Pekka Kaartinen runzelt die Stirn. Immer wieder blickt er zum Himmel, aus dem dicke Schneeflocken fallen und von einem starken Wind durcheinandergewirbelt werden. «Es ist viel zu warm. Fast wie im Frühling», brummelt der Einheimische mit den hellblauen Augen und schüttelt den Kopf. Tatsächlich bewegen sich die Temperaturen um den Gefrierpunkt, fühlen sich aber aufgrund des starken Windes deutlich niedriger an. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als Windchill-Effekt. Wir hadern ein wenig mit unserem Schicksal – schliesslich befinden wir uns rund 250 Kilometer nördlich des Polarkreises und wollen den Lotus Eletre S einem Kältetest unterziehen. Da wären uns deutlich tiefere Minusgrade lieber gewesen.
Nun: Es ist, wie es ist. Wir wuchten unser Gepäck über die hohe Ladekante in den hinteren Kofferraum – unter der Fronthaube finden wir ein weiteres kleines Staufach, zum Beispiel fürs Ladekabel. Danach nehmen wir hinter dem Steuer des Elektro-Hyper-SUVs Platz und machen es uns gemütlich. Dass die Fahrzeuge der einst urbritischen Marke inzwischen aus China kommen und bei Geely gebaut werden, merken wir nicht zuletzt am riesigen 15,1-Zoll-Touchscreen und der Tatsache, dass die elektrischen Helferlein im Auto jeweils sehr voreilig und hektisch Alarm schlagen. Wir stellen zudem fest, dass die Sitzposition sehr hoch ist, und vermissen den vertrauenerweckenden Seitenhalt der Sitzwangen, die einen in Kurven stabilisieren.
187 Kilometer auf Schnee und Eis
Unsere Testfahrt führt uns vom finnischen Saariselkä ins norwegische Karasjok. Das sind 187 Kilometer. Klingt nach einem Klacks für einen Stromer mit 612 PS (450 kW) und einer Akkukapazität von brutto 112 Kilowattstunden (kWh). Doch wenn es durch tief verschneites Gebiet geht, hilft Kraft wenig. Da sind andere Talente wie Traktion und Leistungsfähigkeit in kalter Umgebung gefragt.
Zu Beginn der Testfahrt zeigt das Display einen Ladestand von 98 Prozent und eine Reichweite von 493 Kilometern an. Wir haben Winterreifen aufgezogen, wie sie auch in der Schweiz gebräuchlich sind. Der erfahrene Einheimische greift dagegen zu weicheren, grobstolligeren Pneus, die sich besser in den Schnee krallen. Viele haben sogar Spikes im Profil, wie sie bei uns nur vom 1. November bis zum 30. April erlaubt sind – und das auch nur bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h und bis auf wenige Ausnahmen nicht auf der Autobahn. Der Unterschied der verschiedenen Reifen wird uns bei unserer Winterfahrt bald deutlich.
Antrieb: Zwei E-Motoren, Leistung 612 PS (450 kW), 710 Nm, 1-Gang-Automatik, 4x4, Akku brutto 112 kWh (netto 109 kWh)
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 4,5 s, Spitze 250 km/h
Masse: L/B/H = 5,10/2,01/1,63 m, Leergewicht 2565 kg, Kofferraum 611–1532 l + 46 l Frunk
Verbrauch: WLTP 22,0 kWh/100 km = 450–535 km Reichweite, CO₂-Ausstoss 0 g/km, Energie A
Preis: Lotus Eletre S, ab 120'699 Franken (Basis: Lotus Eletre, ab 96'712 Fr.)
Antrieb: Zwei E-Motoren, Leistung 612 PS (450 kW), 710 Nm, 1-Gang-Automatik, 4x4, Akku brutto 112 kWh (netto 109 kWh)
Fahrleistungen: 0–100 km/h in 4,5 s, Spitze 250 km/h
Masse: L/B/H = 5,10/2,01/1,63 m, Leergewicht 2565 kg, Kofferraum 611–1532 l + 46 l Frunk
Verbrauch: WLTP 22,0 kWh/100 km = 450–535 km Reichweite, CO₂-Ausstoss 0 g/km, Energie A
Preis: Lotus Eletre S, ab 120'699 Franken (Basis: Lotus Eletre, ab 96'712 Fr.)
Ausgezeichneter Grip
Die Bedingungen sind alles andere als einfach. Da es in den Tagen davor geregnet hat, gibts an verschiedenen Stellen dünne Eisschichten. Spiegelglatt wäre eine Übertreibung, denn die Regelsysteme des Lotus Eletre müssen nur selten eingreifen. Auch, weil wir das Lenkrad so gefühlvoll wie möglich bewegen. Der Allradantrieb des 2,5 Tonnen schweren Elektro-SUVs liefert selbst unter diesen Bedingungen stets ausgezeichneten Grip. Wenn die Stabilitätskontrolle ESP oder das ABS trotzdem mal eingreifen müssen, tun sie das unaufgeregt geschmeidig und bringen uns zu keiner Zeit ins Schwitzen.
Doch die Strecke hat es in sich. Unter anderem, weil Rentiere, Elche und Füchse hier Vorfahrt haben und die Strasse als ihr Wohnzimmer betrachten. Wir halten uns an die Geschwindigkeitsvorgaben und beobachten aufmerksam, ob nicht eines der Tiere urplötzlich aus dem Unterholz springt. Die Einheimischen nutzen ihren Heimvorteil eiskalt aus und überholen uns. Unsere Mehr-PS und moderne Technik können den Vorteil von Ortskenntnis und Spikesbereifung offenbar nicht wettmachen. Und wir fragen uns: Haben die Leute hier einen Radar für Wildtiere – oder sind sie ihnen egal?
Schneller lädt keiner
Bald erreichen wir die norwegische Grenze. Unser Lotus Eletre S schlägt sich prima. Vor allem die Stille im Innenraum gefällt uns. Eine gute Stunde später sind wir am Ziel in Karasjok angekommen. Schon von weitem leuchtet uns der rote Tesla-Schriftzug durch die skandinavische Winternacht entgegen. Auch wir müssen mit unserem britisch-chinesischen Lotus an den amerikanischen Stromtankstellen Energie zapfen. Denn der Bordcomputer offenbart uns Ladebedarf.
Nach 187 Kilometern Fahrt mit selten mehr als 100 km/h ist der Ladestand auf 48 Prozent gefallen und die vom System automatisch errechnete Restreichweite auf 241 Kilometer geschmolzen. Beim Verbrauch meldet der Bordcomputer 29,8 kWh/100 km – das sind 7,8 kWh/100 km mehr, als Lotus angibt. Unter dem Strich sind auch die Akkus des Lotus Eletre trotz ausgeklügelten Konditionierungsmechanismen vom energieraubenden Kälte-Phänomen betroffen, unter dem alle Elektrofahrzeuge leiden – wenn auch weniger als viele Modelle der Konkurrenz. Bei einem Kälte-Vergleichstest des norwegischen Autofahrerverbands NAF schnitt der Eletre mit einem Reichweitenverlust von 12,3 Prozent gut ab und kam auf Rang 3 von 17 getesteten, bei uns käuflichen Elektroautos. Bestnoten verdient der ab gut 96'000 Franken erhältliche Eletre – unser besser ausgestattete Eletre S kostet ab 120'699 Fr. – auch beim Laden. Das erledigt der Elektro-SUV am Schnelllader mit theoretisch bis zu 350 Kilowatt rekordverdächtig schnell und lässt so selbst den neuen Porsche Taycan hinter sich.