Wandel auf dem Motorradmarkt
China drängt ins Töffparadies Schweiz

Was in der Autowelt passiert, geschieht jetzt auch bei den Zweirädern: Die Motorradträume kommen nicht mehr nur aus Japan, Italien, Deutschland, England, Österreich und den USA, sondern immer mehr aus China.
Publiziert: 27.02.2024 um 11:37 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2024 um 13:14 Uhr
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Wie bei den Autos setzt jetzt auch bei den Töffs in der Schweiz die Welle aus China ein. Attraktive Modelle wie die ZT 125 U von Zontes drängen auf unseren Markt.
Foto: ZVG.
Markus Lehner

Nach einem mit rund 49’000 Neuzulassungen erneut sehr guten Töffjahr 2023 sind in der Schweiz mittlerweile mehr als eine halbe Million Motorräder und 300’000 Roller immatrikuliert. 700 Fachbetriebe und ihre Zulieferer setzen gemäss der Schweizerischen Fachstelle für Motorrad und Roller (SFMR) pro Jahr mehr als eine Milliarde Franken um. Seit über einem halben Jahrhundert dominiert das japanische Kleeblatt – Honda, Kawasaki, Suzuki, Yamaha – den europäischen Töffmarkt. Den Rest des Kuchens teilten sich bisher Italien (Aprilia, Ducati, Moto Guzzi, Vespa), Deutschland (BMW), England (Triumph), Österreich (KTM) und die USA (Harley-Davidson, Indian).

Doch das ist vorbei. In der Zulassungsstatistik drängen Brands wie Benelli, Brixton, CFMoto, Colove, Fantic Motors, F.B. Mondial, KL Motors, Kove, Kumpan, Luxxon, Malaguti, Mash, Motron, Niu, Silence, Sky Team, SuperSoco, Surron, SWM, Sym Sanyang, Vengo, Voge, Wottan und Zontes immer weiter nach vorne – und alle stammen sie aus China. Dank Freihandelsabkommen haben diese Hersteller leichtes Spiel, ihre Produkte in die Schweiz zu bringen. Zölle werden gegenseitig nicht erhoben.

China grösster Töffproduzent der Welt

Von den teils europäisch klingenden Namen sollte man sich nicht täuschen lassen. Dahinter stecken Firmenübernahmen, Joint Ventures und Mehrheitsbeteiligungen. Entwickelt und gestylt werden die China-Töffs zwar zum Teil in Europa, doch gebaut werden sie in China in den gigantischen Industriezentren von Chongqing, Zhejiang und Guangdong. Pro Jahr bauen dort rund 200 Hersteller über 20 Millionen Motorräder und Roller, die sie unter mehreren Hundert verschiedenen Brands vertreiben. Selbst Fachleute haben Mühe, den Überblick zu bewahren und die fast täglich neu aufpoppenden Brands einzuordnen. Nur der indische Markt kann mit etwas geringeren, aber ähnlichen Zahlen konkurrieren. Zum Vergleich: Der europäische Zweiradmarkt umfasst über alle Kategorien gerade mal rund eine Million Fahrzeuge pro Jahr.

Mit preisgünstigen, qualitativ immer besseren Produkten flutet China insbesondere die lukrativen Kleinroller- und 125er-Einsteiger-Märkte. Bei den im urbanen Bereich eingesetzten Elektro-Rollern (jedes fünfte Neufahrzeug in diesem Segment ist heute ein Stromer) sind sie äusserst aktiv. Und im Unterschied zu den traditionellen Herstellern stellen sie an Infrastruktur und Corporate Identity der Händler wenig bis keine Ansprüche. Sie beliefern von Kleinbetrieben bis zum Grosshändler Landi (Vengo) mehr oder weniger ausnahmslos alle.

Bei den grossen Töffs ist die chinesische Invasion (noch) überschaubar. Die Weltmeister im Kopieren haben schon früh gemerkt, dass sie mit ihren unverhohlenen, technisch meist ungenügenden 1:1-Plagiaten beim anspruchsvollen Töffvolk Europas keine Chance haben. Also gingen sie lukrative Kooperationen mit traditionellen Herstellern aus aller Welt ein, denen die niedrigen Lohn- und Produktionskosten sowie das schier unerschöpfliche Arbeitskraft- und Materialpotenzial wichtiger sind als Demokratie und Menschenrechte.

Kooperationen: Alle machen mit

BMW ist seit Jahren mit dem Loncin-Konzern vernetzt und lässt dort unter anderem seit 2018 die Reihen-Zweizylinder der F-Serie bauen, genauso wie etwa die grossen 400er-Roller. Die österreichische Sportschmiede KTM hat bereits 2009 mit Quad-Spezialist CFMoto angebandelt – inzwischen bauen die Chinesen in Hangzhou diverse Reihen-Zweizylinder-Motoren für KTM. Und dürfen diese sogar in eigene Fahrzeuge einbauen, die jetzt auch in Europa (via KTM-Netz) vertrieben werden. Mit der Quangjiang Group, die 2005 Benelli übernahm und nur die Entwicklung in Pesaro (I) beliess, ist auch der ur-amerikanische Stolz Harley-Davidson verbunden und lässt dort eine für den asiatischen Grossmarkt gedachte, einfach aufgebaute 350er bauen. Der Shineray-Konzern hat die Türe für Mash und SWM geöffnet, Zongshen kooperiert mit Roller-Gigant Piaggio (Vespa, Aprilia, Moto Guzzi). Die Liste liesse sich fast endlos fortsetzen. Doch eines ist all diesen Zweck-Ehen gemeinsam: An bilateralen Betrieben im eigenen Land hält der chinesische Partner per Dekret mindestens 51 Prozent der Anteile.

Fazit: Wer aus Prinzip «Made in China» verschmäht, kann heute kaum noch einen neuen Töff oder Roller kaufen, an dem keine Teile aus chinesischer Produktion verbaut sind. Genau wie bei Laptop, Handy, TV, Digitalkamera oder Auto.

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