Auf einen Blick
- USA könnten Kiew Langstreckenraketen für Angriffe auf Russland liefern
- Sowohl Biden als auch Blinken deuten Umdenken an
- «Kriegserklärung»: In Russland wird vor Vergeltung gewarnt
Russische Medien bringen es bereits prominent auf Frontseiten: «Die USA bereiten den Weg für den Dritten Weltkrieg vor, indem sie Angriffe auf Russland erwägen», zitiert die Nachrichtenagentur Ria Novosti den russischen Botschafter in Washington. «Ein Bluff, der einer Kriegserklärung gleichkommt», titelt die Zeitung «Komsomolskaja Prawda».
Die Berichte beziehen sich auf eine Exklusivmeldung des US-Politikportals Politico. Demnach sei das Weisse Haus daran, Pläne zu finalisieren, dass die Ukraine mit reichweitenstärkeren US-Raketen auch Ziele innerhalb Russlands angreifen kann. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) drängt Verbündete seit Monaten auf grünes Licht für die Lieferung und den Einsatz solcher Waffen.
Luft-Boden-Marschflugkörper
Politico bezieht sich auf gleich mehrere Vertrauensquellen, die über die «Gespräche von einer kleinen Gruppe von Beamten im Weissen Haus» unterrichtet sein sollen. Reuters berichtete schon in der Woche davor davon, dass die USA an einer Vereinbarung arbeiten, um der Ukraine Marschflugkörper zu liefern.
Eine Einigung über alle Fragen der Waffenlieferungen würde mehrere Monate dauern, hiess es. Konkret gehe es um Tarnkappen-Luft-Boden-Marschflugkörper, die das Pentagon in ukrainische Kampfjets in aus der Sowjetzeit zu integrieren versuche. Eine Entscheidung werde im Herbst erwartet – noch vor Einzug des Winters, wenn das Kampfgeschehen an der Front abschwächt.
Russland galt bislang als Nichtangriffszone
Das Thema, dass die Ukraine strategische Ziele tief in Russland mit westlichen Waffen angreifen darf, galt bislang als tabu. Die Russen hätten viele Möglichkeiten, Vergeltung zu üben. Moskaus Aussenminister Sergej Lawrow (74) drohte eben, Russland überarbeite derzeit seine Nuklearstrategie. Die USA würden sich täuschen, wenn sie denken, dass sich der Einsatz von Atomwaffen auf Europa beschränken würde.
US-Präsident Joe Biden (81) hatte angesichts des Ukraine-Konflikts im Oktober 2022 vor dem höchsten Risiko eines nuklearen «Armageddon» seit der Kuba-Krise 1962 gewarnt. Jetzt deutete auch Biden an, dass die USA möglicherweise Schritte unternehmen, um ihre Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen durch die Ukraine im Krieg mit Russland aufzuheben.
Biden und Blinken deuten Umdenken an
Auf die Frage, ob die USA den Einsatz solcher Waffen genehmigen würden, antwortete Biden am Dienstag, dass seine Regierung «das gerade ausarbeitet», zitiert ihn der staatliche US-Auslandssender Voice of America.
Gleichentags deutete auch US-Aussenminister Antony Blinken (62) in einem Interview mit Sky News an, dass die USA ihre Haltung bezüglich des Einsatzes von Langstreckenraketen durch die Ukraine ändern könnten. «Wir schliessen nie etwas aus», so Blinken. «Aber wenn wir das erwägen, wollen wir sicherstellen, dass dies so geschieht, dass es das voranbringt, was die Ukrainer erreichen wollen.»
Wichtiger Besuch in Kiew
Blinken und sein britischer Amtskollege David Lammy (52) sind am Mittwoch per Zug am Bahnhof in Kiew eingetroffen. Offizieller Besuchsgrund ist die Teilnahme am vierten Gipfel der sogenannten Krim-Plattform in der ukrainischen Hauptstadt. Das an der Front bedrängte Kiew will aber auch die Freigabe von Langstreckenwaffen auf Ziele in Russland anbringen.
Als wichtigstes Thema der beiden Aussenminister in Kiew gilt die Forderung der Ukraine, weitreichende US-amerikanische und britische Waffen auch gegen Ziele auf russischem Territorium einsetzen zu dürfen.
Bei einer Pressekonferenz mit Lammy sagte Blinken nach einem Treffen mit Selenski, die USA seien «vom ersten Tag an» bereit gewesen, ihre Politik an die veränderte Lage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine anzupassen. «Wir werden dies auch weiterhin tun», betonte er. Die USA würden alles für den Sieg tun: «Wir bleiben dem ukrainischen Sieg verpflichtet.»
Selenski stellt Biden «Siegesplan» vor
Blinken sagte, er und Lammy würden ihren «Chefs» – US-Präsident Biden und dem britischen Premier Keir Starmer (62) – nach ihren Gesprächen in Kiew Bericht erstatten.
Wie Blinken der ukrainischen Zeitung «Strana» sagte, werde Biden Selenski am Freitag in Washington empfangen. Dabei wolle Selenski erst den USA seinen «Siegesplan» vorstellen, und dann auf dem zweiten Ukraine-Friedensgipfel. Dessen Austragungsort ist noch unbekannt.
Zweiter Ukraine-Gipfel mit Putin in der Schweiz?
Der erste Friedensgipfel fand im Juni auf dem Bürgenstock in der Schweiz statt, ohne Teilnahme Russlands. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis (63) weibelt derzeit offenbar für einen zweiten Ukraine-Gipfel in der Schweiz.
Wie die «Aargauer Zeitung» unter Berufung auf das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) berichtet, trifft Cassis zu diesem Zweck am Freitag seinen indischen Amtskollegen in Genf. Dabei soll über die mögliche Teilnahme Wladimir Putins (71) gesprochen werden.