Eigentlich ist es ganz simpel. Der Elektro-Pick-up Rivian R1T hat vier Steckdosen. Eine im Innenraum, eine im Laderaum zwischen Kabine und Ladefläche sowie zwei auf der Ladefläche. Sie liefern Strom aus der Fahrbatterie, die auch die vier Elektromotoren für den Antrieb speisen. Und können jedes elektrische Gerät über Adapterstecker betreiben.
E-Auto macht OP möglich
Der Urologe Christopher Yang aus Austin (USA) nutzte diese Steckdosen nun, um eine Vasektomie durchzuführen. Ein Stromausfall legte seine Praxis lahm, doch der Patient wollte den OP-Termin nicht verschieben. Den Rivian als Notstromgenerator für den kleinen medizinischen Eingriff zu nutzen, war zuerst nur eine scherzhafte Bemerkung eines Mitarbeiters. Doch es stellte sich schnell als machbare Lösung heraus: Nachdem der Patient seine Einwilligung gegeben hatte, wurden Verlängerungskabel zum Parkplatz gezogen, um die notwendigen medizinischen Geräte zu versorgen. Laut dem Urologen verlief die Vasektomie ohne Komplikationen.
Die Idee, ein Elektroauto als Mega-Stromspeicher zu nutzen, ist nicht neu. Auch Rivians direkter Pick-up-Konkurrent, der Ford F-150 Lightning, verfügt über derartige Steckdosen. Bei uns haben die koreanischen Stromer Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 eine Steckdose unter der Rückbank. Ausserdem gibts einen Adapter für die Ladebuchse, über den sich gar E-Bikes und andere Elektroauto mit bis zu 3,7 Kilowatt Leistung laden lassen.
Strom für 16 Tage
Lässt sich damit das Energie-Versorgungsproblem im Winter lösen? Nein! Aber es könnte im Notfall helfen. Für den Rivian gibts drei Batterie-Grössen: 105, 135 und 180 Kilowattstunden (kWh). Der durchschnittliche Stromverbrauch eines Schweizer Einfamilienhauses mit vier Bewohnern beträgt laut Bundesamt für Energie 4048 kWh pro Jahr oder rund 11 kWh pro Tag. Daher könnte ein Rivian bei voll geladenem Akku je nach Version ein Haus zwischen 9 und 16 Tagen mit Strom versorgen.
Nur, den Rivian gibts bei uns nicht. Die Akkus von Hyundai und Kia sind mit 58 und 77 kWh etwas kleiner, aber reichen immer noch für fünf bis sieben Tage. Damit liesse sich eine Notfall-Situation locker überbrücken. Sollte im Winter tatsächlich der Strom knapp werden, plant der Bundesrat gebietsweise Stromabschaltungen für vier bis acht Stunden abschalten. Die liessen sich mit Ioniq 5 oder EV6 locker überbrücken.
Warten auf intelligentes Stromnetz
Doch die eigentliche Idee dieses sogenannten bidirektionalen Ladens ist es, die Elektroautos intelligent ins Stromnetz zu integrieren. Dabei speichern sie bei Überproduktion Sonnen- und Windenergie in ihren Akkus und geben den Strom bei erhöhtem Energiebedarf wieder ins Netz ab. Allerdings ist die Netzinfrastruktur derzeit noch nicht so weit und wenn insgesamt nicht genug Strom vorhanden ist, gibts auch keine Überproduktion, welche die E-Autos aufnehmen könnten.
Fazit
Mit einem Elektroauto lässt sich ein kurzzeitiger Stromausfall überbrücken. Es muss allerdings die technischen Voraussetzungen dafür erfüllen. Die dazu nötige Software ist für viele Elektromodelle aber noch nur für künftige Updates angekündigt.