Das Coronavirus macht Menschen nicht nur krank, sondern auch einsam. Das zeigen Zahlen der Telefonseelsorge 143, einem Angebot der dargebotenen Hand. Geschäftsführerin Sabine Basler hat für BLICK die Daten ausgewertet: Einsamkeit ist in den Telefongesprächen in diesem Jahr so häufig ein Thema wie noch nie zuvor.
Besonders markant war der Anstieg während des Lockdowns von März bis Mai. In diesem Zeitraum wurde in 8809 Gesprächen Einsamkeit thematisiert, fast hundert Mal pro Tag. Das ist ein Drittel mehr verglichen mit derselben Periode 2019. Und das Thema bleibt aktuell. Auch in den Monaten Juli bis September liegt die Kurve über derjenigen des Vorjahrs.
Vor allem die über 65-Jährigen haben öfter die Nummer 143 gewählt. Sabine Basler kann die Themen nicht nach Altersgruppe aufschlüsseln, sie vermutet aber, dass sich ältere Menschen zurzeit besonders einsam fühlten. Die Mitarbeiter des Telefondienstes berichten ihr, dass Einsamkeit meist zwischen den Zeilen mitschwingt. «Viele Anrufer möchten einfach, dass ihnen jemand aufmerksam zuhört, einfühlsam ist und ihnen das Gefühl gibt, so angenommen zu sein, wie sie sind», sagt Basler.
Einsamkeit als neue Volkskrankheit
Schon vor dem Ausbruch der Pandemie galt Einsamkeit als neue Volkskrankheit. Grossbritannien führte 2018 sogar ein Ministerium für Einsamkeit ein. In der Schweiz fühlte sich letztes Jahr mehr als ein Drittel der Bevölkerung manchmal oder oft einsam. Und nun kommt noch Corona hinzu: Wir müssen eineinhalb Meter Abstand halten, Besuche in Altersheimen und Versammlungen sind eingeschränkt, wir sollen von zu Hause aus arbeiten.
In gut einem Drittel der Schweizer Haushalte lebt nur eine Person. Für viele brechen durch die Pandemie jetzt auch noch die sozialen Kontakte weg – das Coronavirus wird zur Epidemie der Einsamkeit.
«Vermisst mich überhaupt jemand?»
Darunter leiden auch Jugendliche. Pro Juventute hat von März bis Ende September fast eineinhalb Mal mehr Beratungen zum Thema Einsamkeit durchgeführt im Vergleich zum Vorjahr. Die Organisation betreibt die Nummer 147, zudem bietet sie Gespräche an via Chat, E-Mail und SMS.
«Für Junge hat Einsamkeit oft mit fehlender Bestätigung zu tun. Normalerweise gehen sie in die Stadt oder in den Club und andere reagieren auf sie», erklärt Thomas Brunner, der Leiter Beratung von Pro Juventute. «Zu Hause fehlt diese Bühne. Und auf Social Media können sie auch nichts posten, wenn das gemeinsame Erlebnis wegfällt.» Die Jugendlichen stellten sich dann Fragen wie: Vermisst mich überhaupt jemand? Wieso schreibt mir niemand?
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Spannend findet Thomas Brunner, dass Jugendliche zwar als digitale Generation gelten, doch es habe sich klar gezeigt: Das Smartphone ersetzt für sie physische Treffen nicht. «Der Kontaktverlust fühlt sich für Jugendliche unglaublich bedrohlich an», sagt Brunner.
Fühlst du dich einsam?
Gäbe es wieder einen Lockdown, befürchten sowohl Pro Juventute als auch die Telefonseelsorge 143, dass sich noch mehr Menschen einsam fühlen werden.
Einsamkeit ist weit verbreitet, aber kaum sichtbar. Man muss nicht alleine sein, um sich einsam zu fühlen. Vielleicht hat man niemanden zum Reden, fühlt sich nirgends geborgen. Einsame Menschen schämen sich. Wir möchten dieses Tabu brechen. Fühlst du dich oft alleine? Wir würden uns freuen, wenn du uns davon erzählst. Schreib uns im Formular unten, wieso du einsam bist und wie du dich damit fühlst.