Solch einen Satz hört man selten von einem Manager in der Autobranche. «Ich fahre am Wochenende nicht mehr mit dem Auto in die Stadt.» In der Familie von Marc Langenbrinck, CEO bei Mercedes-Benz Schweiz, haben inzwischen alle die Abfahrtszeiten der S-Bahn nach Zürich im Kopf. «Aber wir haben auch das Glück des kurzen Wegs zum Bahnhof», sagt Langenbrinck. Das sei allerdings leider nicht überall in der Schweiz so, trotz des so leistungsfähigen öffentlichen Verkehrs hierzulande. Langenbrincks Einsicht: «Jeder sollte die Möglichkeit haben, alle Verkehrsträger so intelligent zu nutzen, dass man möglichst effizient und bequem von A nach B kommt.»
In der Autobranche steht Langenbrinck mit diesen Überlegungen längst nicht alleine da. Disruption heisst das Zauberwort. Der technologische Fortschritt und insbesondere die Digitalisierung, die Klimadiskussion und die Knappheit der Fläche in den Ballungsräumen hinterfragen das bisherige Verständnis von Mobilität. Hier die Autofahrer, dort die ÖV-Nutzer – diese Dualität weicht sich auf. Die Sicherstellung der individuellen Mobilität wird zum Service; der Schlüssel dazu sind Information und Vernetzung, um die Verkehrsmittel effizient und zeitsparend für den Weg von A nach B verknüpfen zu können. Die Digitalisierung eröffnet dabei Spielräume für Start-ups, die mit frischen Ideen für neue Dienstleistungen die Autoindustrie in Zugzwang bringen. Und deren Geschäftsmodell des reinen Autoverkaufs sogar in Frage stellen.
Auch für Autofahrer kann ÖV sinnvoll sein
«Wir sind aber davon überzeugt, dass es weiterhin individuellen Verkehr geben wird – gerade auch in der Schweiz», zeigt sich Langenbrinck sicher. Der Kunde hierzulande sei stolz auf sein Fahrzeug, und es gebe Situationen, da sei das Auto einfach die beste Lösung. Gleichzeitig will er ab diesem Herbst für die Kunden seiner Marke mit neuen Services die Schwelle zur Nutzung anderer Verkehrsmittel neben dem Auto senken: «Es muss völlig okay sein, wenn ich als Fahrzeugkunde auch andere Verkehrsträger nutze.»
Dazu setzt Mercedes-Benz Schweiz auf drei neue Angebote. Das erste ist die Einführung eines schweizweiten Mietservices, wie ihn Mercedes international bereits anbietet: Kunden – auch von Fremdmarken – können ein Fahrzeug für die Skiferien oder den Wochenendtrip mieten, wenn das eigene Auto nicht genug Platz bietet oder der nötige 4x4 fehlt. «Wir werden unsere ganze Fahrzeugpalette anbieten, für kurze oder längere Mietdauer, für private Nutzung oder Geschäftsleute», erklärt Langenbrinck.
Kooperation mit MyDriver
Zweites Angebot ist eine Kooperation mit MyDriver für die letzte Meile in der Innenstadt. Zunächst wird im November und Dezember in Zürich an der Bahnhofstrasse und am Bellevue ein Parkier-Service angeboten: Mercedes abgeben, parkieren lassen, in die Stadt zum Einkaufsbummel gehen und zehn Minuten vor der Rückfahrt per Anruf das Auto bereitstellen lassen. Die Preise werden als Flatrate zwischen 20 Franken wochentags und 35 Franken am Wochenende für bis zu zwölf Stunden betragen. «Wenn sich das bewährt, werden wir den Service auf weitere Städte ausweiten», so Langenbrinck.
Kombination mit ÖV
Beide Services bewegen sich noch rein in der Autowelt. Neu ist dagegen die Verknüpfung von Auto und ÖV. Ab Dezember werden Käufer eines vollelektrischen Mercedes EQC künftig für ein Jahr ab Kauf ein ÖV-Guthaben von monatlich 40 Franken erhalten. «Das ist für uns die Verbindung von nachhaltiger und intelligenter Mobilität. Wir arbeiten dazu mit Fairtiq zusammen», erklärt Langenbrinck. Per Swipe-App und Ortungsdiensten berechnet die App dieses Dienstleisters den günstigsten Tarif von A nach B, bestellt im Hintergrund die nötigen Tickets und rechnet sie über einen Anbieter ab. Wird die App in die Mercedes-eigene App integriert? «Zu einem späteren Zeitpunkt können wir uns dies durchaus vorstellen. Falls das Angebot gut ankommt, möchte ich zudem den Service auf alle Mercedes-Neuwagen erweitern», sagt Langenbrinck.
Kooperation statt Integration
Zunächst gehe es aber um Kooperation statt Integration: «Entscheidend ist, dass unsere Partner bei Kundenerlebnis und Nutzungskomfort die Mercedes-Kriterien erfüllen.» Nur so liesse sich auch auf die Schnelligkeit am Markt reagieren: «Der Umbruch in der Mobilität erfolgt so rasant. Nehmen wir nur die E-Scooter: Muss ich diese als Mercedes künftig auch in meiner Mobilitäts-App anbieten? Oder soll ich Scooter an Kunden verschenken? Um solche neuen Entwicklungen auf ihre Marktfähigkeit auszuprobieren, muss ich schnell sein. Und das geht nur über Kooperationen.» Hat er dabei Angst, die eigene Marke mit anderen zu teilen? «Unsere Kunden haben kein Problem damit, dass es auch noch andere intelligente Produkte gibt.»
Weitere Ideen vorhanden
Neue Mobilitätsanbieter stürzen sich oft aufs Carsharing-Geschäft. Warum gibt es Share now, das gemeinsame Sharing-Angebot von BMW und Mercedes, noch nicht in Zürich? «Stadtplanern geht es vor allem darum, den Verkehr in den Innenstädten zu reduzieren. Dabei ist der ÖV in der Schweiz so gut ausgebaut, dass der Nutzen einer zusätzlichen Flotte eher gering wäre», erklärt Langenbrinck. «Die eine ideale Mobilitätslösung gibt es nicht – man muss die lokalen Gegebenheiten anschauen und dann passende Angebote entwickeln. Wir haben schon weitere Ideen.»
Heisst das auch, dass der künftige Mercedes-Kunde keinen Mercedes mehr besitzen muss, wie dies der ehemalige Konzern-CEO Dieter Zetsche vor Jahren schon prognostizierte? Langenbrinck lacht: «Umgekehrt wärs mir lieber – wenn Mercedes-Kunden auch gerne Zug oder S-Bahn fahren.»