Erstmals hat ein Senator der US-Demokraten Präsident Joe Biden öffentlich aufgefordert, aus dem Rennen um das Weisse Haus auszusteigen. «Zum Wohle des Landes fordere ich Präsident Biden auf, sich aus dem Rennen zurückzuziehen», erklärte Senator Peter Welch aus dem Bundesstaat Vermont am Mittwoch (Ortszeit) in einem Meinungsbeitrag in der «Washington Post».
Manchmal ist Schweigen lauter als Worte: Die demokratische Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi hat sich in einem TV-Interview geweigert, klar zu sagen, ob US-Präsident Joe Biden im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur bleiben soll. Stattdessen forderte sie den 81-Jährigen auf, eine Entscheidung über seine Kandidatur zu treffen. Pelosis subtile Distanzierung von Biden wiegt schwer und hallt nach. Auch einige von Bidens finanzkräftigen Unterstützern in Hollywood halten die Füsse nicht mehr still.
Gerüchte um Mehrheitsführer Chuck Schumer
Einem Bericht zufolge soll sich auch der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, gegenüber Spendern offen gezeigt haben, Biden auszutauschen. Das berichtete das Portal Axios unter Berufung auf zwei nicht namentlich genannte Quellen. Öffentlich hatte Schumer sich bisher hinter Biden gestellt. Sein Büro teilte als Reaktion auf den Bericht lediglich mit, dass Schumer Biden unterstütze und sich weiterhin dafür einsetze, dass Republikaner Donald Trump im November besiegt werde. Das öffentliche Urteil eines anderen Biden-Unterstützers kam zuvor mit der Gewalt eines Donnerschlags: Hollywoodstar George Clooney rechnete in der «New York Times» mit Bidens Kandidatur ab und forderte ihn zum Rücktritt auf.
Sollte sich auch Schumer derart öffentlich gegen Biden wenden, könnte der 81-Jährige endgültig den Rückhalt im Kongress verlieren. Dann dürfte das Schicksal von Bidens Kandidatur besiegelt sein. Bereits Pelosis Worte sind für Biden aber ein Schlag ins Gesicht. Sie ist nicht nur eine enge Vertraute von Biden. Die einstige Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses ist auch eine mächtige Figur in der Demokratischen Partei.
«Menschen wollen, dass er diese Entscheidung trifft»
In der Sendung «Morning Joe», angeblich Bidens liebstes politisches Frühstücksfernsehen, sagte die 84-Jährige: «Es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob er kandidiert.» Sie fügte hinzu: «Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu treffen. Die Zeit wird knapp.» Auf den Hinweis des Moderators, dass Biden sich ja offenbar schon entschieden habe, im Rennen zu bleiben, reagierte Pelosi ausweichend.
Stattdessen schob sie nach: «Er wird geliebt, er wird respektiert, und die Menschen wollen, dass er diese Entscheidung trifft.» Pelosi hatte sich nach Bidens TV-Debakel gegen den republikanischen Herausforderer Trump zunächst eisern hinter den US-Präsidenten gestellt. Doch bereits in der vergangenen Woche äusserte Pelosi erste Zweifel und sagte, dass es eine «berechtigte Frage» sei, ob es sich bei Bidens Patzer im TV-Duell «nur um eine Episode oder einen Zustand» gehandelt habe.
Pelosi ist mit 84 Jahren selbst nicht mehr die Jüngste. Sie stellt sich im November erneut für ein Mandat im US-Abgeordnetenhaus zur Wahl. Der bekannte demokratische Senator John Fetterman, der hinter Biden steht, reagierte verwundert auf Pelosis aktuelle Aussagen. «Es ist entschieden. Es ist seltsam, dass sie so etwas sagt.» Stunden nach Pelosis Interview stellte sich ein weiterer Abgeordneter gegen Biden.
