Zerstörte Häuser, tiefe Krater – im Flüchtlingslager Dschabalia im Gazastreifen suchen Palästinenser in Trümmern nach Überlebenden eines israelischen Angriffs. Warum hat die israelische Armee ausgerechnet ein Flüchtlingslager ins Visier genommen? Blick liefert Antworten.
Was ist passiert?
Bei einem Grossangriff des israelischen Militärs auf Dschabalia sind am Dienstag zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Beim Schlag wurden nach Angaben des Militärs am Dienstag rund 50 Terroristen getötet, darunter ein Drahtzieher des Massakers der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober, Ibrahim Biari. Biari soll alle Hamas-Operationen im nördlichen Gazastreifen überwacht haben.
Die Angaben zu den Opferzahlen variieren. Die Hamas spricht von 400 Getöteten und Verwundeten. Nach Angaben des bewaffneten Flügels der Hamas sind sieben zivile Geiseln getötet worden. Darunter seien drei mit ausländischem Pass, teilten die Kassam-Brigaden mit. Die Angaben lassen sich nicht überprüfen.
Am Mittwoch gab einen erneuten Angriff auf das Flüchtlingslager Dschabalia, bei dem laut der Hamas erneut «Dutzende» Menschen getötet und verletzt worden seien. Israelische Kampfflugzeuge hätten das Flüchtlingslager bombardiert, erklärte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Rettungskräfte sagten, es seien «ganze Familien» getötet worden. Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP zeigten grosse Zerstörungen durch den erneuten Angriff.
Wie begründet Israel die tödlichen Angriffe?
Das israelische Militär sprach von einem «gross angelegten Angriff» auf eine «militärische Hochburg der Hamas» im Westen der Stadt. Dort seien unter anderem Terroristen ausgebildet worden. Soldaten hätten Hamas-Kräfte in einem Hochhaus identifiziert und Luftangriffe gegen sie dirigiert.
Diese Angriffe hätten dann dazu geführt, dass ein unterirdisches Tunnelsystem einstürzte und mehrere benachbarte Gebäude in sich zusammenbrachen. Die Hamas baut solche Tunnels, um sich darin zu verstecken, Waffen zu schmuggeln und Angriffe auszuüben.
Die israelische Armee veröffentlichte ein Satellitenbild des «Militärgeländes der Hamas», auf dem ihren Angaben zufolge «Terroraktivitäten geübt und ausgeführt» wurden. Auf der Aufnahme waren angebliche Hamas-Einrichtungen eingezeichnet, beispielsweise Eingänge zu Tunneln und Raketenabschussposten. Angrenzend an das Gelände befinden sich unter anderem Moscheen und eine Klinik.
Was weiss man über das Flüchtlingslager?
Nach dem Palästina-Krieg 1948 errichtete das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) ein 1,4 Quadratkilometer grosses Flüchtlingslager für rund 35’000 Menschen. Inzwischen ist das Lager zu einer Stadt ausgebaut worden, in der rund 116’000 Flüchtlinge registriert sind. Es ist das grösste Camp im Gazastreifen und einer der am dichtesten besiedelten Orte der Erde.
Mehr zur Vergeltung Israels
Dschabalia ist eine bekannte Hochburg der islamistischen Hamas. Es ist der Ort, wo 1987 die erste Intifada gegen Israel begann. Der Konflikt dauerte bis 1993 und forderte rund 1200 Tote auf palästinensischer Seite und 200 Tote auf israelischer Seite.
Nach dem Überfall auf Israel am 7. Oktober haben Hamas-Terroristen über 200 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Es wird vermutet, dass einige von ihnen in Dschabalia sind und – wie auch palästinensische Zivilisten – als Schutzschilde missbraucht werden.
Wie reagiert die Welt?
UN-Generalsekretär António Guterres (74) zeigte sich «zutiefst beunruhigt» über die Verschärfung des Konflikts. Der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin (70) hat laut Pentagon-Angaben in einem Telefongespräch mit Israels Verteidigungsminister Joav Gallant (64) «die Notwendigkeit hervorgehoben, die Sicherheit von Zivilisten während Militäroperationen an oberste Stelle zu stellen».
Katar sprach von einem «neuen Massaker gegen das schutzlose palästinensische Volk». Es untergrabe Vermittlung und Bemühungen zur Deeskalation. Auch Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien verurteilten den Luftangriff in scharfen Worten.
Bolivien brach die diplomatischen Beziehungen zu Israel wegen dessen Angriffen auf den Gazastreifen ab. Gleichzeitig beorderten die südamerikanischen Länder Chile und Kolumbien ihre Botschafter für Konsultationen zurück. «Chile verurteilt die Militäroperation im Gazastreifen auf das Schärfste und stellt mit grosser Besorgnis fest, dass dieser Einsatz, der eine kollektive Bestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung darstellt, die grundlegenden Normen des Völkerrechts nicht einhält», hiess es in einer Mitteilung des chilenischen Aussenministeriums.