Die Absage des Genfer Autosalons 2023 kam Ende letzter Woche für Insider nicht besonders überraschend. Dennoch war sie auf dem einen oder anderen Markenstand an der Monterey Car Week im kalifornischen Pebble Beach (USA) ein Thema. Doch allzu grosses Bedauern über die inzwischen vierte Absage in Folge der Genfer Organisatoren ist unter den internationalen Herstellern kaum auszumachen. Kein Wunder, die Autobranche hat längst Alternativen und neue Wege gefunden, hauseigene Botschaften oder neue Modelle in die automobile Welt hinauszutragen – sei es virtuell, real, mit eigenen Formaten oder als Trittbrett-Partner populärer Publikums-Grossveranstaltungen.
Wer in der Autobranche als Hersteller etwas auf sich hält, ist deshalb nicht nur bei der Monterey Car Week präsent, sondern baut seine Zelte auch bei deren Rahmenveranstaltung «The Quail – a Motorsports Gathering» auf. In entspanntester Atmosphäre treffen sich auf umfunktionierten Fairways des Quail Golfclubs jene Automarken, die es sich leisten können, der Monterey Car Week die Krone aufzusetzen. Der Eintritt für Gäste kostet umgerechnet rund 1500 Franken, die Warteliste ist lang und der Zugang streng limitiert. Angeblich dürfen lediglich 3500 Besucher zur noblen Veranstaltung auf die exklusiven Greens in einer der wohlhabendsten Regionen der USA.
Alles mit Rang und Namen ist vertreten
Als Hersteller mit Renommee musst du hier vertreten sein, lautet der Tenor unter den Ausstellern. Dementsprechend klotzig fahren die Autobauer auf und geizen nicht mit attraktiven Neuheiten. So enthüllt Porsche als König der 911er seinen neuen GT3 RS – ein wahres Flügelmonster mit 520 PS und über 310 km/h schnell. Audi gewährt mit seinen drei erstmals gemeinsam zu sehenden Sphere-Studien einen Ausblick auf die eigene elektrische Zukunft. Nächstes Jahr wird noch eine weitere Studie dazukommen – und drei dieser vier Audi-Visionen sollen es dann eines Tages auch tatsächlich auf die Strasse schaffen. McLaren enthüllt den Solus GT. Speziell dabei: Das Fahrzeug feierte erst seine Premiere als Vision Gran Turismo im gleichnamigen Videospiel – und schafft jetzt den Sprung von der virtuellen in die reale Welt. Ein Entwicklungsweg, der künftig Schule machen könnte.
US-Elektroautospezialist und Tesla-Konkurrent Lucid lässt seine Fans vom Sapphire und dessen spektakulären 1111 PS (777 kW) träumen, während Lamborghini-CEO Stephan Winkelmann den neuen Urus Performante der Öffentlichkeit vorstellt. Der italienische Power-SUV kommt mit der Empfehlung eines Pikes-Peak-Rekords nach Kalifornien. Der 666 PS starke Crossover durcheilte die 156 Kurven in 10:32,064 Minuten und entriss so dem Bentley Bentayga die Krone. Noch schneller würde dies wohl der ebenfalls frisch enthüllte Aston Martin V12 Vantage Roadster schaffen – immerhin ist er 700 PS stark und maximal 322 km/h schnell. Und ebenfalls einen offenen Ausblick gewährt Polestar mit der Ansage, dass die im Frühling gezeigte, rein elektrische Cabrio-Studie O2 Concept mit knapp 900 PS aufgrund der positiven Reaktionen als Polestar 6 in Serie gehen wird – allerdings erst 2026.
Auch Exoten kriegen ihre Plattform
Doch es sind nicht nur die grossen Hersteller, die sich und ihre neuesten Produkte auf der exklusiven Quail-Veranstaltung einem erlauchten Kundenkreis vorstellen. Natürlich ist das Interesse an einem Rimac Nevera, Maserati MC20 Cielo, dem Bentley Mulliner Batur oder einem Lincoln Model L100 Concept besonders gross. Doch es sind auch kleine, häufig nur Insidern bekannte Hersteller und Marken, die hier einen bemerkenswerten Auftritt haben.
So lässt Manx einen coolen Buggy 2.0 Electric auferstehen, der deutsche Sportwagenspezialist Ruf zeigt seinen offenen Bergmeister, der ehemalige südafrikanische F1-Konstrukteur Gordon Murray (76) verzückt seine Fans mit dem GMA 33 Supercar, und der in Kalifornien beheimatete Gunther Werks wandelt mit seinen 993er-Umbauten auf den Spuren des legendären Porsche-Umbauers Singer, während dieser mit einer 510 PS starken 911 Turbo Study kontert. Dazu kommen optisch abgefahrene Supersportler wie die beiden hybriden Czinger 21C V Max und Hyper GT oder die Neuauflage von Hispano Suiza – jetzt mit 1114 elektrischen PS. Solch exotische Fahrzeuge werden preislich höchstens noch von Firmen überboten, die Luxus-Yachten oder Helikopter anbieten.
In der Schweiz gibts auch Golf-Resorts
Die automobile Zukunft entscheidet sich künftig – zumindest im ertragreichen Premium- und Luxussegment – bei Events wie The Quail oder Auktionen in Pebble Beach im Rahmen der Monterey Car Week. Sie bieten deutlich mehr Reiz und Charme, an der frischen Luft mit Sonnenbrille, Hut und einem Glas Champagner in der Hand auf edlem Green an neuen Fahrzeugen vorbeizuflanieren als in grau-miefenden Industriehallen unter gleissendem Scheinwerferlicht und auf nackten Betonböden oder künstlichen Nadelfilzteppichen.
Kein Wunder also, dass Hersteller, Besucher und selbst jene Fans, die keine exklusive Eintrittskarte für The Quail erhalten haben, solche Veranstaltungen lieben. An Zufahrten und auf Parkplätzen stehen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene und fotografieren die Gäste, deren eigene Autos kaum unspektakulärer sind als die in Pebble Beach ausgestellten. Neid und Missgunst sucht man hier ebenso vergeblich wie ständige Diskussionen über Emissionen oder die heilsbringende Antriebsart. Elektro, Hybrid oder böllernde V8- und V12-Benziner – hier hat jede Technik ihre Existenzberechtigung. So etwas wie die Monterey Car Week bräuchten wir in Europa als Ersatz für den Genfer Autosalon auch – es gibt schliesslich auch bei uns nette Golf-Resorts …
