Herr Zetsche, braucht der A-Klasse-Kunde in 64 Farben beleuchtbare Lüftungsdüsen?
Dieter Zetsche: Den Kunden gibts nicht, dafür Millionen von Kunden mit verschiedenen Vorstellungen. Natürlich kann man streiten, ob man sowas braucht. Wir haben uns bei der A-Klasse beim Innenraum und Infotainment auf die Individualisierung fokussiert und sind sicher, dass wir richtig liegen. Für jeden Kunden bieten wir ein optimales Angebot.
Das MBUX genannte Infotainment ist nicht nur für die Kompaktklasse ein riesiger Sprung. Aber traditionell kamen solche Innovationen immer erst in der S-Klasse.
Bei 40 Modellen können wir uns nicht leisten, nur alle sieben Jahre neue Technologien einzuführen und nach unten durchzureichen. Dazu ist gerade im Digitalbereich das Tempo zu hoch. Das ist kein Strategiewechsel: Die S-Klasse erhält natürlich weiterhin Innovationen, die es woanders nicht gibt. Aber unsere neue A-Klasse hat MBUX als erstes bekommen, weil es perfekt gepasst hat.
Wann kommt die neue S-Klasse?
Weltpremiere der aktuellen S-Klasse war 2013, Sieben-Jahres-Zyklus …also, leichter mach' ichs Ihnen nicht. (Lacht.)
Man hört, Sie planten eine vollelektrische Variante der S-Klasse?
So würde ichs nicht sagen. Die EQ Modelle auf Basis unserer Elektroplattform bekommen nicht eins zu eins die gleiche Segmentierung, aber wir bringen einen EQS in der Grössenordnung einer S-Klasse.
Apropos EQ: Nächstes Jahr startet der Mercedes EQC, 2020 der EQA. Wozu eine eigene Elektro-Familie und nicht einfach Elektro-GLC und Elektro-A entwickeln?
Wir wissen, dass man Elektromobilität nicht mit einem Kreuzchen im Katalog attraktiv macht. Man muss mit dem Fahrzeug eine Erlebniswelt schaffen, die dem Kunden erlaubt, sich als Pionier wahrzunehmen. Das gilt nicht für alle, aber die Mehrheit. Ich sage nicht, dass der andere Weg falsch ist, aber wir sind froh, dass unsere Elektroplattform viele neue Ausprägungen erlaubt.
Wie viele vollelektrische Modelle planen Sie?
Bis 2022 wollen wir zehn rein batterieelektrische Fahrzeuge in allen Volumensegmenten anbieten. Hinzu kommt eine grosse Zahl Plug-in-Hybride, und nicht zuletzt werden bis dahin praktisch alle übrigen Fahrzeuge 48-Volt-Systeme haben, also auch schon elektrifiziert sein.
Elon Musk sagt, ohne den zehnprozentigen Daimler-Einstieg 2009 gäbe es Tesla nicht mehr. Bereuen Sie, geholfen zu haben oder wieder ausgestiegen zu sein?
Überhaupt nicht. Obs gut war, als Shareholder wieder auszusteigen, sollen die Kapitalmärkte beurteilen – das hatte nie mit Zusammenarbeit auf anderen Feldern zu tun. Und: Ich schätze Musks Leistung! Tesla ist ein Schrittmacher für die ganze Branche gewesen. Zuvor war das Elektro- ein Verzichtsauto, Tesla hat der Elektromobilität Aufmerksamkeit gebracht. Unser Job ist nun, Autos zu bauen, die der Kunde bevorzugt.
Früher lag Mercedes mit den «Necar» ganz vorne bei Brennstoffzellen-Autos. Hat Ihnen Toyota mit dem Mirai nicht quasi das Thema vor der Nase weggeschnappt?
Wer wem was wegschnappt, kann man ganz anders sehen – je nachdem, ob man Klicks oder Kosten zählt. Unser GLC Fuel Cell verfügt über den aktuellsten Stand der Technologie. Wir glauben jedoch nicht, dass sich der Fokus in den nächsten Jahren zur Brennstoffzelle verschiebt, denn das entscheidet auch die Energiewirtschaft. Wir sind technologisch gerüstet, aber fokussieren uns im Hochlauf am Markt auf batterieelektrische Fahrzeuge.
Mercedes ist ja der Diesel-Pionier. Sie haben 1936 den Diesel ins Auto gebracht und hatten den ersten Sauberdiesel. Sind die Tage des Diesels nicht gezählt?
Nein! Der Diesel hat eine Zukunft. Ich glaube, dass die Diskussion von interessierter Seite zu emotional und ideologisch geführt und dass die Amplitude von den Medien verstärkt wird. Unsere Aufgabe ist, überzeugende Antworten zu haben und den Platz des Diesels durch Produkte zu rechtfertigen. Er ist Teil der Lösung des CO2-Problems.
Das neue Mercedes-Design kommt blendend an. Aber die Autos ähneln sich stärker. Zuvor waren etwa A, E oder der CLS «Ausreisser». Fehlt jetzt nicht das Besondere?
Wir hatten früher keine ausreichend durchgängige Marken- oder Designstrategie. In den letzten zehn Jahren haben wir eine geschaffen. Wenn jetzt jemand sagt, die C- und E-Klasse seien heute zu ähnlich, akzeptiere ich diese Sichtweise, und man kann natürlich kritisch anmerken, dass es keine Querschläger mehr gibt. Ich bin aber sehr im Design involviert und hochzufrieden mit dem, was wir haben – denn schauen Sie sich die Zahl der gewonnenen Kunden an!
Die A-Klasse war ein enormer Verkaufserfolg und hat in Europa zu 60 Prozent Neukunden zu Mercedes gebracht. Wird mit der neuen A-Klasse konsolidiert oder weiterhin erobert?
Unser Wachstum in der Kompaktklasse ging weit über unsere Pläne – ein sensationeller Erfolg! Wir trauen uns aber mit unserer neuen Kompaktfamilie nochmals eine signifikante Steigerung zu, auch weil wir das Portfolio von fünf auf acht Modelle erweitern. So gut, wie die letzte A-Klasse ankam, hat die neue A-Klasse das Zeug dazu, eins draufzusetzen.
Liegt die A-Klasse auch bei der Senkung des Kundenalter-Durchschnitts im Plan?
Wir haben ja nie gesagt, die Senkung solle soundsoviel Jahre betragen. Aber es waren dann mehr als zehn! In einer Autowelt, in der Autos meist nicht früher als mit 40 Jahren gekauft werden, ist das eine Welt. In dieser Grössenordnung hoffen wir es beizubehalten.
Sie sind seit zwölf Jahren der eine Autokonzern-CEO, der selbstironisch auftritt oder Witze macht; etwa in den Video-Weihnachtsbotschaften. Sind Sie dabei «echt»?
Ich bin, wie ich bin. (Lacht.) Ich habe zwar Redenschreiber, aber keine Stilberater. Ich nehme mich nicht zu wichtig. Dazu gehört auch Humor – und, sich nicht zu verbiegen.
Ihr berühmter Schnauz bleibt im Gegensatz zum letzten Weihnachtsvideo dran?
Ich habe den, seit ich 16 Jahre alt bin – und daher stellt sich mir die Frage nicht. Das war ja nur eine Simulation und der beste Beleg, dass mein Bart besser dran bleibt. (Lacht.)