Stundenlang anstehen für ein eine Packung Teigwaren und Reis: 2500 Menschen warten im Mai in Genf auf gratis Essen. Die Bilder der langen Schlangen erschüttern viele. Sie machen ein Problem sichtbar, das in der wohlhabenden Schweiz oft übersehen wird: die Armut.
Die Schweiz ist eine Insel des Wohlstands in Europa. Der Medianlohn beträgt gut 6500 Franken. Das bedeutet, dass die Hälfte der Arbeitnehmenden mehr und die andere Hälfte weniger verdient. Einige verdienen sehr viel weniger, wie die lange Menschenschlange in Genf zeigte. Etwa 660'000 Personen oder knapp acht Prozent der Schweizer Bevölkerung gelten als arm.
Die Armutsgrenze liegt bei 2293 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3968 Franken pro Monat für ein Elternpaar mit zwei Kindern. Damit müssen Wohnung, Krankenkasse, Essen, Kleider, Pflege, Verkehr, Bildung und Hobbys bezahlt werden.
Es gibt verschiedene Gruppen, die besonders gefährdet sind von Armut: Arbeitslose, Menschen mit einem sehr tiefen Einkommen oder Personen über 65 Jahre. Auch Alleinerziehende haben generell ein höheres Risiko, arm zu sein.
Arbeitslose
Wer über eine längere Zeit arbeitslos bleibt, läuft Gefahr, in die Armut abzurutschen. Eine unerwartete Ausgabe, zum Beispiel eine defekte Waschmaschine oder eine neue Brille, liegt nicht mehr drin.
Die Lage am Schweizer Arbeitsmarkt verschlechtert sich durch die Coronavirus-Pandemie zudem. Ende Mai waren bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) 156'000 Arbeitslose registriert. Die Arbeitslosenquote hat sich seit Februar von 2,5 auf 3,4 Prozent erhöht.
Besonders Arbeitslosigkeit als Dauerzustand kann verheerende Folgen mit sich bringen. Als Langzeitarbeitslose gelten Personen, die länger als ein Jahr bei einem RAV registriert sind. Sie haben weniger Chancen, wieder einen Job zu finden, verlieren teilweise den Anschluss an die Gesellschaft.
Arm trotz Arbeit
Nicht alle Armen sind arbeitslos. Rund 135'000 Männer und Frauen gelten in der Schweiz als Working Poor. Das bedeutet: Sie schuften, doch das Geld reicht nirgends hin. Besonders hoch ist das Risiko für Saisonniers, Teilzeitangestellte, Selbständige oder Personen mit befristeten Verträgen.
Altersarmut
Die Rente reicht nie bis Ende Monat, obwohl sie sparen, wo es nur geht: Rund zwölf Prozent der Pensionierten benötigen Ergänzungsleistungen, um ihr Existenzminimum zu sichern. Viele, die von Altersarmut betroffen sind, waren nicht immer arm. Irgendwann aber geraten sie in eine Spirale und kommen nicht mehr raus. Besonders gefährdet sind Frauen, die oft wegen der Familie über Jahre gar nicht oder nur wenig gearbeitet haben.
Wir wollen über das Tabuthema sprechen
Viele Betroffene versuchen, die Armut vor der Aussenwelt zu verstecken. Denn in der Schweiz spricht man nicht über Geld. Schon gar nicht, wenn man nur wenig davon hat. BLICK will das ändern. Deshalb stellen wir die Frage an unsere Community: Wie ist es, in der reichen Schweiz arm zu sein?
Schreiben Sie uns, falls Sie aus einem der oben genannten Gründe in die Armut gerutscht sind. Wie geht man mit Armut um, was belastet am meisten und was wünschen sich arme Menschen für die Zukunft? Wir würden gerne Ihre Geschichte erzählen und aufzeigen, wie es wirklich ist. Nutzen Sie dafür folgendes Formular: