Ein Meer aus Blech – anders kann man den Anblick nicht beschreiben, als wir am vergangenen Wochenende auf dem Zuger Stierenmarktareal ankommen. Die Parkfelder auf dem Innenhof sind schon um halb zwölf fast komplett belegt, ein Fahrzeug reiht sich ans nächste. Doch heute kann hier nicht jeder parkieren, denn es gilt eine wichtige Regel: Nur Pony-Cars von Mustang und Shelby sind erlaubt! Die Stierenstallungen sind für einen Tag Austragungsort des 8. Mustang-Treffens der Schweiz, das europaweit eines der grössten seiner Art ist.
Gut also, dass auch wir in einem Mustang unterwegs sind. Auf dem Hinweg kündigt sich das Meeting bereits weit vor der Zuger Innenstadt an – auffallend viele Pony-Cars sind mit ihren bollernden V8 auf den Strassen unterwegs. Was schon während der Anfahrt auffällt, ist die kollegiale Gemeinschaft unter den Fahrern: Jedes Mal, wenn wir einen Mustang kreuzen, winken uns die Besitzer freundlich zu. Ein Bild, das sich am Meeting fortsetzt. Die Fans diskutieren vor den offenen Motorhauben und Verdecken über Technik und Design ihrer Lieblinge und tauschen rege Tipps aus. Alle sind sie froh, dass sie endlich wieder an einem grossen Treffen dabei sein können.
Nach langer Pause zurück
Das sieht auch René Suter (60), Präsident des Mustang-Clubs Schweiz, so: «Durch Corona mussten wir eine Zwangspause einlegen. Diese haben wir jetzt noch ein wenig verlängert, um das Treffen anlässlich des 60-jährigen Mustang-Jubiläums wieder zurückzubringen.» Eine gute Idee, denn über 2500 Besucher kamen nach Zug, um die Mustang-Herde auf dem Stierenmarktareal zu bewundern. Hier stehen Autos für jeden Geschmack, egal, ob hochgezüchtete Shelbys, Cabrios für die Sommerausfahrt oder wunderschön erhaltene Oldtimer-Sammlerstücke. Über 750 Pony-Cars fanden mit ihren Besitzerinnen und Besitzern den Weg nach Zug.
Fan von Kopf bis Fuss
Einer davon ist Stefan Wester (58), der sich mit seinem Mustang einen Kindheitstraum erfüllte: «Ich wollte schon immer Mustang fahren. 2016 wurde der Traum endlich Realität.» Dass er auch heute noch ein grosser Fan ist, sieht man sofort. Von Kopf bis Fuss ist er in Schwarz-Gelb gekleidet, genau wie sein Mustang. «Mir ist wichtig, dass man erkennt, wer zum Auto gehört.» Dass er dadurch neugierige Blicke auf sich zieht, stört ihn nicht: «Deshalb ist mein Mustang ja auch gelb, er soll auffallen.» Wichtig fürs Outfit sind auch die Schuhe mit dem Mustang-Logo: «Die habe ich selbst gemacht. Wenn ich jeweils bei den Treffen vorfahre, erkennen mich beim Aussteigen alle daran.» Uns verrät Stefan, dass er mit dem Kauf eines Shelby GT500 liebäugle – vielleicht muss er also schon bald auch ein Paar Shelby-Schuhe produzieren.
Familienangelegenheit
Die Sport-Mustangs sind in Zug zahlreich vertreten. In der Ausstellungshalle ist sogar ein Shelby der ersten Generation zu sehen: «Für dieses Meeting haben wir von jedem Modellwechsel bis 1993 jeweils die Einstiegsmodelle der Topversion gegenübergestellt», erklärt René Suter. Eines der ausgestellten Autos gehört ihm höchstpersönlich: «Den 78er King Cobra, die Topversion des Zweier-Mustangs, hatte ich seit Ewigkeiten gesucht. Online wurde ich dann endlich fündig – und jetzt steht er hier!» Mindestens genauso viel Freude daran hat auch Tochter Vivien (28). Ihr wurde die Leidenschaft für Pony-Cars in die Wiege gelegt: «Ich war immer dabei. Seit ich klein war, fuhr ich in den Mustangs mit und war auch an den Events dabei. Mein Vater bekam zwei Töchter, die jüngere musste dran glauben», sagt sie lachend. Selbst fährt sie noch keinen Mustang. «Klar möchte ich die Autos eines Tages übernehmen. Es ist schön, wenn ich die Leidenschaft meines Vaters weiterführen kann. Mir gefallen alte Autos sowieso besser als moderne. Die haben noch richtigen Charakter.»
Acht Jahre Schrauber in Detroit
Und alte Autos sind hier zuhauf anzutreffen. Ein Grossteil der Parkplätze ist von Oldtimern belegt, und auch die Besucher werden vermehrt von den älteren Modellen angezogen. Klubmitglied Walter Speirer (80) versteht das nur zu gut, schliesslich arbeitete er acht Jahre lang in der Traumfabrik in Detroit (USA). Wie es dazu kam, ist filmreif: Nachdem er ein Jahr bei Ford in Zürich gearbeitet hatte, reiste er 23-jährig mit einem Studentenvisum nach Amerika. Bevor dieses ablief, entschied sich Walter, 1969 nach Detroit zu reisen, um sich bei Ford zu bewerben. «Erst bekam ich keine Antwort. Es war Oktober und wurde kalt. Ich war ausgehungert, hatte nur meine Sommerkleider und noch etwa 200 Dollar im Sack.» Über Kontakte eines Freundes erhielt er dann aber doch noch die Chance, sich bei Ford vorzustellen. «Mein Glück war, dass durch den Vietnamkrieg fünf Leute der Mustang-Division eingezogen wurden. So durfte ich mich zusammen mit vier Amerikanern als einziger Ausländer präsentieren.»
Mit Erfolg: «Nach einer Stunde sagten sie zu mir: Walter, you got the Job.» Sein damaliger Chef kennt jeder Mustang-Fan, es war kein Geringerer als Lee Iacocca (1924–2019). Seine Zeit in Amerika beschreibt Walter als seine beste Zeit im Leben. Er blieb acht Jahre bis 1977 bei Ford: «Als 32-Jähriger bin ich in die Schweiz zurückgekommen – und habe nie mehr ein Auto angefasst.» Das Mustang-Fieber hat ihn trotzdem nicht losgelassen. Seit der Pensionierung fährt Walter Speirer wieder ein neues Modell: «Ich möchte aber wieder einen 69er-Mustang. Früher hatte ich mal zwei davon.» Gut möglich also, dass Walter beim nächsten Meeting vielleicht schon mit einem 69er-Mustang vorfährt.