Er gilt als grösster Autonarr Hollywoods. Doch für neue Autos hat er nichts übrig. Quentin Tarantino (60) – Produzent, Drehbuchautor, Kameramann, Schauspieler und wohl einer der legendärsten Regisseure der Neuzeit – liebt amerikanische Musclecars der 1960er und 70er-Jahre. Kraftvoll, spektakulär, manchmal auch etwas durchgeknallt – so sieht für ihn ein Traumwagen aus. «Wenn es ein Produkt gibt, bei dem man sich fragt: 'Wieso haben sie aufgehört, die Dinger so zu bauen?', dann sind es die Autos dieser Ära», echauffierte er sich einst in einem Interview.
Seine Leidenschaft für alte US-Kraftbolzen spiegelt sich auch in seinen Filmen wider. Im 1992 erschienenen Erstlingswerk «Reservoir Dogs» flüchten die beiden Gangster Mr. Orange (Tim Roth, 61) und Mr. White (Harvey Keitel, 83) zu Beginn nach einem missglückten Raubüberfall in einem 1972er Pontiac Lemans. Während Mr. White am Steuer des knallroten Musclecars sitzt, liegt Mr. Orange angeschossen und blutüberströmt auf der ansonsten schneeweissen Rückbank. Weiterer prominenter automobiler Darsteller in«Reservoir Dogs»: Ein 1966er Cadillac DeVille, mit dem der psychopathische Mr. Blonde (Michael Madsen, 65) unterwegs ist. Madsen gefiel der Caddy so gut, dass er ihn nach Ende der Dreharbeiten in seiner Privatgarage abstellte.
Im Malibu durch L.A.
Auch im Klassiker «Pulp Fiction» von 1994 gibts für Autofans einiges zu sehen: Legendär ist die Szene, in welcher der heroinsüchtige Profikiller Vincent Vega (John Travolta, 69) zusammen mit der Frau seines Bosses (Uma Thurman, 52) in einem kirschroten 64er Chevrolet Chevelle Malibu SS Cabrio durch Los Angeles cruist. Ziel: das Tanzlokal Jack Rabbit Slim's. Das Musclecar war aber keine Requisite: Es stammte aus Tarantinos Privatbesitz!
Glück hatte der Regisseur mit dem Chevy allerdings nicht: Noch während den Dreharbeiten wurde der V8-Strassenkreuzer gestohlen und erst 19 Jahre später von Polizisten in der Nähe von San Francisco wieder aufgespürt. Und noch ein weiterer Chevrolet hat in «Pulp Fiction» einen Auftritt: In einem Chevy Nova erschiesst Vega während einer Diskussion mit seinem Killerkumpel Jules Winnfield (Samuel L. Jackson, 74) aus Versehen den Kleinganoven Marvin.
Legendärer Pussy Wagon
Nach dem Gangsterstreifen «Jackie Brown» im Jahr 1997, in dem der Waffenschieber Ordell Robbie (Samuel L. Jackson) Tarantino-untypisch in einem schwarzen 1975er Mercedes SL unterwegs ist, gönnte sich der Regisseur eine fünfjährige Kreativpause, ehe er im Herbst 2003 und im Frühjahr 2004 das zweiteilige Racheepos «Kill Bill» in die Kinos brachte. Legendär ist der Auftritt des gelben Chevrolet C-2500 Crew Cab Silverado Pick-up mit «Pussy Wagon»-Schriftzug am Heck, in dem Uma Thurman alias «Die Braut» nach vierjährigem Koma aus dem Spital flüchtet. Der Truck aus Tarantinos privater Autosammlung hatte ausserdem im Musikvideo zu Lady Gaga's Song «Telephone» einen Auftritt. Im zweiten Teil von «Kill Bill» ist die rachsüchtige Braut dann auch noch in einem 1972er Karmann Ghia Cabrio von Volkswagen unterwegs.
Grandiose Verfolgungsjagden
Doch in keinem Film wird Tarantinos Leidenschaft zu fetten US-Musclecars so zelebriert wie im Action-Thriller «Death Proof» von 2007. Dort geht der angegraute Stuntman Mike (Kurt Russell, 72) zuerst in einem 1970er Chevy Nova SS, später in einem 1969er Dodge Charger auf Mädchenjagd, bis er auf eine Gruppe Frauen trifft, die anders als frühere Opfer erbitterten Widerstand leisten. Sie liefern sich zuerst in einem gelben 1972er Ford Mustang Grande, später in einem 1971er Dodge Challenger mit Unsympath Mike wilde Verfolgungsjagden, bei denen Tarantino auf jeglichen Computerzauber und Bluescreens verzichtete.
Viele der gezeigten Musclecars stammen aus bekannten Filmen. Der Chevy Nova etwa spielte im Film «Bullitt» aus dem Jahr 1968 mit, bei dem Schauspiel-Legende Steve McQueen (1930–1980) die Hauptrolle innehatte. Der Dodge Charger wirkte in «Kesse Mary – Irrer Larry» von 1974 mit. Ford Mustang und Dodge Challenger hatten Auftritte in den Filmen «Die Blechpiraten» (1974) sowie in «Fluchtpunkt San Francisco» (1971).
Mit Vollgas dem Ende entgegen
Im letzten Streifen des Regisseurs, «Once Upon a Time in Hollywood» aus dem Jahr 2019, kehrte ein Wagen auf die Leinwand zurück, der schon in Tarantinos Debüt «Reservoir Dogs» einen Auftritt hatte. Im Krimi-Drama cruisen der zusehends erfolglose Schauspieler Rick Dalton (Leonardo DiCaprio, 48) und dessen Stuntdouble und bester Freund Cliff Booth (Brad Pitt, 59) in einem cremefarbenen 1966er Cadillac DeVille durch Hollywood.
Zu Beginn seiner Karriere hatte Tarantino verkündet, dass er höchstens in zehn Filmen Regie führen wolle. Hält er sich an sein Dogma, dürfte das nächste Werk sein letztes sein. Wenige Tage vor seinem 60. Geburtstag am 27. März wurde bekannt, worum es im vermeintlich letzten Streifen gehen soll. Keine «Kill-Bill»-Fortsetzung, keine Tarantino-Version von «Star Trek» – «The Movie Critic» soll sich mit dem bewegten Leben der verstorbenen Filmkritikerin Pauline Kael (1919-2001) befassen. Für Hollywoods grössten Autonarren die perfekte Gelegenheit, nochmals Vollgas zu geben: Der Film soll im Los Angeles der 1970er Jahre spielen – in der Hochphase der von Tarantino so innig geliebten Musclecars.