Blick-Leser spenden nicht
«Wieso sollte ich spenden? Wer gibt dann mir etwas?»

Die Schweizer Bevölkerung hat im internationalen Vergleich eine grosse Spendenbereitschaft. Bei den Blick-Leserinnen und Lesern sieht das anders aus. Warum sie ihr Geld lieber in sich selbst als in Menschen in Not investieren, erklären sie hier.
Publiziert: 30.08.2021 um 15:00 Uhr
|
Aktualisiert: 30.08.2021 um 15:44 Uhr
1/5
Wie selbstlos ist die Blick-Community, wenn es um die Not anderer geht?
Foto: Shutterstock
Lea Blum

Die Schweizerinnen und Schweizer spenden grosszügig. Gemäss der britischen Wohltätigkeitsorganisation «Charity Aid Foundation» liegt die Schweiz auf Platz 13 der 130 wohltätigsten Länder. Auch die Spendenprognose für das Jahr 2020, welche die Universität Freiburg im Auftrag der Stiftung Zewo erstellt hat, dürfte erstmals die Schwelle von 2 Milliarden Schweizer Franken überschreiten – trotz, oder gerade wegen Corona. Die Spendenbereitschaft wächst.

Allerdings sieht das bei den Blick-Leserinnen und -Lesern deutlich anders aus. Gemäss unserer Umfrage (Stand Mittwoch, 25. August 2021) ist keine grosse Spendenbereitschaft erkennbar: 70 Prozent der Community gibt an, ihr Geld lieber für sich selbst zu behalten, statt es Menschen in Not, dem Tier- oder Umweltschutz zu spenden.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die Begründungen in den Kommentaren zeigen: Oftmals fehlt das Vertrauen. Viele potenzielle Spenderinnen und Spender hemmt die Angst, dass ihre Spende nicht effizient genutzt wird oder sie nicht ihrem eigentlichen Zweck zugutekommt. So argumentiert auch Blick-Leser Dominic Ehrlich: «Ich spende nicht ins Ausland aus einem einfachen Grund: Man weiss nicht, wohin die Spende geht. Die Korruption ist in der Welt sehr gross und das Geld versandet irgendwo.»

Auch Leserin Anna Schäfer hält das Misstrauen vom Spenden ab: «Ich spende nie, denn das Geld kommt eh nicht dorthin, wo ich gespendet habe.» Leser Fabian Martin würde spenden, «wenn es denn 1:1 ankommen würde», wie er schreibt. «Aber das tut es nicht. Da sahnen sehr viele vorher was ab.»

Vertrauenswürdigkeit durch Gütesiegel

Martina Ziegerer ist Geschäftsführerin der Zertifizierungsstelle Zewo, die gemeinnützige Non-Profit-Organisationen zertifiziert und damit für mehr Vertrauen und Klarheit gegenüber Hilfsorganisationen sorgt. Woher weiss man, ob die Spenden einer Hilfsorganisation tatsächlich am richtigen Ort ankommen? «Als Spenderin oder Spender kann man das selber nicht beurteilen. Man kann aber darauf achten, seine Spende einem vertrauenswürdigen Hilfswerk anzuvertrauen, das sich regelmässig kontrollieren lässt und transparent informiert, wie es die Mittel einsetzt. Bei den von uns zertifizierten Hilfswerken erkennt man dies am Zewo-Gütesiegel», so Ziegerer.

Dass 70 Prozent der Blick-Leserinnen und Leser keine Spendenbereitschaft zeigen, ist für Ziegerer in der Tat erstaunlich, wie sie auf Anfrage schreibt. «Bei humanitären Krisen und medialer Aufmerksamkeit ist die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung jeweils besonders gross. Repräsentative Umfragen, die die gesamte Bevölkerung abdecken, zeigen ein ganz anderes Bild: Mehr als 70 Prozent spenden regelmässig. Ein Grund könnte sein, dass die Umfrage in Zusammenhang mit der unsicheren Lage in Afghanistan gestellt wurde und die Spender zurückhaltender sind als sonst», erklärt die Expertin.

«Die meisten arbeiten rein ehrenamtlich»

In den Kommentaren der Leserschaft werden zudem die Saläre von Geschäftsführern der Hilfsorganisationen bemängelt. Walter Schmid schreibt: «Ich habe früher mehr gespendet als heute. Eingestellt habe ich meine Spenden, als ich vor drei bis vier Jahren gelesen habe, was die Chefs gewisser Institutionen für Saläre verdienen. Keines liegt unter 200'000 Franken pro Jahr.» Renato Wyss hat ebenfalls seine Zweifel: «Bei vielen Hilfswerken versiegt das Geld in der Infrastruktur oder bei den übertriebenen Löhnen, die sie sich nehmen.»

Ziegerer widerspricht: «Das stimmt nicht. Hilfswerke haben keine Verwaltungsräte wie Unternehmen. Sie sind in aller Regel als Verein oder Stiftung organisiert. Die meisten Vorstände und Stiftungsräte arbeiten rein ehrenamtlich. Wenn etwas bezahlt wird, so sind es moderate Beträge, etwa für Spesen oder für einen besonderen zeitlichen Aufwand. Bei den von uns zertifizierten Hilfswerken erhalten zwei von drei Präsidentinnen oder Präsidenten gar keine Vergütung. Bei jenen, die etwas erhalten, sind es durchschnittlich rund 3000 Franken im Jahr.

