An der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München zeigen sich die chinesischen Autohersteller selbstbewusst – schliesslich sind sie erfolgreich auf dem europäischen Markt. Damit kaschieren sie die Probleme, die zu Hause auf sie warten. Denn dort schwächelt der Automarkt. Ende August hatte der Branchenverband PCA mitgeteilt, dass der Absatz erneut zurückgegangen sei, und ein Minus von etwas mehr als ein Prozent auf 1,85 Millionen Autos in Aussicht gestellt. Das ist nur einer von vielen Stolpersteinen der chinesischen Wirtschaft.
China erlebt gerade ein stockendes Wachstum, Deflation, eine Immobilienkrise und jetzt auch noch eine Rekordarbeitslosigkeit unter jungen Menschen. Chinas Exporte und Importe sind im August den vierten Monat in Folge gesunken: Die Exporte um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Importe gingen um 7,3 Prozent zurück, wie die britische BBC unter Berufung auf offizielle Zahlen berichtet. Wie konnte das bloss passieren?
China läuft mit offenen Augen ins Messer
Nachdem China sich 1978 für die Weltwirtschaft öffnete, erlebte das Land die spektakulärste Wachstumsgeschichte der Geschichte. Agrarreform, Industrialisierung und steigende Einkommen befreiten fast 800 Millionen Menschen aus der extremen Armut. Ein wahres Wirtschaftswunder. Damit ist jetzt aber Schluss. Simona Grano, China-Expertin an der Uni Zürich, erklärt gegenüber Blick: «China befindet sich in einer grösseren wirtschaftlichen Misere als jemals zuvor. Das, was die Grundlage für Chinas Wirtschaftswunder war, ist im Wesentlichen ausgelaufen», so Grano weiter.
Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von nur 3,2 Prozent. Die Hauspreise sind gesunken, und trotzdem kauft niemand Häuser. Verbraucherausgaben, Unternehmensinvestitionen und Exporte sind allesamt zurückgegangen. Und während ein Grossteil der Welt mit einer zu hohen Inflation zu kämpfen hat, leidet China unter dem gegenteiligen Problem: Die Verbraucherpreise sind im vergangenen Jahr bis Juli gesunken.
China ist ins offene Messer gelaufen. «Die Regierung wusste schon lange, dass China mit einer Verlangsamung seines Wachstums konfrontiert sein würde», so Grano. Schliesslich hat sich das Land in den letzten Jahren immer weiter von einer marktfreundlichen und weltoffenen Wirtschaft entfernt – und sich immer weiter in Richtung staatlicher Intervention und internationaler Isolation bewegt. Obwohl man während der Corona-Pandemie gesehen hat, wie schädlich diese Politik der radikalen wirtschaftlichen Isolation sein kann.
Xi zieht die Reissleine – zu spät?
Nun will die Regierung von Machthaber Xi Jinping (70) die Reissleine ziehen: Es soll eine neue Einrichtung zur Unterstützung des Privatsektors geschaffen werden. Das neue Büro wird die Aufgabe haben, die Privatwirtschaft des Landes zu überwachen und Kanäle für eine regelmässige Kommunikation mit privaten Unternehmen einzurichten. So soll das Vertrauen der Unternehmer wieder gestärkt werden.
Doch ist es dafür nicht zu spät? George Magnus, Ökonom und China-Kenner, hat bereits vor Jahren vorausgesagt, dass China «irgendwann nur noch auf Pump» laufen wird. Dieser Prophezeiung bleibt er treu: «Ich denke, wir sind an einem Punkt angelangt, den ich als ‹Peak China› bezeichne», sagt er gegenüber Blick.
Laut ihm hat Chinas Zeitalter des Stillstands begonnen. Sich aus einem solchen Teufelskreis zu retten, sei zwar schwierig – aber nicht unmöglich. «Allerdings wird das China, das sich in den 2020er Jahren und darüber hinaus entwickelt, nicht mehr dasselbe übermütige, dynamische Land sein, das wir kennen», relativiert Magnus. «Sein Wirtschaftsmodell ist fehlerhaft und braucht Reformen, welche die Regierung ablehnt. Da Chinas globale Macht auf seinem wirtschaftlichen Gewicht beruht, wird, wenn Letzteres gefährdet ist, auch Ersteres in Mitleidenschaft gezogen.»
Sinologin Grano zieht ein ähnlich düsteres Fazit aus der aktuellen Situation: Angesichts all dieser Faktoren ist es meiner Meinung nach nur vernünftig, sich vorzustellen, dass China seine Führungsrolle in Zukunft verlieren wird, auch in der sich entwickelnden Welt.»