Raketen auf ein palästinensisches Flüchtlingslager, Panzer nahe Gaza-Stadt und mehr als 11'000 Angriffe auf Stellungen der Hamas seit Kriegsbeginn: Die israelische Offensive schreitet voran. Doch in den fünf Tagen seit Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen hat die Aussenwelt nur wenig vom Vorgehen von Israels Armee erfahren. Die Entscheidungsträger des israelischen Militärs haben sich – und den Gazastreifen – in Schweigen gehüllt.
Die Geheimniskrämerei begann am späten Freitagnachmittag, als Israel nach Angaben hochrangiger US-Beamter das Internet und die Telekommunikationsnetze im Gazastreifen lahmlegte und so die Kommunikation kappte. Dafür gibt es gute Gründe.
Denn kurz darauf bombardierte die Luftwaffe Gaza-Stadt mit einem massiven Raketenhagel, der die Hamaskämpfer in ihr Tunnelnetz treiben sollte. Kurz darauf drang eine riesige Phalanx von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, Bulldozern, Infanteristen und Kampftechnikern in den nördlichen Gazastreifen ein – ungesehen. Eine weitere Kolonne drang in den zentralen Gazastreifen ein und näherte sich Gaza-Stadt von Süden her.
Sobald die Operation begann, gingen die Armeesprecher nicht mehr an ihre Telefone. Die Informationssperre war vollständig. Es dauerte drei Stunden, bis das Militär ankündigte, dass es «die Bodenaktivitäten ausweitet», und sechs Stunden, bis ein Militärsprecher bestätigte, dass sich Truppen im Gazastreifen befanden.
Israel hüllt sich in Schweigen – mit gutem Grund
Bis Montag vermied es das Militär immer noch, seinen Vormarsch als Invasion zu bezeichnen, und wies lediglich darauf hin, dass sich die Truppen weiterhin im Gebiet aufhielten. «Alles spielt sich im Ungewissen ab», so Andreas Krieg, Militärexperte am King’s College in London, im Gespräch mit Blick. «Nur wenige Menschen dürfen wissen, was in Gaza gerade vor sich geht.» Aber weshalb?
Jan Busse, Experte für Israel und Palästina an der Universität der Bundeswehr in München, erklärt gegenüber Blick: «Die israelischen Streitkräfte wollen damit den Gegner im Ungewissen lassen.» Sie wollen einen Überraschungseffekt kreieren und so auch Mächte ausserhalb des Gazastreifens im Dunkeln tappen lassen.
Zudem sei dieser Krieg nicht nur ein Krieg der Panzer, Kampfjets und Soldaten. Sondern auch ein Krieg der Information. «Es geht einerseits darum, den Gegner darüber zu täuschen, was die nächsten operativen Schritte sind», sagt Busse. «Bei der Hamas geht es in diesem Zusammenhang sicher auch darum, Israel über die eigenen militärischen Fähigkeiten im Unklaren zu lassen.» Israel wolle einerseits Feinde wie die Hisbollah und den Iran abschrecken, vor allem aber signalisieren, dass zivile Opfer geschützt werden.
Krieg in Gaza wird blutiger als alle Kriege zuvor
Und da wird es kritisch: Denn in einem zweiten Schritt, wenn die israelischen Truppen Gaza-Stadt erreicht haben, könnte der Kampf in Gaza laut Busse in einen Häuserkampf übergehen. Der Gazastreifen ist sehr dicht besiedelt. Ein Krieg in dicht besiedelten Gebieten ist immer blutig. In Gebieten wie dem Gazastreifen, in dem rund 5300 Personen pro Quadratkilometer leben, wird ein Krieg ganze Bevölkerungsgruppen auslöschen.
Busse merkt an: «Die Zahl der zivilen Opfer ist bereits jetzt sehr hoch, die Hamas spricht von 8300 Toten.» Die tatsächliche Zahl der Todesopfer kann nicht bestätigt werden. Der Brite Krieg fügt an: «In anderen städtischen Kampfgebieten wäre es möglich gewesen, den Zivilisten Raum zu geben, um weit wegzugehen. Aber Gaza ist ein Gefängnis unter freiem Himmel, niemand kann irgendwohin gehen.»
Diese Sorge scheint das israelische Militär aber nicht zu stoppen. Wie der arabische Nachrichtensender Al Jazeera und die britische Zeitung «The Guardian» am Dienstagmittag berichten, haben erste israelische Panzer bereits Wohngebiete in Gaza-Stadt erreicht.
Militärexperte Andreas Krieg sieht hier aber grosse Gefahren: «Der Gazastreifen ist komplexer als alles, was andere westliche Militärs in den letzten zehn Jahren getan haben. Es ist ein Gebiet, das räumlich dreidimensional ist. Es ist nicht nur oberirdisch, sondern auch unterirdisch. Es gibt ein Tunnelsystem von Hunderten von Kilometern Länge, von denen einige mit Beton verstärkt sind und nicht einfach in Stücke gesprengt werden können.»
Ein weiteres Problem des israelischen Militärs: Niemand in Israel weiss, wie es nach dem Krieg weitergehen soll. Und ob es überhaupt je ein Ende dieses Konflikts geben wird. «Es ist eine unmögliche Lage für die israelischen Streitkräfte», so Krieg. «Man braucht ein klares politisches Ziel und auch eine politische Strategie. Und daran mangelt es.» Die Israelis hätten sich laut ihm in eine Situation begeben, in der sie gegen eine Ideologie kämpfen. «Und eine Idee kann man nicht mit militärischen Mitteln besiegen. Das hat noch niemand geschafft.»
Letzten Endes bleibt dem israelischen Militär, den Zivilisten in Gaza und dem Rest der Welt laut Krieg nur eins übrig: «Abwarten. Denn niemand weiss wirklich, wie schlimm dieser Krieg werden wird.»