Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. November 2020..
Jeder Fünfte leidet nach einem halben Jahr immer noch an Spätfolgen einer Corona-Infektion. Das zeigt ein Zwischenergebnis einer Studie der Universität Zürich. Die Zahl sollte noch zurückhaltend beurteilt werden. Studien aus anderen Ländern weisen tiefere Anteile an sogenannten «Long Covid»-Patienten aus. Präzise Aussagen darüber zu machen ist kaum möglich – das Virus ist dafür noch zu neu.
Manuela Funke-Chambour ist stellvertretende Chefärztin der Universitätsklinik für Pneumologie am Inselspital Bern. Sie leitet ein nationales Forschungsprojekt zu Langzeitschäden der Lunge durch Covid-19. Sie geht davon aus, dass sicher nicht die Mehrheit der Patienten betroffen sei: «Die meisten werden sich wahrscheinlich vollständig erholen.»
Als häufige Langzeitfolgen nennt sie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Schwäche. Einige Betroffene hätten auch Atemnot und Brustschmerzen. «Die Leistungseinschränkung und andere Beschwerden können noch Monate nach der Erkrankung anhalten», sagt sie. Corona ist hierbei kein Einzelfall. Es könne auch nach anderen Viruserkrankungen zu Erschöpfungssymptomen kommen.
Vieles bleibt noch unklar, das Spektrum von «Long Covid» ist gross. Wir haben mit Leserinnen und Lesern gesprochen, die auch Wochen, teils Monate nach der Infektion an Folgen leiden. Das sind ihre Geschichten.
Nach acht Monaten immer noch fast arbeitsunfähig
Der Primarlehrer Marc Halter (49) aus Baden AG lag im März wegen Corona auf der Intensivstation. Weil sich Zustand so schlecht war, versetzten ihn die Ärzte in ein künstliches Koma und liessen ihn beatmen. BLICK berichtete damals über seinen dramatischen Krankheitsverlauf. Auf unseren Leser-Aufruf meldete er sich: Er leide auch acht Monate später immer noch an Spätfolgen.
«Als ich aus dem Spital nach Hause kam, habe ich die ersten Monate sehr viel geschlafen. Ich dachte, das seien die körperlichen Nachwirkungen des Komas. Man wusste damals noch nichts über Spätfolgen des Virus. Erst im Sommer merkte man, dass die Erschöpfung wahrscheinlich mit Corona zusammenhängt.
Die Ärzte fanden heraus, dass das Virus auch andere Organe als die Lunge angreift. Eine Untersuchung zeigte, dass ich Vernarbungen am Herz habe, die von einer Entzündung des Herzmuskels im Frühjahr stammen. Das hat mir geholfen, meine Müdigkeit zu erklären.
Ich mache Fortschritte, aber es geht enorm langsam. Bis heute bin ich schnell erschöpft und schlafe am Nachmittag eine Stunde. Gespräche strengen mich an. Wenn ich mich zehn Minuten stark konzentriere, fühlt sich das an, als ob ich voll rennen würde. Und ich habe Probleme mit dem Gedächtnis. Am Morgen sehe ich in der Agenda einen Termin am Nachmittag. Aber am Mittag habe ich das bereits wieder vergessen. Vor der Krankheit wusste ich mein ganzes Wochenprogramm auswendig im Kopf. Ich mache oft Musik, das hilft meinem Hirn. Ich bin Keyboarder in mehreren Bands, aber das ist natürlich auf Eis gelegt.
Ich bin als Lehrer sehr engagiert, bin normalerweise mit 200 Prozent unterwegs. Jetzt muss ich eine andere Gangart einlegen. Seit August arbeite ich wieder zwanzig Prozent, jeweils drei Lektionen am Mittwoch- und Freitagmorgen. Das tut mir sehr gut, aber danach bin ich erledigt und schlafe eine Stunde. Das Ziel ist, dass ich das Pensum vorsichtig steigern werde.
