Einst hatten wir freie Fahrt
Wieso die Schweiz Tempolimits hat

Die Freiheit der Deutschen kannten früher auch Schweizer Autofahrer: Auf Autobahnen und sogar ausserorts gab es bei uns keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Tempolimits wurden einst als temporäre Massnahme beschlossen – und sind dann geblieben.
Publiziert: 06.02.2023 um 04:50 Uhr
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Von 1932 bis 1973 galt auf Schweizer Autobahnen und ausserorts freie Fahrt.
Foto: imago images/Andreas Haas
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Martin A. BartholdiRedaktor Auto & Mobilität

Das wird die Schweiz kaum noch einmal erleben: Im Jahr 1932 schaffte der Bund sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Schweizer Strassen ab! Damals durften unsere Urgrossmütter und -väter vor 90 Jahren sogar innerorts so schnell fahren, wie sie wollten.

Dabei kannte die Schweiz eigentlich schon 1904 ein Tempolimit. Die Kantone beschlossen in einem Konkordat eine Höchstgeschwindigkeit von 10 Kilometern pro Stunde innerorts und 30 km/h ausserorts. Schon zwei Jahre zuvor hatten die beiden Verkehrsclubs ACS und TCS diese Limiten empfohlen: «Das erlaubt dem Lenker, Herr seiner Maschine zu bleiben.» Zehn Jahre später, 1914, wurde die Höchstgeschwindigkeit dann auf 18 und 40 km/h erhöht.

Freie Fahrt ohne Tempolimit

Dann kam der 15. März 1932 und das von National- und Ständerat beschlossene «Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr» trat in Kraft. Im Vorläufer des heutigen Strassenverkehrsgesetzes fanden sich keine Tempolimits. In Artikel 25 wurde lediglich festgehalten, dass Autofahrer «ihr Fahrzeug ständig beherrschen müssen und die Geschwindigkeit den Strassen- und Verkehrsverhältnissen anpassen müssen.»

Natürlich waren die Autos damals noch nicht so schnell. Laut Absatz 2 von Artikel 25, mussten Autos in der Schweiz damals erst einen Tacho haben, wenn sie schneller als 20 km/h fahren konnten. Fast nur Sportwagen erreichten in den 1930er-Jahren überhaupt 100 km/h. Die wenigen Durchschnittsautos, die so schnell fahren konnten, wurden bei diesen Tempi so unfassbar laut, dass kaum jemand freiwillig die Höchstgeschwindigkeit seines Autos ausfuhr.

Erste Einschränkungen innerorts

Doch die Autos wurden rasch immer schneller – und die Schweiz reagierte. Als 1959 die erste Version des heute noch gültigen Strassenverkehrsgesetzes in Kraft trat, wurde wieder ein Tempolimit eingeführt. Innerorts durften die Automobilisten nur noch maximal 60 km/h fahren. 1983 senkte der Bundesrat die erlaubte Maximalgeschwindigkeit auf die heute noch gültigen 50 km/h.

Ausserorts und auf Autobahnen blieb das Tempo vorerst unbeschränkt. Erst im Januar 1973 führte der Bundesrat aus Sicherheitsgründen ausserorts Tempo 100 ein. Zuerst versuchsweise, ab 1977 definitiv.

Kürzere Bremswege

Das Hauptargument für eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist die erhöhte Sicherheit: Die kinetische Energie eines Fahrzeugs wie auch der Bremsweg entwickeln sich exponenziell zur Geschwindigkeit. Das heisst: Bei doppelter Geschwindigkeit vervierfacht sich der Bremsweg. Dazu wirkt bei einem Unfall die vierfache Kraft auf die Insassen. Je langsamer wir fahren, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls und desto harmloser sind die allfälligen Folgen. Entsprechend werden oft vor Gefahrenstellen wie Kurven oder Kreuzungen Tempolimits angezeigt.

Des Weiteren lassen sich mit Geschwindigkeitsbegrenzungen aber auch Staus reduzieren und der Verkehrsfluss verbessern, weil die Autos eine einheitlichere Geschwindigkeit fahren. Dies hat, wie auch ein konstantes Tempo, wiederum positive Effekte auf die Umwelt, weil der Verbrauch und der CO₂-Ausstoss reduziert werden.

Das Hauptargument für eine Geschwindigkeitsbegrenzung ist die erhöhte Sicherheit: Die kinetische Energie eines Fahrzeugs wie auch der Bremsweg entwickeln sich exponenziell zur Geschwindigkeit. Das heisst: Bei doppelter Geschwindigkeit vervierfacht sich der Bremsweg. Dazu wirkt bei einem Unfall die vierfache Kraft auf die Insassen. Je langsamer wir fahren, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls und desto harmloser sind die allfälligen Folgen. Entsprechend werden oft vor Gefahrenstellen wie Kurven oder Kreuzungen Tempolimits angezeigt.

Des Weiteren lassen sich mit Geschwindigkeitsbegrenzungen aber auch Staus reduzieren und der Verkehrsfluss verbessern, weil die Autos eine einheitlichere Geschwindigkeit fahren. Dies hat, wie auch ein konstantes Tempo, wiederum positive Effekte auf die Umwelt, weil der Verbrauch und der CO₂-Ausstoss reduziert werden.

