Hunderte wütende Bürger strömten am Sonntagabend in Machatschkala in der muslimisch geprägten russischen Teilrepublik Dagestan auf den Flughafen. «Draussen steht ein wütender Mob, es ist gut möglich, dass wir angegriffen werden», heisst es in der Durchsage des Piloten. Die Maschine war aus Tel Aviv gelandet. Die wütenden Menschen hatten geglaubt, dass im Flieger Geflüchtete aus Israel sässen.
Weitere Videos zeigen, wie sich die Menschen am Flughafen versammeln und «Allahu Akbar» rufen. Immer wieder sieht man eine palästinensische Flagge. Doch auch vor dem Flughafen herrschten chaotische Szenen. So berichten russische Medien, dass die Randalierer Autos anhielten, und die Menschen aufforderten, ihre Pässe zu zeigen. In den sozialen Medien verbreiten sich Videos der Ausschreitungen wie ein Lauffeuer.
20 Verletzte
Zahlreiche Menschen liefen auch auf das Flugfeld. Der Flugplatz wurde vorübergehend geschlossen, ankommende Flugzeuge auf andere Flughäfen umgeleitet, wie die staatliche Flugaufsicht Rosawiazija der Agentur Tass zufolge mitteilte. Doch der Mob liess sich kaum unter Kontrolle bringen. Die Demonstrierenden warfen Steine auf die Ordnungskräfte. Insgesamt wurden in dem Chaos 20 Menschen verletzt, zwei von ihnen schwer, berichtet Dagestans Gesundheitsministerium. Unter den Verletzten sind auch neun Polizisten. 60 Personen wurden nach den Ausschreitungen festgenommen.
Erst am späteren Abend hatte sich die Lage beruhigt. Der Mob hatte den Flughafen geräumt. Ermittlungen sind im Gange. Berichten zufolge blieben die Passagiere des Israels-Fluges unverletzt. Nähere Informationen zu ihnen gibt es keine.
«Einmischung von aussen»
Der Republikchef von Dagestan, Sergej Melikow (58), kündigte harte Strafen an. «Es wird keine Gnade für niemanden geben.» Zudem rief er die Bevölkerung auf, sich nicht von Extremisten aufstacheln zu lassen, die die Lage destabilisieren wollten. «Wegen der Fakes, die von unseren Feinden verbreitet werden, waren einige noch ganz junge Leute drauf und dran, die Gesetze zu verletzen.» Auch die islamische Geistlichkeit der Region stellte klar: «Der Antisemitismus hat keinen Platz im multiethnischen Nordkaukasus.»
Am Montag hatte sich auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) zu den Vorfällen geäussert. «Es ist offensichtlich, dass die gestrigen Ereignisse zum grössten Teil das Resultat von einer Einmischung von aussen sind.» Mit Bildern aus Gaza gelinge es Russlands Feinden leicht, die Menschen zu provozieren und die Lage zu missbrauchen, sagte er.
Menschen aus Kiew angestachelt?
Melikow und Peskow beziehen sich wohl auf die Berichte, wonach der Mob unter anderem vom Telegram-Kanal «Der Morgen Dagestans» angestachelt wurde. Dort waren die ersten Meldungen über die «Flüchtlinge aus Israel» aufgetaucht. Melikow zufolge wird der Kanal aus der Ukraine verwaltet. Ursprünglich wurde der Kanal von Ilja Ponomarjow (48) gegründet, einem ehemaligen russischen Duma-Abgeordneten. Die letzten Jahre lebt er in Kiew, stellt sich nicht nur gegen Wladimir Putin (71), sondern hetzt auch gegen den bekanntesten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny (47) und gilt in oppositionellen Kreisen Russlands als radikal.
Er hatte sich in der Vergangenheit als Sprecher der sogenannten Nationalen Republikanischen Armee (NRA) präsentiert. Die NRA hatte behauptet, hinter dem Anschlag auf Darja Dugina (†29) zu stecken.
Ponomarjow selbst behauptet nun, dass er seit über einem Jahr nichts mehr mit dem Telegram-Kanal «Der Morgen Dagestans» zu tun habe.
Mob am Flughafen kein Einzelfall
Bereits am Samstag hatte eine Menge aufgebrachter Menschen ein Hotel in der Stadt Chassawjurt in Dagestan umringt, weil es das Gerücht gab, dort seien Flüchtlinge aus Israel untergebracht worden. Nach örtlichen Berichten drangen mehrere Dutzend Männer in das Hotel ein, um angeblich die Pässe der Hotelgäste zu kontrollieren. Die Polizei riegelte das Hotel ab.
Verschärft wird die Lage dadurch, dass Flüge aus Tel Aviv ausgerechnet im Nordkaukasus landen, nämlich auf den Flughäfen Machatschkala, Mineralnyje Wody und Sotschi. In der Regel dienen die Flughäfen als Transitstationen für die Flüge nach Moskau – da sie günstiger sind.
In Naltschik wurden am Sonntag Reifen neben einem jüdischen Kulturzentrum im Bau angezündet, wie die Nachrichtenagentur Ria meldete. Das Gebäude wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden der Teilrepublik Kabardino-Balkarien mit extremistischen Losungen beschmiert. Fotos zufolge stand dort «Tod den Juden». In der Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien riefen Demonstranten dazu auf, die örtliche jüdische Bevölkerung auszusiedeln.
Israel fordert mehr Sicherheit von Russland
Nach antijüdischen Vorfällen hat Israel die russischen Behörden am Sonntag zum Schutz seiner Staatsbürger aufgefordert. Es werde erwartet, «dass die russischen Strafverfolgungsbehörden die Sicherheit aller israelischen Bürger und Juden gewährleisten und entschlossen gegen Randalierer und wilde Aufwiegelung gegen Juden und Israelis vorgehen», teilten das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sowie das israelische Aussenministerium mit.
«Israel nimmt Versuche, israelischen Bürgern und Juden irgendwo zu schaden, sehr ernst» und beobachte die Ereignisse in Dagestan, hiess es in der Mitteilung. Der israelische Botschafter in Russland, Alex Ben Zvi, arbeite mit den russischen Behörden zusammen, «um das Wohlergehen von Juden und Israelis vor Ort zu gewährleisten».
Wegen der Gewalt im Nahen Osten hatte sich Präsident Wladimir Putin vergangene Woche mit den Oberhäuptern der in Russland vertretenen Religionen getroffen. Dabei beschwor er ein friedliches Zusammenleben der Völker und Religionen im Land. (man/jwg)