Ich war fit, habe keine Vorerkrankungen und rauche nicht. Ich finde es wichtig, dass die Leute begreifen: Wenn es dich hart trifft, dauert die Erholung sehr lange. Ich hoffe, in einigen Wochen eine Kardio-Therapie beginnen zu können. Das wird streng, viermal pro Woche eineinhalb Stunden Training. Ich bin kein Grübler, sondern ein Macher, ich schaue nach vorne. Trotzdem frage ich mich oft, wie lange das noch dauern wird.»
«Ich verbrachte über einen Monat in einer Rehaklinik»
Margrit Meier* (75) lebt in der Region Basel. Sie wohnt allein.
«Ich ging mit einem befreundeten Paar essen. Das war in den ersten Wochen, wo man über Corona zu reden begann. Einige Tage später ging es mir nicht gut. Ich liess mich testen und war positiv. Ich war total kraftlos, wie wenn der Körper in sich zusammenfällt. Sonst hatte ich keine Symptome. Ich rief bei den mobilen Hausärzten an, danach brachten mich zwei Sanitäter ins Spital. Das war am 23. März. Dort machten sie ein Röntgenbild der Lunge: Beidseitige Lungenentzündung mit Wassereinlagerungen.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Ich erhielt eine Infusion und brauchte Sauerstoff. Von den ersten zwei Tagen habe ich eine Gedächtnislücke. Dann ging es aufwärts. Nach etwa zehn Tagen wurde ich verlegt in eine Rehaklinik. Dort blieb ich einen guten Monat. Ich machte Gymnastik und Atemtherapie. Am 7. Mai durfte ich nach Hause.
Bis heute brauche ich nach der kleinsten Anstrengung eine Pause. Beim Reden gerate ich ausser Atem, dann muss ich zwischendurch unterbrechen und fest einatmen. Eine Stunde spazieren ohne anzuhalten ist nicht möglich. Vorher ging das gut. Und beim Putzen hilft mir jetzt jemand von der Spitex. Ich muss immer noch einmal pro Woche in die Therapie, wir machen Atemübungen und Gymnastik.
Was mich moralisch belastet: Das Paar, mit dem ich essen ging, wurde gleichzeitig ins Spital eingeliefert wie ich. Beide sind gestorben. Er an Corona, sie vor kurzem an Krebs. Ich sah im Spital im Delirium zwei Mal, wie mir jemand die Hand hinstreckte. Aber ich wusste in dem Moment: Nein, ich kann noch nicht gehen, es ist noch zu früh.»
«Beim Joggen habe ich Hustenanfälle»
Philipp Rüegg (45) wohnt in Zürich.
«Bis vor kurzem wusste man fast nichts über Langzeitfolgen des Coronavirus. Ich bin froh, dass BLICK über das Thema berichtet. Im März hatte ich Kopf- und Halsweh, etwas Temperatur. Ich war müde, kurzatmig und meine Muskeln schmerzten stark. Ich wohne im zweiten Stock, zum Briefkasten musste ich den Lift nehmen. Da ich keine schweren Symptome hatte, durfte ich damals keinen Test machen.
Nach zwei Wochen war der Spuk vorbei. Danach begann gerade der Lockdown. Ich ging etwas joggen, fühlte mich aber ausser Form und musste oft Pausen machen. Als im Juni die Fitnesszentren wieder öffneten, merkte ich, dass ich Probleme beim Atmen hatte. Nach einer Viertelstunde Joggen musste ich bei jedem Atemzug extrem stark husten. Und nach einer Stunde im Fitness war ich komplett erschöpft.
Anfangs September verbrachte ich mit meinem Partner Ferien an der Nordsee. Als wir eine Stunde spazieren gingen, war ich so müde, dass ich danach eine Stunde schlafen musste. Da wusste ich: Etwas stimmt nicht. Zu Hause sagte mir mein Arzt, dass ich Belastungsasthma entwickelt hatte.
