Vier Jahrzehnte Renault Espace
Der Familienpionier aus Plastik

Mit dem SUV- und E-Auto-Boom haben wir verdrängt, dass es auch mal einen Van-Trend gab. Dieser läutete in Europa der Renault Espace Mitte der 80er ein. Blicken wir vor dem Start der sechsten Espace-Generation nochmals vier Jahrzehnte zurück.
Publiziert: 02.04.2023 um 05:15 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2023 um 11:50 Uhr
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Die ersten Testfahrten mit dem neuen Modell Renault Espace fanden im März 1983 statt. Lanciert wurde er ein Jahr später im März 1984.
Foto: Zvg
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Raoul SchwinnenRedaktor Auto & Mobilität

In der Vergangenheit standen französische Marken wie Citroën oder Renault oft für besonders innovative Fahrzeuge. So motorisierte Renault mit seinen praktischen Kleinwagen R4 und R5 und später dem Twingo Massen. Ebenfalls zur fahrenden Legende schaffte es in den letzten vier Jahrzehnten der Renault Espace. Er transportierte die amerikanische Van-Idee des Chrysler Voyager nach Europa und gründete auf unserem Kontinent das neue Segment der Grossraumlimousinen.

Philippe Guédon, technischer Leiter des Techkonzerns Matra, fällt in den späten 70er-Jahren auf seinen US-Reisen auf, dass neben grossen Limousinen und Geländewagen auch Familienvans das Strassenbild in Amerika beherrschten. Und so macht er sich an die Entwicklung eines für Europa zugeschnittenen Vans. Seine ersten Entwürfe P16 und P17 befriedigen ihn noch nicht, doch mit P18 wird Guédon beim damaligen Renault-Chef Bernard Hanon vorstellig. Und im Gegensatz zu Peugeot, wo Guédon seine Idee ebenfalls präsentierte, sieht der Renault-Chef Potenzial. «Zu diesem Auto kommt man von selbst, wenn man alle automobilen Eitelkeiten beiseitelässt», sagt Hanon und gibt grünes Licht für eine Serienfertigung.

Pfiffig: Herausnehmbare Sitze

Damit die Kunden beim Anblick des rollenden Schuhkartons nicht gleich die Nase rümpfen, feilen die Designer Jacques Nocher und Gérard Ascensio noch heftig an der Optik des kommenden Familientransporters. Erste Testfahrten finden im März 1983 statt. Die pfiffige Idee im Interieur des 4,25 Meter langen und 1,78 Meter breiten Fahrzeugs sind die von Produktchef Jacques Cheinisse entworfenen herausnehmbaren Sitze.

Stolz und mit grosser Erwartung feiert Renault im März 1984 die Markteinführung des Espace. Sein Werbeslogan «Renault Espace, la route de l’innovation» bezieht sich aufs einzigartige One-Box-Design des Modells (statt wie bisher drei für Motor, Passagiere und Gepäck). Ähnlich übrigens jenem des ersten französischen Hochgeschwindigkeitszuges TGV, der einige Jahre zuvor startete. Innovativ beim ersten Espace ist aber nicht nur sein variabler Innenraum, sondern auch die technische Konstruktion. Die stählerne Karosseriestruktur wird verzinkt und mit Kunststoffteilen verkleidet. Das hält das Gewicht des Fronttrieblers unter 1,3 Tonnen und ist wenig rostanfällig.

Ernüchternd: der Verkaufsstart

Die ersten neun Bestellungen gehen ein – doch dabei bleibts bis zum Ende des ersten Verkaufsmonats. Gross die Ernüchterung bei Renault. Im ersten Produktionsjahr rollen nur 5923 Exemplare vom Band. Der flache Boden, die fünf bis sieben getrennt montierbaren Sitze, die in Richtung Fahrgastraum drehbaren Vordersitze und die nach Flugzeugart in die Rückenlehne integrierten Klapptische überzeugen das skeptische Publikum erst nach und nach.

