Dieses Bild ging um die Welt. Ein kleiner Bagger gegen den Container-Riesen Ever Given. Darin: Abdullah Abdul-Gawad (28). Unermüdlich schaufelte er den Schlamm zur Seite. Das Ziel: Den Mega-Frachter endlich frei zu bekommen.
Als das 400 Meter lange und mehr als 220'000 Tonnen schwere Schiff am 23. März im Suezkanal steckenblieb und den Weg blockierte, genoss der 28-Jährige seinen freien Tag. Doch dann meldete sich sein Chef bei ihm. Notfall! «Er sagte mir, dass ich der einzige Baggerfahrer in der Nähe sei und sofort kommen sollte», sagt Abdul-Gawad zum «Business Insider».
Was er zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Dieser Auftrag sollte hart werden. Wenig Schlaf, viel Arbeit. 21 Stunden am Tag sass er in der Kabine und baggerte. Fünf Tage, fünf Nächte. Der 28-Jährige musste dabei hochkonzentriert sein. «Ich hatte Angst, dass das Schiff zu weit auf die eine oder andere Seite kippen könnte.» Unter dem schlammigen Untergrund drohte der Frachter weiter zu versinken. Dabei trug Abdul-Gawad nicht gerade spezielle Arbeitskleidung. Er sass mit Flip-Flops im Führerhaus.
«Wir waren bis an unsere Grenzen gegangen»
Zu dieser Zeit ging das Bild des im Vergleich zum Frachter kleinen Baggers um die Welt. Ein Winzling gegen einen Riesen. Konnte das klappen? Witze machten die Runde. Und genau das spornte Abdul-Gawad an. Er wollte es allen zeigen. «Ihr macht euch über mich lustig. Also werde ich unbedingt beweisen, dass ich das kann.» Die Befreiung der Ever Given wurde zu seiner Mission.
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Tage vergingen. Dann tat sich was im Suez-Kanal. Gemeinsam mit einem weiteren Spezial-Bagger, Schleppern und einer hohen Flut gelang es dem Team nach fünf Tagen, den Container-Riesen zu befreien. Der Jubel war gross – und ebenso die Erschöpfung. «Wir waren bis an unsere Grenzen gegangen», so Abdul-Gawad. Doch so müde alle auch waren: Die Ever Given schwimmen zu sehen, war ein besonderer Moment, den er niemals vergessen wird.
Er wurde nicht zur Befreiungsfeier eingeladen
Die Befreiung wurde gross zelebriert. Allerdings nur für die Angestellten der Suez Canal Authority. Der Baggerfahrer war nicht eingeladen, da er für ein Subunternehmen tätig ist. Ein Dankeschön gab es dann aber doch noch, und zwar im kleinen Rahmen. In einer Stadt, zirka vier Stunden vom Suezkanal entfernt. Und: Offenbar improvisiert. Denn Abdul-Gawad bekam die Einladung eineinhalb Stunden vorher zugeschickt.
Das ärgert ihn noch heute. «Die Suezkanalbehörde klopfte sich selbst auf die Schulter und sagte sich, was für einen grossartigen Job sie gemacht haben. Aber ohne einen Bagger wäre das Schiff nirgendwo hingekommen. Es sässe vielleicht immer noch fest.»
Mega-Pott sorgt für Milliarden-Streit
Nichtsdestotrotz: Abdul-Gawad ist stolz auf seine Arbeit und die Tage, die hinter ihm liegen. «Das ist etwas, was vielleicht einmal im Leben passiert oder vielleicht auch zweimal. Es ist etwas, auf das man stolz sein kann.»
Inzwischen ist der Suezkanal wieder frei. Die Schiffe können ihn wieder passieren. Abgesehen von der Ever Given. Der Mega-Pott kommt mal wieder nicht vom Fleck. Er liegt es nun im Grossen Bittersee zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil des Suezkanals.
Ein Weiterkommen gibt es vorderhand nicht. Die Kanalbehörde behält den Meeresriesen als Pfand zurück und verlangt eine Milliarde Dollar «Lösegeld», was 930 Millionen Franken entspricht. Es droht ein gigantischer Rechtsstreit, in dem es um Milliardenforderungen geht – und der sich über Jahre hinziehen könnte. (jmh)