Auf einen Blick
- Matisse-Retrospektive in der Fondation Beyeler eröffnet
- Ausstellung zeigt Einflüsse von Matisses Reisen auf seine Kunst
- Über 70 Hauptwerke aus europäischen und amerikanischen Museen
Wenn jemand eine Reise tut, so könne er was erzählen, lautet ein geflügeltes Wort im Deutschen. Adaptiert auf den französischen Künstler Henri Matisse (1869–1954) müsste es heissen: Wenn jemand eine Reise tut, so kann er etwas malen. Wie kaum ein anderer Maler hat Matisse die Welt bereist und die Eindrücke in seinen Gemälden verarbeitet.
«Matisse – Einladung zur Reise» heisst dementsprechend die grosse Ausstellung der Fondation Beyeler in Riehen BS, die an diesem Wochenende eröffnet. Mit über 70 Hauptwerken aus führenden europäischen und amerikanischen Museen sowie Privatsammlungen ist es die erste Henri-Matisse-Retrospektive in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum seit fast 20 Jahren.
«Eine ganze Generation hat bei uns diese Gemälde nicht mehr zu sehen bekommen», sagt Fondation-Beyeler-Direktor Sam Keller (58). Das Museum bietet einen facettenreichen Überblick von den realistischen Anfängen bis zu den berühmten Scherenschnitten im Spätwerk von Matisse. Und immer mal wieder lassen sich die Einflüsse seiner Reisen erkennen.
«Wohl der meistgereiste der berühmten Maler»
Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf das Gedicht «L’invitation au voyage» des französischen Dichters Charles Baudelaire (1821–1869). Matisse kannte dieses Poem und malte 1904 ein Gemälde, das er nach der letzten Verszeile von Baudelaires Gedicht betitelte: «Luxe, calme et volupté» – Überfluss, Ruhe und Genuss.
«Wenn man lange in der gleichen Umgebung gearbeitet hat, kommt der Moment, wo es guttut, den gewohnten Gang der Gedanken durch eine Reise zu unterbrechen», sagte Matisse 1930 gegenüber der französischen Tageszeitung «L’Intransigeant» (Die Kompromisslose). Eine Reise beruhige gewisse Gedanken und lasse andere sonst vom Willen unterdrückte aufkommen.
Im dunklen Dezember des Jahres 1869 nahe der belgischen Grenze zur Welt gekommen, ist Henri Émile Benoît Matisse zeitlebens auf der Suche nach dem Licht. Diese Suche treibt ihn auf seinen Reisen immer wieder südwärts – nach Südfrankreich (1904), Algerien (1906), Italien (1907), Spanien (1910), Marokko (1912), Nizza (1917) und zu einer letzten grossen Reise nach Tahiti (1930).
«Matisse ist wohl der meistgereiste der berühmten Maler», sagt Keller. Zwar gilt Paul Gauguin (1848–1903) mit seinen Südseebildern als Globetrotter unter den Künstlern, aber letztlich hat er einfach seinen Lebensmittelpunkt nach Polynesien verlagert und lebte über Jahre bis zu seinem Tod dort. Matisse ist vergleichsweise ein früher Tourist und bleibt bloss von Ende März bis Mitte Juni 1930 auf Tahiti.
«Dort unten bezauberten mich der Himmel und das Meer, die Fische und die Korallen in den Lagunen», sagte Matisse 1946 der Genfer Kunst- und Literaturzeitung «Labyrinthe». Die den Dingen eigenen Farben seien nicht verändert gewesen, aber ihre Wirkung im Licht des Pazifik habe ihn erfüllt mit einem Gefühl, ähnlich dem, das er empfunden habe, wenn er ins Innere einer grossen Goldschale geschaut habe.
Reiseeindrücke erst Jahre später verarbeitet
«Dies alles tauchte mich zunächst in die Tatenlosigkeit einer totalen Verzückung», so Matisse weiter. Der Künstler war denn auch nicht mit der Staffelei vor Ort, malte kein Gemälde, zeichnete höchstens ein paar Skizzen. «Er verarbeitete seine Reiseeindrücke meist erst Jahre später», sagt Raphaël Bouvier (47), Kurator der Matisse-Ausstellung.
Die Einflüsse der Tahiti-Reise von 1930 auf das Werk von Matisse zeigen sich zum Beispiel erst 15 Jahre später in den Scherenschnitten mit ihren korallenartigen Formen oder in den beiden Wandteppichen «Polynesie, le ciel» («Ozeanien, der Himmel») und «Polynesie, la mer» («Ozeanien, das Meer», 1946/48), worauf die schablonenhaften Umrisse exotischer Fische zu erkennen sind.
«Malerei muss für Matisse nicht mehr die Wirklichkeit abbilden», sagt Keller. Die im 19. Jahrhundert aufkommende Fotografie befreite die Kunst von dieser Aufgabe. Matisse nutzte diese Freiheit und erfand sich und seine Kunst immer wieder neu, wurde zum Neuerer der Kunst und inspirierte mit seiner Kühnheit Künstler wie Piet Mondrian (1872–1944), Kasimir Malewitsch (1879–1935) oder Mark Rothko (1903–1970).
Für die faszinierende Ausstellung «Einladung zur Reise» machten viele Gemälde eine halbe Weltreise und kommen aus dem Museum of Modern Art in San Francisco oder dem Baltimore Museum of Art, wo eine der bedeutendsten Matisse-Sammlungen ausserhalb Frankreichs ist. Aber natürlich gelang das nur, weil die Fondation Beyeler selber schon eine wichtige Matisse-Sammlung hat.
Vier Jahre hat Kurator Bouvier an der Konzeption dieser lustvollen und lehrreichen Werkschau gearbeitet. Entsprechend erfreut läuft er durch die Ausstellungsräume. «Besucherinnen und Besucher, die hier durchgehen, machen selber eine Reise», sagt Bouvier. Eine Reise durch die Zeit mehrerer Kunstepochen, eine Reise durch das Œuvre eines grossen Meisters.
«Matisse – Einladung zur Reise» vom 22. September bis 26. Januar 2025 in der Fondation Beyeler, Riehen BS.
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