Mit geballter Faust beim Nato-Gipfel
Biden kämpft derzeit darum, seine Kandidatur für die Präsidentenwahl im November zu retten. In den USA wird diskutiert, ob Biden wegen seines hohen Alters der richtige Präsidentschaftskandidat der Demokraten ist. Biden muss sich seit seinem katastrophalen Auftritt beim TV-Duell gegen Trump zunehmend Fragen zu seiner geistigen Fitness gefallen lassen. Auf Kritik reagiert er jedoch trotzig und wirkt bisweilen stur. Einen Ausstieg aus dem Rennen hat er bisher vehement ausgeschlossen.
Die Frage einer Journalistin, ob Nancy Pelosi noch hinter seiner Präsidentschaftskandidatur stehe, konterte Biden beim Nato-Gipfel mit einer geballten Faust. Zu der Szene kam es, als die Staats- und Regierungschefs der 32 Nato-Staaten sich zu einem Familienfoto versammelten. Bidens selbstbewusster Konter sorgte unter anderem bei Bundeskanzler Olaf Scholz, der schräg hinter ihm stand, für einen Schmunzler.
Eigentlich müsste der wichtige Gipfel des Verteidigungsbündnisses in der US-Hauptstadt Washington aktuell Bidens ganze Aufmerksamkeit fordern – doch die Unruhe in seiner Partei dürfte Biden ebenso sehr beschäftigen.
Härtetest am Donnerstag
Noch hat sich keine kritische Masse an Demokraten gegen Biden gestellt. Aber die Zweifel reissen nicht ab – und jeden Tag kommen neue Rücktrittsforderungen hinzu. Heute wartet ein Härtetest auf den Demokraten: die Abschlusspressekonferenz des Nato-Gipfels. Dort muss Biden sich ohne Teleprompter den Fragen der Presse stellen. Gerade in solchen Momenten neigt er zu Versprechern und Patzern.
Biden hat ausserdem ein neues TV-Interview angekündigt, um zu zeigen, dass er in Situationen ohne Prompter bestehen kann. Am Montagabend (Ortszeit) will er sich den Fragen von NBC-Journalist Lester Holt stellen. Vergangene Woche hatte Biden dem Sender ABC sein erstes Interview nach der Debatte gegeben und betont, dass nur Gott ihn zum Rückzug bewegen könne.
Der Journalist, der Biden interviewte, war George Stephanopoulos – ausgerechnet der fiel nun mit einer brisanten Aussage auf. Auf einem Video ist zu sehen, wie der Journalist in New York sagt, dass Biden nicht vier weitere Jahre im Amt bleiben könne. «Vorhin habe ich auf die Frage eines Passanten geantwortet. Das hätte ich nicht tun sollen», zitierten US-Medien Stephanopoulos Sprecher.
Clooney: «Derselbe Mann wie bei der Debatte»
Wohl eher ohne Reue äusserte sich Schauspieler George Clooney in einem Meinungsstück in der «New York Times» vernichtend über Biden. Der 63-Jährige forderte den US-Präsidenten unverblümt auf, sich aus dem Rennen zurückzuziehen. Eine Schlacht, die er nicht gewinnen könne, sei der Kampf gegen die Zeit. Erfolgsregisseur und Produzent Rob Reiner («Harry und Sally«) schloss sich Clooney an und schrieb: «Die Demokratie steht vor einer existenziellen Bedrohung. Wir brauchen jemand Jüngeren, der zurückschlägt. Joe Biden muss Platz machen.» Biden wird von diversen Stars unterstützt – Hollywood gilt als eher liberal.
Clooney hatte erst vor wenigen Wochen bei einer Wahlkampfveranstaltung mit anderen Stars wie Julia Roberts Millionen-Spenden für Bidens Wahlkampf in Los Angeles gesammelt. Biden war damals vom G7-Gipfel in Italien direkt nach Hollywood gereist, um an dem glamourösen Event teilzunehmen. Zu der Veranstaltung schrieb der Schauspieler nun: «Er war derselbe Mann, den wir alle bei der Debatte gesehen haben.»