Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wird der Gesundheitszustand des russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) heiss diskutiert. Ob sein aufgedunsenes Gesicht, sein krampfhaftes Festhalten am Tisch oder Behauptungen bezüglich einer schweren Operation Putins nach dem Tag des Sieges – ein Gerücht jagt das nächste.
Mit den wilden Spekulationen tut sich natürlich auch die eine grosse Frage auf: Was geschieht, wenn Putin gestürzt wird oder gar stirbt? Wer würde als Kreml-Machthaber nachrücken? Wie «Focus» berichtet, könnte die Nachfolge Putins eine Art «Palast-Massaker» auslösen. Laut der deutschen Sicherheitsexpertin Marina Henke hätte jeder Nachfolger einen schweren Stand.
Wer nachrückt, muss kämpfen
Sicherheitsexpertin Henke zufolge gäbe es offiziell keinen klaren Nachfolger. «Das ganze System ist einzig und allein auf Putin ausgerichtet.» Und wer auch immer nachrücke, müsse um seine Position kämpfen. «Egal, wer nach Putin an die Macht kommt, höchstwahrscheinlich hat er nicht genug Rückhalt in den verschiedenen Sicherheitsbehörden, beim Militär und unter den Oligarchen», so Marina Henke zur Zeitung.
Würde jemand aus Putins innerem Kreis als Thronfolge erkoren, würde dies bestimmt Machtkämpfe zur Folge haben. «Dann würde es zu einer Art Palast-Massaker kommen.»
Formell hätte Putin einen kurzzeitigen Nachfolger. Der russischen Verfassung zufolge würde bei Putins Ableben der Premierminister die Regierungsgeschäfte übernehmen. Innerhalb von drei Monaten müsste dann ein neuer Präsident ernannt werden. Im vorliegenden Fall würde also Michail Mischustin (56) nachrutschen – ein Mann, dessen Name zumindest im Westen keine grosse Bekanntheit geniesst.
Mischustin ist ein alter Staatsbeamter. Vor seiner Ernennung als Premierminister 2020 leitete er zehn Jahre lang die russische Steuerbehörde. Trotz langjähriger Kreml-Erfahrung gilt er aber als eine von Putins Marionetten, die lediglich zur Sicherung seiner eigenen Macht auserkoren wurden. Doch wer hätte tatsächlich das Zeug dazu, der neue Kreml-Machthaber zu werden? «Focus» stellt fünf mögliche Kandidaten vor.
Wurde der gescheiterte Blitz-Krieg Schoigu zum Verhängnis?
Sergej Sobjanin (63), langjähriger Bürgermeister der russischen Hauptstadt Moskau, könnte nachrücken. Der Jurist hält zudem das Amt eines der Vize-Ministerpräsidenten Russlands inne. Gerhard Mangott (55), österreichischer Professor für internationale Beziehungen, bezweifelt aber seinen Aufstieg. Es sei fraglich, ob Sobjanin auch ausserhalb Moskaus viel Unterstützung erfährt. «Das wohlstandsverwöhnte Moskau wird in vielen Landesteilen gehasst.»
Hoch im Kurs steht auch der russische Verteidigungsminister und Armeegeneral Sergej Schoigu (66). Schoigu gilt als enger Vertrauter Putins – so zeigen Fotos die beiden auch in den gemeinsamen Ferien. Nach der Eroberung der Krim-Insel 2014, waren die Erwartungen an Schoigu hoch. Er sollte Russland einen schnellen Sieg einfahren. Putins erträumter Blitz-Krieg scheiterte aber kläglich – und könnte deshalb auch Schoigus Chancen aufs Präsidentenamt zerschlagen haben.
Als weiterer heisser Kandidat gilt Ex-Geheimdienstler Alexej Djumin (49). Der Gouverneur soll Putin nicht nur einst vor einem Bären gerettet haben, sondern wurde vom Machthaber höchstpersönlich mit dem Titel «Held Russlands» ausgezeichnet. Diese Ehre gebührte ihm in seiner Rolle als Leiter einer geheimen Spezialtruppe, die unter anderem die Annexion der Krim umsetzte.
Putin-Einflüsterer hat gute Chancen
Waleri Gerassimow (66), Chef des Generalstabes der Streitkräfte, hätte ebenfalls Potenzial, Putins Nachfolge anzutreten. Als General der Generäle gilt er nicht nur als Putins Top-Mann in der Armee, sondern auch als Schlüsselfigur in der Krim-Annexion 2014, bei der russischen Militärstrategie in Syrien sowie der Unterstützung der prorussischen Rebellen im Donbass. Gerüchten zufolge soll es sich Gerassimow jedoch wegen der stockenden Vorstösse mit Putin verscherzt haben – dies könnte seine Chancen auf den höchsten Kreml-Posten schmälern.
Spekulationen zufolge hätte auch der Hardliner Nikolaj Patruschew (70) das Zeug dazu, Putin zu ersetzen. Patruschew ist aktuell Sekretär des Sicherheitsrates – zuvor leitete er jahrelang den russischen Geheimdienst FSB. Eine von vielen Gemeinsamkeiten mit Kreml-Chef Putin. Seinem Ruf als Putin-Anhänger und gar dessen Einflüsterer wird er unter anderem wegen seines Hasses gegenüber dem Westen gerecht. Putins feindselige Haltung gegenüber dem Westen kommt also nicht von ungefähr.
Wer eines Tages Putins Platz einnimmt, wird sich zeigen. Ob sein Sturz für den Westen allerdings positive Konsequenzen hat, wagt Politikwissenschaftler Mangott zu bezweifeln. Dass Putins Nachfolger eine Öffnung zum Westen anstrebt, hält er für unwahrscheinlich. «Ein Abtritt Putins würde zwar einen aggressiven, autoritären und misstrauischen Präsidenten entfernen, aber wir können uns keineswegs sicher sein, dass ein verträglicher Nachfolger die Macht übernehmen wird.» (dzc)