Einige Zeit vorher habe ich an der Corona-Antikörperstudie der Uni Zürich teilgenommen. Sie riefen mich im Herbst an und sagten, mein Test sei positiv. Da machten meine Symptome auf einmal Sinn.
Seit Mitte Oktober scheint es nun besser zu werden. Generell bin ich weniger erschöpft. Ich kann nun länger als eine Viertelstunde joggen ohne Hustenanfall. Aber es kommt auf den Tag an, manchmal am Mittag werde ich plötzlich müde und muss schlafen gehen. Ein Kollege von mir hatte ähnliche Symptome. Er brauchte ein halbes Jahr, um sich zu erholen. Ich bin nun relativ optimistisch und hoffe, in ein bis zwei Monaten wieder ganz gesund zu sein.»
«Wie soll ich das Unisemester bewältigen, wenn ich nach jeder Vorlesung schlafen möchte?»
Noemi Brunner* (22) ist Studentin an einer Schweizer Universität.
«Ich bin im Oktober am Coronavirus erkrankt. Ich bin jung und eigentlich sehr fit. Etwa fünf Tage lang fühlte es sich ähnlich an wie eine Grippe: leichte Temperatur, Gliederschmerzen, Husten, Geschmacksverlust und grosse Müdigkeit. Mittlerweile gelte ich wieder als gesund, doch ich huste immer noch und bin ständig erschöpft.
Zurzeit schlafe in der Nacht etwa zehn Stunden und am Mittag nochmals mindestens eine. Ich bin sehr schnell müde, kann mich nicht mehr so gut konzentrieren und kriege schnell Kopfschmerzen. Ich fühle mich, als ob mein Hirn ein Sieb wäre. Mein Studium ist streng, die Prüfungen finden von Dezember bis Februar statt. Normalerweise würde ich jetzt um sieben Uhr aufstehen und bis spät am Abend lernen. Wie soll ich das Semester bewältigen, wenn ich nach jeder Onlinevorlesung wieder drei Stunden schlafen möchte?
Anfang Jahr war ich schon einmal für sechs Wochen ans Bett gefesselt, damals wegen einer unbekannten viralen Infektion inklusive Lungenentzündung. Ich weiss nicht, ob es das Coronavirus war, da man damals noch nicht testete. Die Symptome waren aber genau die gleichen wie im Oktober, nur viel schlimmer. Auch der Geschmackssinn war weg. Es dauerte lange, bis ich mich erholte. Bis Ende April hustete ich und war sehr müde. Erst ab Mai ging es dann wieder besser.
Ich versuche im Moment, das Beste daraus zu machen. Ich bin sicher auf dem Weg der Besserung, es braucht halt einfach viel Zeit. An gewissen Tagen fühle ich mich krank, an anderen fast wie gesund. Ich vertraue meinem Körper, dass er es schafft.»
«Seit acht Monaten rieche ich nichts»
Sandra Albrecht* (27) arbeitet in der Pflege.
«Im März wurde ich positiv auf Covid-19 getestet. Der Verlauf war zum Glück sehr mild. Nach drei Tagen habe ich jedoch den Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Der Geschmack kam rasch wieder, doch riechen kann ich seit acht Monaten nichts. Es ist schrecklich! So viel Lebensqualität geht verloren. Ich vermisse Gerüche mega.
Das Essen schmeckt weniger intensiv und beim Kochen würde ich nicht merken, wenn etwas anbrennt. Eigentlich parfümiere ich mich sehr gerne ein. Und jetzt bemerke ich einfach nichts vom Duft. Es ist auch komisch, dass ich meinen Partner nicht riechen kann.
