Sonntag, 19 Uhr. Um diese Uhrzeit landete am Flughafen in Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan, ein Flieger aus Tel Aviv. Es waren beängstigende Bilder, die kurz darauf im Netz kursierten: Eine aufgebrachte Menge, vor allem Männer, stürmte durch den Flughafen. Der Mob, Berichten zufolge mehr als 1000 Menschen, war vom Telegram-Kanal «Der Morgen Dagestans» dazu angestachelt worden, zum Flughafen zu kommen und die Gäste aus Israel «herzlich willkommen» zu heissen.
Laut dem deutschen Magazin «Spiegel», welches Berichte aus dem Netz zitiert, haben Sicherheitskräfte des Flughafens die Angreifer nicht aufgehalten – im Gegenteil: Sie wollten dem wütenden Mob sogar gestatten, selbst die Pässe der Passagiere zu kontrollieren. Um sicherzustellen, dass es sich auch tatsächlich um Israelis handelt. Auf Telegram kam die Forderung auf, die aus Tel Aviv angereisten Passagiere in den Fernen Osten Russlands zu «deportieren» – was sehr an Nazi-Rhetorik aus dem Zweiten Weltkrieg erinnert.
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Der Kanal «Der Morgen Dagestans» beispielsweise, der den Angriff in Dagestan zu verantworten hat, wurde von dem früheren russischen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow (48) gegründet. Dieser lebt inzwischen in der Ukraine, hat die ukrainische Staatsbürgerschaft und koordiniert die russische Freiwilligenlegion «Freiheit Russlands». Die Legion verbreitet selbst antisemitisches Gedankengut und die Neonazis haben bereits Angriffe auf russischem Boden ausgeführt – gegen den Kreml und gegen Putin.
Schon Stalin war ein Antisemit
Tatsächlich hat der Antisemitismus in Russland, beziehungsweise der Sowjetunion, Tradition. Bereits Sowjetdiktator Josef Stalin (1878–1953) wurde zum Ende seines Lebens zu einem radikalen Antisemiten. Bereits früh in seinem Leben wollte der Georgier möglichst wenige Juden in den hohen Rängen seiner Regierung. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Polen 1939 begann Stalin mit der Deportation russischer Juden in das Jüdische Autonome Gebiet im Fernen Osten Russlands und andere Teile Sibiriens.
Die Geschichte des sowjetischen Antisemitismus reicht aber bis in die Zarenzeit zurück. Durch den Mord an Zar Alexander II. (1818–1881) wurde der Begriff Pogrom geprägt – Ausschreitungen gegen religiöse oder ethnische Minderheiten, insbesondere Juden. Die Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung – bei welchen Zehntausende Juden ermordet wurden – hielten bis zum Ersten Weltkrieg an.
Eskalation nicht im Interesse Putins
Auch Kremlchef Wladimir Putin (71) äussert sich zum Konflikt zwischen der Hamas und Israel. Vor zwei Wochen sagte er, dass Israel zwar noch nie mit einem Angriff solchen Ausmassen konfrontiert worden sei und darum auch «jedes Recht habe, für seine Sicherheit zu sorgen». Gleichzeitig behauptete er, dass in den USA und Israel eine Blockade von Gaza vorbereitet werde, die ähnlich wie die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht ab 1941 aussehen könnte. Das erweckt den Eindruck, dass Putin zu glauben scheint: Die Israelis seien demnach die Nazis von heute, die Palästinenser in Gaza die Russen von Leningrad.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine versucht Putin diesen mit der «Entnazifizierung der Ukraine» zu rechtfertigen. Die antisemitische Gewalt in Russland liegt also nicht in Putins Interesse. Durch Vorfälle wie in Dagestan wirkt seine Anti-Nazi-Propaganda unglaubwürdig. Und: Laut Russland-Expertin Sabine Fischer kam der Krieg im Nahen Osten für Putin unerwartet, wie sie auf X schreibt. Er schlingere nun in eine antiisraelische Politik, die in Russland sehr böse Geister wecke.