erweist sich spätestens im beginnenden 21. Jahrhundert als katastrophaler Fehler», so Blom. Auch wenn sich heute die Menschen mehr und mehr von den Religionen abwenden und wir zumindest im Westen in einem säkularen Jahrhundert leben, geht die Unterwerfung mit unvermindertem Eifer weiter. Blom benennt die neuzeitliche Bibel: «Das liberale Evangelium.»
Die Menschheit des 21. Jahrhunderts werde aus ihrer konzeptuellen Heimat, der Geschichte der Unterwerfung der Natur, vertrieben wie Adam und Eva aus dem Garten Eden – nur dass diesmal kein Gott und kein Engel mit flammendem Schwert auftrete, sondern die vorhergesagte Klimakatastrophe.
Philipp Blom, «Die Unterwerfung – Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur», Hanser