Ich bin im letzten Monat schwanger. Im Geburtsvorbereitungskurs sagten sie, wir sollten an den Babys riechen, ihr Geruch sei sehr gut. Ich möchte doch so gerne mein Baby riechen können, wenn es auf die Welt kommt. Mein Arzt sagt, es könne bis zu einem Jahr gehen, bis der Geruch zurückkommt. Aber so genau weiss das niemand. Manchmal bin ich kurz vor dem Verzweifeln und will weinen. Im Moment prägt mich die Angst, dass mein Geruchssinn für immer weg ist. Das einzig Gute an allem ist: Wahrscheinlich wurde das Baby in der Quarantäne gezeugt.»
«Ich habe Angst, die Situation ist nicht greifbar»
Anna Berger* (45) wohnt allein.
«Vor Corona war ich wirklich gesund. Ich habe keine Vorerkrankungen, machte Ausdauertraining und Pilates. Seit Anfang Oktober ist alles anders. Zuerst hatte ich Fieber, dann ging der Geruchssinn weg und ich hatte starke Kopfschmerzen. Ich fühlte mich kaputt. Der Coronatest war positiv. Eine Woche später machte mir plötzlich das Atmen Mühe. Nach zwei Wochen dachte ich: Nun muss ich ins Spital. Es wurde dann etwas besser. Eine Ärztin verschrieb mir ein Kortisonpräparat, das ich inhalieren muss. Sie sagte mir, es gebe viele, die kurzatmig seien, ich müsse Geduld haben.
Ich gehe nun in die Akupunktur. Aber ich habe Angst, die Situation ist einfach nicht greifbar. Wann kann ich wieder normal atmen? Ich bin ein relativ starker Mensch, doch im Moment bin ich sehr verunsichert. Wenn ich versuche, mit dem Velo zur Arbeit zu fahren, habe ich Angst. Was ist, wenn ich mitten auf der Strecke zu wenig Atem habe? Der Weg ist flach und nicht so weit. Viel ist im Kopf, und es ist schwer zu sagen: Was kommt von der Lunge, wie viel von der Anspannung? Ich kann mich zurzeit nicht beruhigen, wie ich es möchte. Immerhin geben mir meine Katzen Ruhe und Geborgenheit. Ich hoffe nun, dass das Kortison wirkt. Ich habe einen starken Willen und werde alles daran setzen, dass es mir wieder besser geht.
Auf jeden Fall bin ich dünnhäutig geworden. Ich habe Mühe damit, wenn Leute sagen, es sei nur eine Grippe. Besonders um meine Mutter mache ich mir Sorgen, sie ist 76 Jahre alt.»
«Davon lasse ich mich nicht einschränken»
Laura Zaugg (21) wohnt im Kanton Bern.
«Mitte Oktober bin ich am Coronavirus erkrankt. Ich hatte Gliederschmerzen und Schüttelfrost, aber kein Fieber. Dazu Halsweh und Schnupfen. Der Verlauf der Krankheit war bei mir wirklich mild.
Eigentlich bin ich sehr fit. Ich fahre jeden Tag meinen Arbeitsweg mit dem Velo, je zwölf Kilometer hin und zurück. Zudem reite ich und gehe oft mit meiner Hündin laufen. Doch nun geht mir schnell die Luft aus. Ich habe das Gefühl, als ob mir jemand auf der Lunge sitzen würde. Es kommt aber auch auf den Tag an, manchmal ist es besser, manchmal schlechter.
Ich probiere viel aus. Wenn ich mit dem Velo zum Geschäft fahre, brauche ich länger und bin am Ende ziemlich ausser Atem. Das war vorher nie so. Doch davon lasse ich mich nicht gross einschränken. Ich fange jeden Tag neu an und schaue, ob ich es selbst therapieren kann. Es beunruhigt mich überhaupt nicht. Ich denke, es gibt noch Schlimmeres.»
* Namen der Redaktion bekannt
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Update: In der ersten Fassung war die Betroffene Laura Zaugg noch nicht Teil des Artikels.