Vielen Blick-Leserinnen und -Lesern ist es schon so ergangen wie Autoredaktor Andreas Engel: Er hatte in Zürich eine Ordnungsbusse in Höhe von 60 Franken kassiert, weil er laut zwei Polizisten unangeschnallt Auto gefahren sei – was laut Engel schlicht nicht stimmt. Das Echo der Blick-Leserschaft war riesig!
Hunderte Kommentare gingen ein, etliche Leserinnen und Leser berichten von ähnlichen Vorfällen, in denen sie ungerechtfertigterweise gebüsst worden seien. Die Chancen, sich erfolgreich zu wehren? Die sind verschwindend gering (Lesen Sie hier: «Lohnt es sich für Autofahrer, gegen Bussen vorzugehen?»).
Lieber mehr als weniger Bussen
Unter den Zuschriften stossen wir auf die Nachricht von G.*, der anonym bleiben will. G. ist nach eigener Aussage selbst Polizist und liefert einen Erklärungsansatz, warum es zu zweifelhaften Bussen kommt. «Uns Korpsangehörigen werden wie in der Privatwirtschaft messbare Ziele gesetzt. Bei uns sind es 20 Ordnungsbussen pro Monat und eine Verzeigung wegen Widerhandlung im Strassenverkehr pro Woche», schildert G. Als Nebeneffekt werde, so G., im Zweifelsfall lieber eine Busse mehr als weniger ausgestellt.
«Jede einigermassen ehrgeizige Person im Arbeitsleben will ihre Ziele erreichen, zumal die Erfüllung für den weiteren Verlauf der Karriere relevant sein kann. Meiner Meinung nach lässt sich die Sicherheit im Strassenverkehr so aber weder messen noch erhöhen, sondern es werden genau solche unfairen Vorgänge zulasten von anständigen Bürgerinnen und Bürgern generiert.»
Kein offizielles Dementi
G. rät uns, den Polizeibeamtenverband zu dieser «Strichli»-Problematik zu befragen. Dort schreibt man uns nach interner Abklärung: «Am besten wenden Sie sich mit Ihrer Anfrage an die Korps direkt oder an die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS)». Wir leiten unsere Anfrage an die Stadt- und Kantonspolizei Zürich sowie die KKPKS und ans Bundesamt für Polizei (Fedpol) weiter. Beim Fedpol könne man uns nicht weiterhelfen, beim KKPKS steht die Antwort nach wie vor aus. Von Stadt- wie Kantonspolizei heisst es unisono: «Bei uns existieren solche Vorgaben nicht.»
Was freilich nicht heissen muss, dass solche Vorgaben nirgends existieren. Und auch dass weder der Polizeibeamtenverband noch das Fedpol fixe Mitarbeiterziele ausdrücklich dementieren, legt nahe, dass solche Zielvereinbarungen – wie von Polizist G. beschrieben – eben durchaus existieren könnte. Wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand.
Zürich ist Bussen-Hochburg
Ein Indiz sind die jedes Jahr von Kantonen und Städten publizierten Bussen-Budgets. Eine Stadt, die heraussticht, ist Zürich, wie Blick schon 2005 berichtete (siehe auch Bildergalerie): «Besonders gierig sind die Zürcher, die für 2005 genau 79,5 Millionen Franken durch Busseneinnahmen budgetiert haben.» Und auch 2021 ist Zürich absoluter Spitzenreiter, wenn auch mit «nur noch» 62,1 Millionen – was 143 Franken pro Einwohner entspricht. Zum Vergleich: Das Bussenbudget des Kantons Bern (Platz zwei im Ranking) beträgt 35,1 Millionen Franken – also «nur» knapp 34 Franken pro Person. Für die Deutschschweiz rechnen die Polizeien mit Bussen in Höhe von rund 280 Millionen Franken.
Offiziell wird zwar immer wieder dementiert, dass so veranschlagte Budgets Auswirkungen auf das Handeln einzelner Polizistinnen und Polizisten hätten. Im Fokus stehe die Verkehrssicherheit. Ob dem tatsächlich so ist, muss zumindest hinterfragt werden, wenn man Aussagen wie jener von G. Glauben schenkt.
*Name der Redaktion bekannt