Zehn Tage nach dem Marsch auf Moskau hat sich Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (62) wieder zu Wort gemeldet. «Ich bin sicher, dass ihr bald unsere nächsten Siege an der Front sehen werdet», teilte er in einer Audio-Nachricht auf seinem Telegram-Kanal mit.
Was er damit meinte, erklärte er nicht. Auch darüber, wo er sich gerade befindet und was er treibt, sagte er nicht.
Was wissen Belarus-Insider über Prigoschins Aufenthaltsort, seine Pläne und die Zukunft der Wagner-Gruppe? Blick bat prominente Belarus-Kenner um Auskunft.
Wo ist Prigoschin?
«Prigoschin ist untergetaucht», sagt Andrei Sannikov (69), in den 1990er-Jahren Vize-Aussenminister unter dem heutigen Machthaber Alexander Lukaschenko (68) und im Jahr 2010 dessen Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen. Prigoschins Jet sei zwar zweimal in Belarus gesichtet worden, aber wo sich Prigoschin befinde, wisse nicht einmal er.
Wer will Prigoschin töten?
Immer wieder heisst es, dass der russische Präsident Wladimir Putin (70) Prigoschin umbringen wolle, weil er ihn am 24. Juni mit seinem Marsch nach Moskau bedroht und verhöhnt habe. Vitali Shkliarov (46), Politologe und ehemaliger politischer Gefangener, glaubt aber nicht, dass es so weit kommen wird. «Wenn Putin Prigoschin töten will, hätte er es schon längst getan», sagt er gegenüber Blick.
Prigoschins Feinde seien anderswo zu finden, etwa bei den Anhängern des von Prigoschin kritisierten Verteidigungsministers Sergei Schoigu (68). Aber auch in den eignen Reihen: «Viele Wagner-Soldaten fühlen sich verraten und haben Rache angekündigt.» Unter den Söldnern gebe es viele Häftlinge, die ohne Wagner-Truppe wieder zurück ins Gefängnis gehen müssten.
Wie stehen Lukaschenko und Prigoschin zueinander?
Lukaschenko hatte Prigoschin dazu gebracht, den Marsch mit seinen Söldnern nach Moskau abzubrechen und ihm einen Deal und den Aufenthalt in Belarus angeboten. «Diese sogenannte Einigung ist aber in der Tat nichts anderes als ein Haufen von Lügen», sagt Sannikov. In seinen Augen ist ein Konflikt zwischen Lukaschenko und Prigoschin unvermeidlich. «Sie sind beide Verbrecher und werden ihre Differenzen wie Verbrecher austragen», sagt Sannikov gegenüber Blick.
Auch Swetlana Tichanowskaja (40), die bei den Wahlen 2020 gegen Lukaschenko angetreten war und den Sieg für sich beanspruchte, prognostiziert einen Eklat zwischen dem belarussischen Machthaber und Prigoschin. In einem Interview mit AFP sagt sie: «Sie sind keine Verbündeten, sie können einander nicht vertrauen. Lukaschenko kann jederzeit Prigoschin verraten, und Prigoschin kann Lukaschenko verraten.»
Wie profitiert Lukaschenko vom Deal?
Laut Vitali Shkliarov kommt Lukaschenko der Deal mit Prigoschin entgegen. Er könne sich damit politisch etablieren und Putin öffentlich erniedrigen. Zudem komme Lukaschenko mit den Wagner-Soldaten zu einer – im Gegensatz zum belarussischen Militär – erfahrenen Armee. «Das gibt ihm eine grössere Sicherheit.»
Laut Tichanowskaja hat Lukaschenko nicht nur vermittelt, um Putins Gesicht zu wahren oder Prigoschin zu retten, vielmehr gehe es ihm ums eigene Überleben. «Lukaschenko weiss, dass er der Nächste sein wird, wenn sich die Machthaber in Russland streiten», sagt Tichanowskaja.
Wie gefährlich ist die Wagner-Gruppe in Belarus?
Tichanowskaja warnt vor der Präsenz der Wagner-Gruppe in Belarus. «Die Anwesenheit von Prigoschin selber oder der Wagner-Gruppe auf unserem Territorium stellt in erster Linie eine Bedrohung für die Menschen in Belarus und für unsere Unabhängigkeit dar.» Aber nicht nur das: Die Präsenz könne auch eine Bedrohung für «unsere westlichen Nachbarn» bedeuten.
Der Aufenthalt der Wagner-Gruppe in Belarus sei vor allem für Lukaschenko ein Risikofaktor, sagt Sannikov. «Denn sie wird ein legitimes Ziel für die ukrainischen Streitkräfte sein, unabhängig davon, ob sie einen Angriff auf die Ukraine planen oder nicht.»
Schickt Putin auch die Belarus-Armee in den Krieg?
Der ehemalige Belarus-Spitzenpolitiker Sannikov schliesst nicht aus, dass Putin auch der belarussischen Armee den direkten Befehl zur Kriegsteilnahme geben könnte. Sannikov: «Allerdings wissen sowohl Lukaschenko als auch Putin, dass die Folgen unvorhersehbar sein können und die belarussischen Truppen nicht in diesem russischen Krieg kämpfen wollen.»