Ian Cartabiano legt sich voll ins Zeug. Der Lexus-Designer tänzelt um das blassblaue Elektro-Conceptcar herum, zeigt hier, deutet da. Aber statt des sonst oft gehörten Geschwurbels von Linien, Flächen und Wölbungen erklärt er schlicht das Warum. Flügeltüren? Damit man besser ins innovative Interieur reinschauen kann. Die riesigen Schlünde neben den messerscharfen Tagfahrlichtern vorn? Aerodynamik, wie auch die nur von oben erkennbare Tropfenform der Karosserie. «Aber der LF30 ist nicht nur für die Show gebaut», sagt Cartabiano. Mit den Radnabenmotoren der Studie teste man zum Beispiel die Antriebssteuerung für den kommenden Batteriestromer Lexus UX 300e. Und auch über die dreidimensional projizierten Instrumente denke man verstärkt nach.
Das sind ganz neue Töne bei Toyota und der Nobeltochter Lexus. Denn bisher machte der Konzern immer ein grosses Geheimnis um Strategie, Technologie und neue Modelle. Die japanische Kultur des höflichen Nickens, auch wenn die Antwort eigentlich ein klares Nein wäre, trug das Ihre zur Verwirrung bei. Deshalb treibt Toyota-Europachef Johan van Zyl (63) bei der Eröffnung des Toyota Kinishi-Forums in Amsterdam (NL) erst einmal Sprachkunde. Kinishi, das bedeute im Japanischen die Erlangung des wechselseitigen Verständnisses: «Wir sagen, was wir tun. Und wollen euer Feedback hören.»
Toyota Europa auf Erfolgskurs
Guter Ansatz, zumal man von aussen zuletzt den Eindruck vermittelt bekam, Toyota behandle Europa stiefmütterlich. Doch van Zyls Zahlen sagen das Gegenteil: Der Absatz wurde von 875'000 Einheiten im Jahr 2015 auf 1,1 Mio. im letzten Jahr gesteigert. Vor fünf Jahren verdiente Toyota 400 Mio. Euro, 2018 war es eine Milliarde. 70 Prozent der Autos für Europa werden auf dem Kontinent produziert; die Werke laufen mit über 90 Prozent Auslastung, und das Entwicklungszentrum im belgischen Brüssel kann und darf komplette Modelle eigenständig entwickeln. «Europa ist der Motor beim Wandel der Mobilität», sagt van Zyl. Und Toyota müsse dabei sein. Die Aussichten sieht van Zyl rosig: «2025 wollen wir hier 1,4 Mio. Autos verkaufen.»
Der Hybridantrieb hat sich bei Toyota und Lexus voll durchgesetzt. Beim Pionier-Modell, dem ersten Toyota Prius, lächelten die Mitbewerber im Jahr 2000 noch milde und setzten bei der CO2-Reduzierung lieber voll auf den Dieselmotor – bis dieser 2015 in Verruf geriet und schnellstens elektrifizierte Alternativen entwickelt werden mussten. Bei Toyota macht der kombinierte Antrieb aus Benziner und Elektromotor in Westeuropa inzwischen 63 Prozent der Verkäufe aus; bei Lexus sind es gar 96 Prozent. Den seit Januar gültigen europäischen CO2-Grenzwert von 95 Gramm je Kilometer schafft Toyota zwar noch nicht, kommt ihm mit 99,9 g/km aber so nahe wie keine andere Marke. «Unsere Voraussicht von vor 20 Jahren hat sich ausgezahlt», sagt van Zyl. «Auch wenn unser Handeln damals vielleicht unverständlich war.»
Erster Elektro-Lexus kommt Ende Jahr
Während die Konkurrenz also schnellstens bei der Elektrifizierung aufholen muss, kann Toyota sich jetzt voll auf die nächste Stufe konzentrieren. Und die heisst: reine Elektroautos und Plug-in-Hybride zum Laden an der Steckdose. Für die Batteriestromer arbeitet Toyota mit Mazda, Subaru und Suzuki zusammen. Bis 2025 soll jedes Jahr ein neues Modell erscheinen. Den Anfang macht Ende 2020 der Lexus UX 300e mit über 300 Kilometer Reichweite nach realitätsnahem WLTP-Zyklus. In fünf Jahren sollen die reinen Stromer mehr als zehn Prozent – weltweit eine Million – der Verkäufe ausmachen.
