Microlino: Totgesagte leben länger
Endlich startet die Schweizer E-Knutschkugel

Am Autosalon Genf 2017 zeigte Micro-Scooter-Erfinder Wim Ouboter den Prototyp des Elektro-Zwergs Microlino. Nach heftigen Turbulenzen und dem drohenden Projektende sollen nächsten Monat doch noch die ersten Kundenfahrzeuge ausgeliefert werden.
Publiziert: 03.05.2022 um 05:43 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2022 um 09:14 Uhr
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Am Genfer Autosalon 2017 zeigte Micro-Scooter-Erfinder Wim Ouboter aus Küsnacht ZH den ersten Microlino-Prototypen.
Foto: Philippe Rossier
Raoul Schwinnen

Im Januar 2018 titelte Blick: «Im Sommer startet der Microlino». Heute, vier Jahre später, rollt noch immer kein verkauftes Exemplar des Retro-Elektro-Kleinstwagens im Stil der alten BMW Isetta über unsere Strassen. Grund: Qualitätsprobleme und ein zeitraubender Rechtsstreit brachten das ehrgeizige Projekt fast zum Scheitern.

Doch auf unser Nachfragen nach dem Microlino-Projekt zeigen sich Wim Ouboter (61) und seine involvierten Söhne Oliver (27) und Merlin (26) wieder zuversichtlich. So verspricht Merlin Ouboter: «Wir haben jetzt in Turin (I) unsere eigene Produktion aufgebaut. Momentan fabrizieren wir dort noch die letzten Vorserienfahrzeuge und planen Anfangs Juni die ersten Microlino an unsere Kunden auszuliefern.»

Doch warum dauerte es so lange und warum gab es immer wieder Verzögerungen des schon seit bald vier Jahren fertig wirkenden Elektromobils?

Erst der Ideenklau ...

Blenden wir zurück: Um das erwartete höhere Produktionsvolumen zu stemmen, verkauften die Ouboters und ihr italienischer Produktionspartner Tazzari die Produktionsrechte im Herbst 2018 an den deutschen Sportwagenhersteller Artega. Mit dem Ziel, in dessen Werk in Delbrück (D) ab Anfang 2019 jährlich bis zu 8000 Microlino zu fertigen. Artega investierte dazu umgerechnet über drei Millionen Franken in eine neue Infrastruktur.

Wer ist ElectricBrands?

Die ElectricBrands AG ist ein deutscher Hersteller von E-Fahrzeugen mit Sitz in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde das Start-up 2020 in Hessen, ehe der Unternehmenssitz vor einem Jahr an den geplanten Produktionsstandort nach Itzehoe verlegt wurde. Das erste Produkt von ElectricBrands wird der Xbus – ein Elektro-Leichtfahrzeug, das bereits seit 2018 entwickelt wird und dessen erster Prototyp im Juli 2021 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Kürzlich konnte Blick ein Vorserienfahrzeug des Xbus fahren.

Der deutsche Hersteller ElectricBrands AG zeigte kürzlich erste Vorserienmodelle des kompakten Elektro-Modells Xbus.

Die ElectricBrands AG ist ein deutscher Hersteller von E-Fahrzeugen mit Sitz in Schleswig-Holstein. Gegründet wurde das Start-up 2020 in Hessen, ehe der Unternehmenssitz vor einem Jahr an den geplanten Produktionsstandort nach Itzehoe verlegt wurde. Das erste Produkt von ElectricBrands wird der Xbus – ein Elektro-Leichtfahrzeug, das bereits seit 2018 entwickelt wird und dessen erster Prototyp im Juli 2021 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Kürzlich konnte Blick ein Vorserienfahrzeug des Xbus fahren.

Wie man heute weiss, nicht ganz ohne Hintergedanken. Kurz nach der Produktionsverlegung von Italien nach Deutschland wollte Artega parallel zum Microlino den baugleichen E-Kleinstwagen Karo in Delbrück herstellen. Ein Affront für die Ouboters, die sich hintergangen fühlten.

... dann folgt Microlino 2.0

Es folgte ein monatelanger Rechtsstreit mit aussergerichtlicher Einigung im November 2019: Artega darf seinen eigenen Elektro-Kabinenroller bauen, die Rechte für den Microlino bleiben aber bei den Ouboters in der Schweiz. Sie wollen ihren Traum vom E-Stadtmobil auch nach dieser schwierigen Phase nicht begraben, gehen über die Bücher und stellen im Frühling 2020 erste Bilder ihres Microlino 2.0 ins Netz. Auffälligste Neuerung: Der überarbeitete Microlino sieht deutlich erwachsener aus als die früheren Konzepte.

Auch unter dem Retro-Blech hat sich viel geändert. Statt des früheren Gitterrohr-Rahmens besteht das Chassis nun aus stabilerem Stahlblech und Alu. Die Karosserie ist selbsttragend und die Räder sind aufgrund der deutlich breiteren Spur hinten einzeln aufgehängt. Die Vorteile: Mehr Crash-Sicherheit, grössere Stabilität und dadurch ein besseres Fahrverhalten.

Inzwischen vertraut Microlino wieder auf italienische Partner. Man tat sich mit Cecomp aus Turin zusammen, gründete das Joint Venture Microlino Italia und baute eine neue Produktion auf.

Und so sollen jetzt nächsten Monat endlich die ersten Microlino 2.0 zum Preis ab rund 14’000 Franken (genaue Preise und technische Details werden in zwei Wochen an einer Pressekonferenz kommuniziert) an die Kunden ausgeliefert werden. Ein Happyend?

Artega wird geschluckt

Möglich. Denn Konkurrent Artega hat sich mit seinem Microlino-Derivat Karo finanziell übernommen. Die Deutschen geraten in finanzielle Schieflage und wurden vor wenigen Tagen von der ElectricBrands-Gruppe geschluckt und so von der Insolvenz gerettet.

ElectricBrands? Richtig, jener Hersteller aus Itzehoe (D), der den vor gut drei Monaten im Blick vorgestellten Elektro-Bus Xbus auf den Markt bringen will. ElectricBrands (siehe Box) hegt jetzt auch mit der Knutschkugel Karo ehrgeizige Pläne. In Göttingen (D) sollen 250 neue Arbeitsplätze und eine Produktion geschaffen werden, damit ab 2023 schon im ersten Jahr 30'000 Karo vom Band laufen können.

Dem weiterentwickelten, in Italien gebauten Schweizer Microlino 2.0 bleibt also noch ein gutes halbes Jahr Vorsprung, um sich auf dem internationalen Markt zu etablieren. Merlin Ouboter zeigt sich über die Karo-Konkurrenz gelassen: «Meiner Meinung nach hat ElectricBrands mit der Artega-Übernahme nicht viel Substanzielles erhalten. Seit unserem Rechtsstreit wurde beim Karo im Gegensatz zu unserem Microlino nicht mehr viel entwickelt.»

Auch den von ElectricBrands kommunizierten Karo-Produktionsstart ab 2023 dünkt ihn kaum realistisch. «Sie haben weder ihr anderes Produkt Xbus serienfertig, noch eine Produktion bereit, welche die beiden Fahrzeuge herstellen kann. Aber ich lass mich gerne eines Besseren belehren.»

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