«Ein gesundes Zuhause für meine Katzen»

Wir kontrollieren auch die Saläre der Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleiter von zertifizierten Hilfswerken. Sie müssen der Aufgabe, der Verantwortung und dem Arbeitsmarkt angemessen sein, aber auch dem gemeinnützigen Charakter der Organisation entsprechen. Sie liegen deutlich unter den Löhnen von Chefs von Unternehmen.»

Es gibt aber doch auch Menschen in der Blick-Community, die gerne spenden – allerdings nicht ins Ausland. Leserin Esther Wirz spendet indes nur in der Schweiz: «Es gibt genügend arme Menschen hier», schreibt sie in ihrem Kommentar. Auch Marianne Schwander unterstützt lieber Menschen, die sie kennt. «Es gibt viele Mamis, die arbeiten, und trotzdem reicht es nicht für alles.» Das sieht Leser Harry von Siebental gleich: «Ich spende nur für Eidgenossen in der Not. Das ist mein Recht.» Hans Bloch stimmt zu und ergänzt: «Ich spende dafür an Tier- oder Kinderheime.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung mit Spenden ist, dass die Leserinnen und Leser ihrer Meinung nach schon genug Hilfe leisten. So argumentiert Leser Peter Strebel: «Ich denke, dass ich mit Steuern und Abgaben genug für die Allgemeinheit tue. Ich spare mein Geld lieber, damit ich nicht eines Tages dem Staat und dem Volk auf der Tasche liege. Und wenn ich doch spende, dann meinen Kindern, und sorge für ein schönes und gesundes Zuhause für meine beiden Katzen.»

Leser Roman Boss geht sogar so weit, dass er Menschen davon abrät, zu spenden: «Man sollte die Menschen vor Ort dazu bringen, sich helfen zu lassen. Ich würde vor Ort helfen, Brunnen auszuheben, Kanalisationen zu reparieren oder den Menschen zu zeigen, wie mit der Grundversorgung umzugehen ist. Grundlegende Elemente lernen und umsetzen, anstatt nichts tun. Das bedeutet es meiner Ansicht nach zu spenden.»

Wann sind Spenden sind sinnvoll?

Ist es denn wirklich sinnvoller, vor Ort zu helfen statt Geld zu spenden? Bei akuten Krisen und humanitären Katastrophen wie jetzt in Afghanistan wird diese Frage häufig gestellt. Gemäss Ziegerer ist dabei tatsächlich etwas Vorsicht geboten: «Bei humanitären Krisen ist es grundsätzlich dann sinnvoll zu spenden, wenn das betroffene Land um Hilfe bittet und Hilfskräfte, die über die nötige Erfahrung, das erforderliche Fachwissen und ein verlässliches Netzwerk vor Ort verfügen, die nötige Hilfe auch leisten können», schreibt Ziegerer.

«In Afghanistan ist die Lage zurzeit unübersichtlich. Hilfswerke müssen deshalb zuerst klären, wie sie sicherstellen, dass ihre Hilfe am richtigen Ort ankommt, bevor sie zum Spenden aufrufen. Erst wenige, die Erfahrung in der Not- und Katastrophenhilfe haben, sammeln jetzt aktiv Spenden.»

«Einfach mal auf etwas verzichten»

Blick-Leser Toni Schwitter hat mit Spenden offenbar gar nichts am Hut. Er fragt: «Wieso sollte ich spenden? Wer gibt dann mir etwas?» Über diese nicht vorhandene Spendenbereitschaft der Community zeigt sich Leser André Cardinaux schockiert: «Wenn ich die Kommentare hier lese, wird mir übel. Die Schweiz – eines der reichsten Länder der Welt – ist ein Volk von Geiz-ist-geil-Egoisten? Oder ist es nur die wohlbekannte Gruppe von Kommentarschreibern, die sich hier derart äussert? Ich kann es nur hoffen.»

Wir möchten an dieser Stelle beruhigen: Es gibt in unserer Community doch auch Menschen, die gerne spenden. Brigitte Muster spendet ein Prozent ihres Einkommens. «Und das, seit ich mein eigenes Geld verdiene. Etwa 50:50 für Mensch und Tier. Einfach mal auf etwas verzichten. Das tut nicht weh, das könnte jeder tun.»

Menschen auf der ganzen Welt helfen

Auch Manuela Schneeberger hat nach eigenen Angaben viel für andere getan. Sie hat 12 Jahre Freiwilligenarbeit in einem interreligiösen Pilotprojekt geleistet. «Spenden ins Ausland leiste ich eigentlich nicht. Früher reiste ich in verschiedenste Länder und half direkt. Wenn ich im Ausland oder auch hier Menschen sehe, die kein Essen haben oder sehr arm sind, spende ich eine Tasche voll mit Essen. Alkohol oder Geld spende ich eher weniger. Während der Pandemie habe ich zudem Masken gekauft für jene, die sich das nicht leisten konnten.»

Es gibt unterschiedliche emotionale und rationale Beweggründe und Motivationen, die Menschen dazu veranlasst zu spenden. Einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Spendenmotivation ist Paul Slovic, Psychologieprofessor an der University of Oregon in den USA. «Wir helfen anderen, weil es uns ein gutes Gefühl gibt – nicht unbedingt, weil sie Hilfe brauchen», sagt Slovic.

Doch egal aus welchen Gründen Spenden getätigt werden: Sie sind wichtig und tragen dazu bei, Menschen auf der ganzen Welt zu helfen. Zu den zertifizierten Schweizer Hilfsorganisationen, die sich direkt vor Ort einsetzen, gehören unter anderen Terre des Hommes, das Schweizerische Rote Kreuz, Cartitas oder Ärzte ohne Grenzen.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?