Zusammen mit den geplanten Hybriden und Plug-in-Hybriden wie dem im Sommer startenden 302 PS starken Topmodell des Toyota RAV4 mit 60 Kilometern elektrischer Reichweite sollen bis 2025 rund 40 Modelle mit elektrifiziertem Antrieb im Programm sein. Dazu gehört auch eine neue Generation des Wasserstoff-Modells Mirai. Sie steht künftig auf der grössten Lexus-Plattform, wird fast fünf Meter lang, bekommt Hinterradantrieb und drei Tanks für bis zu 650 Kilometer Reichweite und Nachtanken in maximal fünf Minuten. Reine Verbrenner? Nur bei Nischenmodellen wie dem Offroader Land Cruiser.
Tiefe CO2-Werte ermöglichen Sportmodelle
Der Spielraum bei den CO2-Werten ermöglicht aber auch Toyotas Rückkehr zum Sport. Mit Gazoo Racing (GR) mischt die Marke in der Rallye-WM WRC, der Langstrecken-WM WEC und bei Offroad-Rallyes wie der Dakar mit. Antreiber dabei: Toyota-CEO Akio Toyoda (63), ein passionierter Hobby-Rennfahrer, der die Entwicklung der Renner zur Chefsache machte. Das Motorsport-Engagement bringt wieder sportliche Toyotas auf die Strasse, wie den GR Supra oder ab diesem Jahr den GR Yaris, der auf dem WRC-Auto für die neue Saison basiert. Sein 1,6-Liter-Turbo ist mit 261 PS der stärkste Dreizylinder in einem Strassenauto.
Mit der sogenannten Woven City plant Toyota eine eigene Stadt als Labor für Zukunftstechnologien. Die Energieversorgung auf dem 175 Hektar grossen ehemaligen Produktionsgelände in der Nähe des Mount Fuji sollen mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen übernehmen. In einer ersten Stufe sollen rund 2000 Einwohnerinnen und Einwohner autonome Fahrzeuge, Roboter als Hilfen im Alltag und auf künstlicher Intelligenz basierende Dienstleistungen im Alltag testen. Startschuss für den Bau soll im Jahr 2021 sein.
Mit der sogenannten Woven City plant Toyota eine eigene Stadt als Labor für Zukunftstechnologien. Die Energieversorgung auf dem 175 Hektar grossen ehemaligen Produktionsgelände in der Nähe des Mount Fuji sollen mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen übernehmen. In einer ersten Stufe sollen rund 2000 Einwohnerinnen und Einwohner autonome Fahrzeuge, Roboter als Hilfen im Alltag und auf künstlicher Intelligenz basierende Dienstleistungen im Alltag testen. Startschuss für den Bau soll im Jahr 2021 sein.
Und auch bei den datenbasierten Mobilitätsservices steigt Toyota – endlich – ein. Für das neue Label Kinto – das bedeutet Wolke im Japanischen – baut Toyota eine eigene Datencloud auf und will wolkenleicht zu nutzende Services anbieten, wie Kurzzeit-Leasing, Abo statt Kauf, Carsharing, gemeinsame Autonutzung und Flottendienstleistungen. Obwohl Mitbewerber wie BMW und Mercedes damit noch keine Gewinne machen und Mazda sein Programm ganz eingestellt hat? «Wir wissen, dass wir in den Aufbaujahren zunächst mehr investieren, als wir erhalten», sagt Kinto-Chef Tom Fux. «Aber wir müssen jetzt starten, um später bereit zu sein.»
Und dann wäre da noch die Zukunftsstadt Woven City (siehe Box). Zu der darf sich allerdings nur der – abwesende – Akio Toyoda äussern. Womit auch klar wäre, dass diese vernetzte Modell-City Wirklichkeit werden wird. Denn Toyoda hat sie zur Chefsache gemacht.