Provisorische Tempolimits

Ohne die Ölkrise wäre die Schweiz vielleicht heute wie Deutschland für seine unlimitierten Autobahnen bekannt. Im November 1973 beschränkte der Bundesrat die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen vorübergehend auf 100 km/h, um eine Treibstoffknappheit zu verhindern. Im folgenden Frühling wurde die Höchstgeschwindigkeit versuchsweise auf 130 km/h angehoben. Der Bund war mit diesem Versuch zufrieden und wandelte ihn 1977 in ein definitives Tempolimit um.

Doch es blieb nicht dabei. Im Zuge des Waldsterbens reduzierte der Bundesrat die Höchstgeschwindigkeit 1985 ausserorts und auf Autobahnen ein weiteres Mal. Die heutigen Tempolimits von 80 und 120 km/h sollten damals nur vorübergehende Massnahmen sein, um das Waldsterben zu verhindern. Ein Zusammenhang zur Fahrgeschwindigkeit konnte allerdings nie festgestellt werden und die Angst der Bevölkerung vor den ökologischen Auswirkungen nahm ab – die Tempolimits jedoch blieben.

Volksabstimmung für Tempo 130

Daraufhin lancierte der pensionierte Autojournalist Bernhard Böhi eine Volksinitiative zur Wiedereinführung von Tempo 130 und 100 auf Autobahnen und ausserorts. Er sammelte innert kürzester Zeit 263'000 Unterschriften. Die Auto-Partei unterstützte das Vorhaben und weibelte mit dem Slogan «Nur ein mobiles Volk ist ein freies Volk» für die Autofahrerinnen und Autofahrer.

Der Bundesrat strich hingegen heraus, dass die Unfallzahlen mit der Einführung von Tempo 120 gefallen seien und sich jährlich rund 60 Millionen Liter Benzin sparen liessen. Selbst den Zeitverlust rechnete der Bund für das Abstimmungsbüchlein aus. So würde ein Auto mit Tempo 120 nur viereinhalb Minuten langsamer von Zürich nach Bern fahren als mit 130.

Kurzzeitige Richtgeschwindigkeit

Während kurzer Zeit galt auf Schweizer Autobahnen eine sogenannte Richtgeschwindigkeit, wie sie Deutschland noch heute kennt. Dabei handelte es sich um eine Geschwindigkeitsempfehlung, die Autofahrer aus Sicherheitsgründen weder unter- noch überschreiten sollten. Allerdings gab es keine Verpflichtung, sich daran zu halten. Auch eine Busse fürs zu schnelle oder zu langsame Fahren gabs nicht. Die Richtgeschwindigkeiten galten von 1965 bis 1973, als der Bundesrat im Zuge der Ölkrise Tempolimits einführte. Davon betroffen waren die Autobahnabschnitte Lausanne–Genf, Bern–Oensingen und Luzern–Hergiswil sowie die Autostrassen-Teilstücke Heiligkreuz/Chur-Reichenau.

Wiki Commons / Filzstift

Während kurzer Zeit galt auf Schweizer Autobahnen eine sogenannte Richtgeschwindigkeit, wie sie Deutschland noch heute kennt. Dabei handelte es sich um eine Geschwindigkeitsempfehlung, die Autofahrer aus Sicherheitsgründen weder unter- noch überschreiten sollten. Allerdings gab es keine Verpflichtung, sich daran zu halten. Auch eine Busse fürs zu schnelle oder zu langsame Fahren gabs nicht. Die Richtgeschwindigkeiten galten von 1965 bis 1973, als der Bundesrat im Zuge der Ölkrise Tempolimits einführte. Davon betroffen waren die Autobahnabschnitte Lausanne–Genf, Bern–Oensingen und Luzern–Hergiswil sowie die Autostrassen-Teilstücke Heiligkreuz/Chur-Reichenau.

Die Schweizer Stimmbürger folgten den Argumenten des Bundesrates und lehnten die Initiative der Auto-Partei am 26. November 1989 mit 62 Prozent ab. Allerdings tat sich beim Tempolimit ein grosser Röstigraben auf. In der Romandie stimmte eine deutliche Mehrheit für die höheren Tempolimits. Doch es half nichts: Nach der Abstimmung legte der Bundesrat die noch heute gültigen Höchstgeschwindigkeiten definitiv fest. Es war die bis heute einzige nationale Abstimmung über Geschwindigkeitsbegrenzungen. Für die Initiative für ein Tempolimit von 140 km/h konnten nicht genug Unterschriften gesammelt werden – Tempo-30-Zonen beschliessen die Gemeinden in Eigenverantwortung.

Bundesrat bestimmt Tempo

Beim Tempolimit hat das Parlament übrigens kein Mitspracherecht – es liegt in der alleinigen Kompetenz des Bundesrates. Das Strassenverkehrsgesetz regelt diese Zuständigkeit in Artikel 32, ohne Geschwindigkeitsvorgaben zu machen. Die einzige Erwähnung expliziter Tempolimits ist Artikel 90. Darin wird festgelegt, wie viel zu schnell ein Verkehrsteilnehmer fahren muss, um mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft zu werden.

Auch die heutigen Tempolimits sind nicht in Stein gemeisselt. Umweltverbände fordern immer wieder, die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 km/h zu senken. Der VCS forderte dies beispielsweise im September 2022 als vorbeugende Massnahme gegen die Energiemangellage und um den CO₂-Ausstoss zu reduzieren. Auch innerorts gibt es immer wieder Bestrebungen, um besonders in Städten Tempo 30 als Lärmschutzmassnahme einzuführen. Die ersten Tempo-30-Zonen kamen schon 1989 – 2001 folgten die Begegnungszonen mit maximal 20 km/h.

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