10% mehr Arme in einem Jahr
Armut wächst in der reichen Schweiz

Armut in der Schweiz hat in einem Jahr um fast 10 Prozent zugenommen. Das Land ist nicht länger die unangefochtene Insel des Wohlstands in Europa. Gerade die Sozialausgaben für Alter und Krankheit drängen immer mehr Menschen in Not.
Publiziert: 05.07.2019 um 03:37 Uhr
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Aktualisiert: 04.07.2020 um 10:41 Uhr
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Gerade Altersarmut ist ein wachsendes Problem in der Schweiz wegen steigender Alters- und Gesundheitskosten.
Foto: Keystone

Laut dem «Global Wealth Report 2018» der Credit Suisse sind Schweizer die zweitreichsten Menschen der Welt, knapp hinter Australiern. Der Schein trügt. In der Schweiz sind rund 675'000 Menschen von Armut betroffen. Das besagen neueste Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Zwischen 2016 und 2017 ist Armut demnach von 7,5 Prozent auf 8,2 Prozent der Bevölkerung gestiegen. Das entspricht fast 10 Prozent mehr armen Menschen in der Schweiz in nur einem Jahr.

Zwischen 2007 und 2013 war die Armutsquote noch zurückgegangen. Jetzt steigt sie wieder. Heute gilt jede zwölfte Person in der Schweiz als arm. Am stärksten betroffen sind Alleinstehende und Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren. Von Armut bedroht sind auch Menschen ohne Schulabschluss, Langzeitarbeitslose über 50 und Personen, die in von Arbeitslosigkeit betroffenen Haushalten leben.

Die letzte Zahlen liegen für das Jahr 2017 Zahlen vor. Inzwischen ist der Kostendruck weiter gestiegen. 2017 lag die Armutsgrenze in der Schweiz bei einem Monatseinkommen von 2259 Franken für eine Einzelperson. Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren galt bei einem Haushaltseinkommen von 3990 Franken im Monat als arm.

Sozialausgaben auf über ein Viertel von Wirtschaftsleistung geklettert

Trotz starker Wirtschaftszahlen nimmt Armut in der Schweiz seit 2014 stetig zu. 2017 galten 4,3 Prozent der Erwerbstätigen als einkommensarm, was 165'000 Menschen entspricht. Besonders betroffen sind Teilzeitarbeitende, Selbständige, Angestellte in Kleinunternehmen und solche mit befristeten Arbeitsverträgen.

Laut Statistiken sind damit viel mehr Menschen in der Schweiz von Armut betroffen als angenommen. In den letzten vier Jahren waren rund 12,8 Prozent seit mindestens einem Jahr arm. Jetzt ist die Zahl der von Armut betroffenen Menschen in nur einem Jahr um 60'000 hochgeschnellt.

Dabei federn laufend steigende Ausgaben für die soziale Sicherheit die Armut noch ab. Sozialausgaben beliefen sich 2017 auf 175 Milliarden Franken. Das entspricht einem Anteil von 26,1 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung.

Caritas fordert wirksame Armutspolitik

Das Hilfswerk Caritas Schweiz spricht von einer alarmierenden Entwicklung und fordert von Bund, Kantonen und Gemeinden entschlossenes Handeln und eine wirksame Armutspolitik. Trotz guter Wirtschaftslage steige die Zahl der Armen in der Schweiz konstant an.

Allein 70'000 Kinder sind in der Schweiz von Armut betroffen, die zudem «eine viel höhere Krankheitsquote» aufweisen, wie Franz Schultheis, Soziologe und Armutsforscher an der Universität St. Gallen, dem Schweizer Fernsehen sagte. «Armut wird in der Schweiz als Problem unterschätzt», so Schultheis. «Sie führt auch zur sozialen Ausgrenzung.»

Dass der Bundesrat sich im letzten Jahr aus der Armutspolitik zurückgezogen habe, erweise sich nun als Bumerang, so Caritas. Das Problem dürfe nicht einfach den Kantonen und Gemeinden aufgebürdet werden: Es brauche nun dringend eine landesweite Armutsstrategie, fordert Caritas. (SDA/kes)

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