Auf einen Blick
Xi Jinping (71), der chinesische Staatschef, inszeniert sich während des aktuell stattfinden Brics-Gipfels im russischen Kasan als starker Mann. Gemeinsam mit Kremlchef Wladimir Putin (72) heckt er Pläne aus, um das antiwestliche Bündnis zu stärken und «eine faire Weltordnung» zu kreieren, wie sie am Mittwoch mitteilten. Nichts an Xis Verhalten weist auf die schwere Krise hin, die sein Land gerade heimsucht. Denn China kämpft mit einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale, die kaum zu durchbrechen ist.
2020 hatte China noch ambitionierte Ziele. Der von Xi abgesegnete Fünfjahresplan sah vor, dass das Land bis 2025 nach der Definition der Weltbank zu den Ländern «mit hohem Einkommen» gehört. Bis 2035 wollte die chinesische Regierung das Bruttoinlandprodukt im Vergleich zu 2020 verdoppeln. Diese einst realistischen Ziele liegen nun in weiter Ferne. Kann sich China noch retten?
China kämpft seit über einem Jahr gegen den Untergang
Die Corona-Pandemie, eine geplatzte Immobilienblase, chronische Überproduktion und Unterkonsumation beutelten die chinesische Wirtschaft. Zwar wuchs sie im letzten halben Jahr um rund 4,7 Prozent – doch China verfehlte sein Wachstumsziel von 5 Prozent. Nach offiziellen Angaben betrug das chinesische Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt 12'597 US-Dollar. Damit liegt es über 1400 US-Dollar unter der von der Weltbank definierten Marke für ein Land «mit hohem Einkommen».
Die Regierung sucht händeringend nach Lösungen. Die bisher angekündigten Massnahmen zur Bewältigung der Immobilienkrise, des Preisverfalls, der hohen Staatsverschuldung und des schwindenden Vertrauens der Unternehmen und Verbraucher haben bisher kaum etwas bewirkt. Seit über einem Jahr kämpft China mit den gleichen Problemen. Simona Grano, Sinologin an der Uni Zürich, zu Blick: «China steckt in einem Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt», so Grano. «Die wirtschaftlichen Probleme lösen auch soziale Probleme aus – die wiederum wirtschaftliche Probleme auslösen.»
Kann sich China noch retten?
Wie kommt China da bloss wieder raus? Laut der Expertin brauche es grundlegende politische und administrative Veränderungen im chinesischen Rechtssystem und auch im Regulierungssystem für die Wirtschaft. «Das System muss offener, transparenter und wettbewerbsfähiger gemacht werden», erklärt sie. Auch George Magnus, Ökonom und China-Kenner, hat bereits vor Jahren vorausgesagt, dass der Führungsstil Xis der Wirtschaft schade. Doch für Kontrollfreak Xi, unter dem die chinesische Wirtschaft wieder stark zum Zentrismus und zur staatlichen Kontrolle zurückfand, ist eine Lockerung ein Ding der Unmöglichkeit.
Damit stellt Xi sein Land vor erhebliche Probleme. «Da Chinas globale Macht auf seinem wirtschaftlichen Gewicht beruht, wird, wenn Letzteres gefährdet ist, auch Ersteres in Mitleidenschaft gezogen», sagte Magnus bereits vor einem Jahr gegenüber Blick. Seit einem Jahr befindet sich China also an einem kritischen Punkt: Ohne eine funktionierende Wirtschaft könnte China in der Bedeutungslosigkeit versinken. Hier kommen Anlässe wie der Brics-Gipfel ins Spiel.
Machtdemonstrationen statt Lösungen
Unter dem demonstrierten Selbstvertrauen Xis in Kasan kann man Unsicherheit erkennen: Die Angst, von ausländischen Mächten eingeschränkt zu werden – es sei denn, man beweist seine Stärke. Vergangenes Jahr erklärte Xi etwa: «Westliche Länder, angeführt von den Vereinigten Staaten, haben China auf umfassende Weise eingedämmt und eingekreist.» Auch dieses Jahr betonen er und Putin, dass man die «amerikanische Übermacht» eindämmen wolle. Auf den ersten Blick mag es befremdlich wirken, dass sich Xi statt mit seinen Problemen daheim mit internationalen Fragen befasst. Doch: Das Land will sich als globaler Player beweisen, bevor seine Schwachstellen zu offensichtlich werden.