Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk (46), teilt auf Twitter heftig gegen – seiner Ansicht nach – pseudoliberale Gutmenschen aus. Dies, nachdem deutsche Prominente ein einem neuen offenen Brief einen «Waffenstillstand jetzt!» forderten. Melnyks Kommentar: Die Autoren sollen sich mit ihren «defätistischen ‹Ratschlägen› zum Teufel scheren».
In dem von der «Zeit» veröffentlichten Appell verlangten etwa der Publizist Jakob Augstein (54), Philosoph Richard David Precht (57) und die Schriftstellerin Juli Zeh (48) einen «konzertierten Vorstoss» für Verhandlungen. Zudem stellten sie infrage, ob Waffenlieferungen der richtige Weg seien.
«Nicht schon wieder, what a bunch of pseudo-intellectual loosers», tobt Melnyk auf Twitter. «Was für ein Haufen pseudointellektueller Verlierer.»
Rückendeckung für Melnyk
Dabei wird der offene Brief auch von anderer Seite als «naiv» kritisiert. Die Politologin und Friedensforscherin Ursula Schröder bemängelt in einem Interview mit NTV scharf, dass ein «Waffenstillstand nicht automatisch positiv» sei. «Natürlich ist es wünschenswert, dass dieser Krieg so schnell wie möglich endet», so Schröder. «Als politisches Signal an Russland wäre das heute aber fatal. Denn wenn es schon vorher heisst, die westliche Allianz will nicht, dass dieser Krieg weitergeführt wird, und sie damit indirekt zu verstehen gibt, dass die militärische Unterstützung der Ukraine absehbar beendet wird, verschlechtert sich die Verhandlungsposition der Ukraine immens.»
«Die Verfasser dieses Briefes gehen viel zu naiv an dieses Thema heran», sagt die Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. «Verhandlungen können zum Beispiel taktisch geführt werden, etwa um mehr Informationen über den Gegner zu erhalten. Selbst die Einigung auf einen temporären oder räumlich begrenzten Waffenstillstand ist nicht automatisch positiv.»
Dem pflichtet auch der Militärexperte Carlo Masala (52) bei, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. In dem offenen Brief werde zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass der «regionale Krieg» viele globale Konsequenzen habe, so Masala. Aber da gebe es nur einen Verursacher: Russland. «Ja, dieser Krieg bedroht die globale Stabilität», schreibt Masala auf Twitter. «Jeder russische Sieg wird sie noch mehr und nachhaltiger bedrohen. Habe mich lange davor gescheut, eine solche Metapher zu benutzen. Aber jetzt mach ich es. Es ist gerade 1937.»
Nicht unumstrittener Botschafter
An schweigende Waffen will Botschafter Melnyk zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht denken – und Friedensforscherin Schröder unterstützt ihn darin: «Verhandlungen um einen Waffenstillstand müssen sehr strategisch geführt werden», sagt sie. Man dürfe solche Verhandlungen um eine Waffenruhe «keinesfalls als Ziel in sich selbst sehen, wie es in diesem Brief der Fall ist.»
Dabei ist auch Melnyk nicht unumstritten. Unlängst sorgte er für eine weitere Kontroverse. In einem Interview verteidigte er den ukrainischen Nationalisten und Milizenführer Stepan Bandera (1909–1959), der im Zweiten Weltkrieg eine zweifelhafte Rolle spielte.
«In Deutschland, Israel und vielen anderen Ländern wird Banderas Rolle im Zweiten Weltkrieg äusserst kritisch gesehen, vor allem aufgrund der Zusammenarbeit seiner Truppen mit den deutschen Nationalsozialisten und ihrer Beteiligung am massenhaften Mord an Juden», schrieb dazu die «Bild». In der westlichen Ukraine werde Bandera dagegen als Nationalheld verehrt. (kes)