Die erste Modellüberarbeitung folgt 1988. Das kantige Design wird abgerundet und moderner, das Fahrzeug knapp zehn Zentimeter länger. Zudem steht der Espace ab sofort auch als 4x4 Quadra zur Wahl. Gegen Parkrempler-Schäden beugt Renault mit dem Anbau von Kunststoffpaneelen vor. Drei Jahre und 191’647 produzierte Einheiten später startet 1991 die zweite Espace-Generation. Die Fensterflächen sind grösser, die Vordersitze jetzt ebenfalls umklappbar (so lässt sich im Espace notfalls auch schlafen). Die Sicht nach vorn wird dank 40 Prozent schmalerer A-Säule verbessert.

Skurril: Espace mit F1-Motor

Abseits der Serienproduktion macht ein Espace-Unikat auf sich aufmerksam: der Espace F1. Die schnellste Grossraumlimousine der Welt wird von einem 810 PS starken F1-Triebwerk angetrieben. Auf Tempo 200 schiesst der Transporter unter ohrenbetäubendem Lärm (160 Dezibel!) in atemberaubenden 6,3 Sekunden. Allerdings: Der F1-Espace kann nur zwei Runden am Stück auf der Rennstrecke fahren, danach muss er zum Abkühlen wieder an die Boxen.

Im Juli 1996 verlässt der 500’000ste gebaute Espace die Produktion. Von der zweiten Generation, die bis Anfang 1997 produziert wird, entstehen 317’225 Einheiten. Die darauf folgende dritte Generation wird ein grosser Wurf. Es gibt nicht nur ein völlig neues Komfortniveau, sondern erstmals auch zwei Karosserievarianten, den Espace und den um 27 Zentimeter längeren Grand Espace. Letzterer wartet mit einem Ladevolumen von bis zu 3050 Litern auf. Besonders gross ist der Unterschied beider Varianten bei der Fünf-Sitz-Konfiguration. Bleiben beim Basismodell noch 165 Liter Kofferraum, sind es beim Grand Espace 456 Liter.

Die vierte Generation startet im Herbst 2002. Ihr besonderes Merkmal liegt bei der Motorenpalette. Erstmals stehen für einen Van zwei V6-Motoren zur Wahl; ein 177 PS starker 3,0-l-Turbodiesel und ein 241 PS starker 3,5-l-Benziner. Letzterer kommt vom neuen Allianz-Partner Nissan, der damit seinen Sportwagen 350 Z befeuert. Zudem wird die vierte Generation nicht mehr bei Partner Matra gebaut, sondern im Renault-Werk Sandouville. Damit die Matra-Fertigungshallen nicht leer stehen, wird dort ab sofort der Renault Avantime gebaut – ein Verkaufsflop allerdings, der im Frühjahr 2003 gestoppt wird.

Wandlung: Vom Van zum Crossover

2006, 2010 und 2012 gibts Facelifts für die vierte Generation, die darüber hinwegtäuschen sollen, dass ein Generationswechsel schon längst fällig gewesen wäre. Dies passiert 2015. Bei der Präsentation sagt Renault-Designchef Laurens van den Acker: «Der Espace hatte als klassische Grossraumlimousine keine Zukunft mehr. Deshalb haben wir uns aus der Welt der Geländewagen inspirieren lassen und aus dem Espace ein Crossover gemacht.» Die fünfte Espace-Generation wird nochmals edler; verliert aber ihren einzigartigen Charakter. Espace-Vater Philippe Guedon: «Die Leute liebten den Espace nicht, weil er schön war. Sondern simpel und einzigartig!»

Jetzt warten wir gespannt auf die neue, diese Woche in Paris enthüllte sechste Espace-Generation, welche diesen Sommer auf den Markt kommt. Aus dem innovativen Van von einst wird ein ganz normaler SUV à la Renault Austral – etwas grösser als dieser, aber deutlich kleiner und leichter als der aktuelle Espace.

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