Mehrmals schlägt und tritt ein junger Mann auf einen anderen ein, während der Attackierte sich krümmt, bevor er zu Boden geworfen wird. Diese Szenen spielten sich Mitte August in einem tschetschenischen Gefängnis ab. Der Schläger ist kein Geringerer als Adam Kadyrow (15) – der Sohn des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow (46).
Nikita Schurawel (19) wurde zuvor wegen «Beleidigung der Gefühle Gläubiger» zu zwei Monaten Untersuchungshaft verdonnert. Er soll einen Koran vor einer Moschee in Wolgograd verbrannt haben – dies im Auftrag der Ukrainer für 10'000 Rubel (95 Franken). Ohne jegliche Rechtsgrundlage wurde Schurawel kurz darauf in ein tschetschenisches Gefängnis verlegt.
Alexander Bastrykin, Chef des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, hatte angeordnet, den Fall an die Tschetschenien-Abteilung zu übergeben. Der Grund: Es seien «zahlreiche Anträge von Einwohnern der Tschetschenischen Republik» eingegangen, mit der Bitte, sie «als Opfer anzuerkennen», hiess es in der Stellungnahme des Ermittlungsausschusses Ende Mai. Seitdem wartet Schurawel auf seinen Prozess.
«Ich bin stolz auf Adams Tat»
Bereits Mitte August hatte Schurawel geklagt, dass er von Adam Kadyrow verprügelt wurde. Am Montag hat Kadyrow Senior höchstpersönlich ein Video des Angriffs auf Telegram gepostet.
«Er hat ihn geschlagen und das Richtige getan», schreibt Kadyrow über seinen Sohn. Und: «Jeder, der sich an der Heilige Schrift vergreift, sollte streng bestraft werden», fährt er fort. «Ich bin stolz auf Adams Tat», heisst es weiter. Sein Sohn habe «Ideale von Ehre, Würde und der Verteidigung seiner Religion entwickelt».
Wie im Nachhinein bekannt wurde, habe Ramsan Kadyrow gemeinsam mit seinem Sohn den Angeklagten in U-Haft besucht. Dabei hatte er den 15-Jährigen mit Schurawel alleine im Raum gelassen, worauf der Tschetschene seine Fäuste sprechen liess.
Positive Reaktionen auf Brutalo-Aktion
Und nicht nur Papa Kadyrow lobt das gewaltvolle Verhalten seines Sohnes. Achmed Dudajew (36), Kadyrows Informationsminister kommentierte: «Wir verstehen, dass wir in einem Rechtsstaat leben, es gibt Gesetze und Verfassung. Aber in diesem Fall gibt es auch religiöse Gefühle, Traditionen und Bräuche.»
Auch Duma-Abgeordneter Adam Delimchanow (54) verteidigt den Prügler: «Zweifelsohne halte ich die Tat meines Neffen für richtig und gerecht! Er hat wie ein echter Mann und ein würdiger Sohn seines Volkes gehandelt! Nichts ist für einen Tschetschenen wichtiger und heiliger als seine Religion.»
Auch Waleri Fadejew (61), Leiter des Menschenrechtsrats beim Präsidenten, verurteilt Kadyrows Sohn nicht direkt. Stattdessen sagt er zur mutmasslichen Koran-Verbrennung von Schurawel: «Das ist eine schwere Straftat. Solche Provokationen sind in einem multikonfessionellen Land inakzeptabel. Es gibt auch Regeln für die Inhaftierung von Angeklagten, die strikt eingehalten werden müssen. Ich hoffe, dass es ein gerechtes Urteil gegen den angeklagten Koranverbrenner geben wird.»
Wird Kadyrows Sohn bestraft?
Für einige Kreml-Beamte und TV-Propagandisten scheint Kadyrow aber zu weit gegangen zu sein. Die Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa (68) schreibt auf Telegram, dass die Koranverbrennung zwar eine Straftat darstelle, sie aber keine Selbstjustiz rechtfertige. «Während der Ermittlungen in der Untersuchungshaftanstalt muss er natürlich nach den gesetzlich festgelegten Regeln festgehalten werden», erklärt sie.
Sogar Jewgeni Popow, der im Staatsfernsehen regelmässig Polit-Talkshows moderiert, kritisiert Kadyrow: «Man darf keine Leute verprügeln. Das ist illegal. Die Strafe für den Täter (gemeint Schurawel Anm. d. Red.) wird vom Gericht festgelegt. Und nur vom Gericht.»
Härter geht die Journalistin Xenia Sobtschak (41) mit Kadyrow ins Gericht. Sie konfrontierte ihn telefonisch und fragte, ob er seinen Sohn bestraft habe. «Nein, er hat das gut gemacht, er hat sich wie ein richtiger Mann verhalten.» Sollte es ein Gerichtsverfahren geben, in dem Adam Kadyrow für schuldig befunden würde, werde Kadyrows Sohn mit «der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden», soll Kadyrow weiter gesagt haben. Doch ob es wirklich zu einer Strafverfolgung vom Sohn des mächtigsten Mannes Tschetscheniens kommt, ist fraglich.