Mit dem innovativen, aber wenig massentauglichen i3 setzte BMW vor knapp zehn Jahren ein erstes Elektro-Ausrufezeichen. Mit dem i4 wollen sich die Münchner nun ab 2022 an die Spitze des Segments setzen. Die elektrische Limousine ist technisch eng mit dem Verbrenner 4er Gran Coupé verwandt. Beide Modelle werden – bislang einzigartig bei BMW – auch zusammen im Münchner Stammwerk auf einer Produktionslinie gebaut.
Kopf dieses aufwendigen Projekts ist David Ferrufino. Der gebürtige Bolivianer ist Projektleiter und zusammen mit seinen Fahrwerksspezialisten an diesem düsteren Winter-Samstagmorgen auf dem Testgelände in Aschheim nahe München unterwegs. Zwei stark getarnte Prototypen sollen auf dem Hochgeschwindigkeitsoval und auf dem Handlingkurs einmal mehr genau unter die Lupe genommen werden. Zeitgleich sind andere i4-Prototypen in Amerika, Lappland und in Südfrankreich unterwegs und legen dort ebenfalls wertvolle Testkilometer zurück.
Tesla Model 3 als Massstab
Der i4 als technischer Zwilling des 4er Gran Coupé und somit auch mit dem BMW 3er verschwägert, soll das neue Kernmodell bei BMW werden und im Frühjahr 2022 auf den Markt kommen. Zunächst wird es drei Versionen – wahlweise mit Heck- und Allradantrieb – und zwei Akkupakete geben. Wird die Basisversion mit 200 kW/272 PS nur über die Hinterachse angetrieben, wird der 4x4 rund 350 kW/476 PS leisten. Das Leistungsspektrum zeigt verblüffende Ähnlichkeit zum Tesla Model 3. Ferrufino macht auch keinen Hehl daraus, dass Tesla im Fokus aller Entwicklungen stand. So sind selbst die Abmessungen der beiden Mittelklassefahrzeuge nahezu identisch und die Proportionen zumindest ähnlich.
Atemberaubendes Handling
Wo BMW dem Tesla vor allem die Rücklichter zeigen will, ist bei der Fahrdynamik. Das Entwicklungsteam unter David Ferrufino ist stolz darauf, dass der i4 «nicht nur schnell geradeaus kann», sondern ein Handling bietet, das schlicht atemberaubend sei. Als Beifahrer im Basismodell mit Hinterradantrieb und Luftfederung an der Hinterachse können wir das nur bestätigen. Der Schub aus dem Stand ist gewaltig, doch erst im Grenzbereich zeigt der gut zwei Tonnen schwere BMW, was er kann. Die Testpiloten fackeln nicht lange, geben Vollgas, bremsen den i4 vor der nächsten Kurve brutal zusammen, um in Sekundenbruchteilen wieder voll zu beschleunigen – immer und immer wieder.
Nach der Handlingorgie gehts zur kurzen Besprechung zu einer wenig einladenden Wellblechbaracke auf dem Testgelände. Wegen Corona findet der Infoaustausch aber draussen statt – trotz kühler Temperaturen. Der Mundschutz verschluckt im Open-Air-Plenum manche Worte – so muss öfter nachgefragt werden als gewohnt. Nachdem einige kritische Punkte besprochen wurden und sich die Reifen abgekühlt haben, gehts wieder mit Elan auf die Strecke.
Diesmal Vollgas – abbremsen und wieder Vollgas – die beiden Prototypen tun einem fast leid. Dann gehts erneut auf den kurvenreichen Handlingkurs, wo David Ferrufino wieder selbst ins Steuer greift. «Meine Fahrwerksentwickler können das zwar noch etwas besser und schneller als ich», lächelt er verschmitzt hinter seiner Maske. Kaum zu glauben, denn in der schnellen Kurvenkombination haben wir vor dem Anbremsen bereits über 170 km/h drauf. Die Karosserie wankt schon aufgrund des niedrigen Schwerpunkts nicht, und der E-Motor zeigt bei den zahlreichen Wiederholungen ebenso keine Schwäche wie die Bremsanlage. Ferrufino ist sichtlich zufrieden.
Cockpit mit neuem Bedienkonzept
Nicht zuletzt dieses Marterprogramm soll – gepaart mit der bayrischen Fertigungsfähigkeit – letztlich den Unterschied zur Konkurrenz ausmachen. Das könnte zudem auch mit dem innovativen Innenraum gelingen. Obwohl der i4 eher Vier- als Fünfsitzer ist, gibts bekannte BMW-Bedienmodule, bequeme Sitze und das letzte Woche an der Consumer Electronic Show CES in Las Vegas (USA) erstmals vorgestellte Curved Display, das sich bis weit in die Mitte des Armaturenbretts zieht und neben dem Antrieb ein weiterer, nennenswerter Unterschied zum Plattformbruder 4er Gran Coupé ist.
Wenn der BMW i4 im Frühjahr 2022 auf den Markt kommt, wird er mehr als bereit sein, um dem Tesla Model 3 oder anderen Rivalen wie dem Polestar 2 oder den VW IDs erfolgreich die Stirn zu bieten.